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Bel ami 01

Bel Ami

Guy de Maupassants Roman «Bel Ami», 1885 veröffentlicht, wurde bereits mehrmals für die Leinwand adaptiert, am bekanntesten in den Versionen von Willy Forst (1938) und Louis Daquin (1955). Das britische Regie-Tandem Declan Donnellan und Nick Ormerod hat nun, basierend auf einem Drehbuch von Rachel Bennette, eine enge Anlehnung an die literarische Vorlage versucht.

Text: Michael Ranze / 25. Apr. 2012

Ein junger Mann in abgetragenen, schäbigen Kleidern blickt sehnsüchtig durchs Fenster in ein nobles Pariser Restaurant. Wohlhabende Frauen prosten sich mit Champagner zu und geniessen ihre delikaten Menüs. Neid und Verbitterung ob dieser vermeintlichen Ungerechtigkeit überkommen den hungrigen Kerl – bis er zu weinen beginnt. Ein emblematisches Bild, das viel über Georges Duroy, den Titelhelden, aussagt: ein Mann, angetrieben von Missgunst und Ehrgeiz, durch Habsucht und Langeweile. Für seinen sozialen Aufstieg, für den Weg zu Reichtum und Respekt, sucht er eine Abkürzung, und für die steht ihm nur ein Talent zur Verfügung: die Verführung.

Guy de Maupassants Roman «Bel Ami», 1885 veröffentlicht, wurde bereits mehrmals für die Leinwand adaptiert, am bekanntesten in den Versionen von Willy Forst (1938) und Louis Daquin (1955). Das britische Regie-Tandem Declan Donnellan und Nick Ormerod hat nun, basierend auf einem Drehbuch von Rachel Bennette, eine enge Anlehnung an die literarische Vorlage versucht. So lassen sie Georges Duroy nach zweijährigem Militärdienst in Nordafrika nach Paris zurückkehren. Doch das Thema des Imperialismus, dessen Probleme bis heute fortwirken, ist ihnen keine kritische Vertiefung wert, ebenso wenig wie politische oder kulturelle Anspielungen. Korruption und Filz sind hier nur der schillernde Hintergrund für das Porträt eines Parvenüs und Karrieristen, der vor allem Frauen skrupellos für seinen Aufstieg ausnutzt. Nicht einmal die Persiflage auf den Boulevard-Journalismus mit seiner oberflächlichen Sensationslust – Duroy hat zwischenzeitlich einen Job als Redakteur ergattert, obwohl er weder Lust noch Talent zum Schreiben zeigt – mag so recht zünden.

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Entsprechend seiner Hauptfigur ist der Film darauf angelegt, den Zuschauer zu verführen, vielleicht sogar zu blenden, und was gibt es nicht alles zu sehen: wundervolle Kostüme, perfekte Frisuren, detailfreudige Sets, eine lebendige Kamera, nicht zu vergessen der schöne Score von Rachel Portman. Aufwendige und teure Produktionswerte, die zwar nicht selbstverständlich, aber durch die Konkurrenz zu zeitgleich anlaufenden Kostümfilmen wie En kongelig affære und Les adieux à la reine fast schon unabdingbar sind. Doch hat man dieser Verführung auf der Bildebene einmal widerstanden, steht und fällt bel ami mit der Darstellung durch Robert Pattinson. Pattinson wirft mit seinem durch die Twilight-Reihe erworbenen Starruhm eine Vielzahl von Fragen auf und schürt Erwartungen. Was kann er wirklich? Will er seinen jugendlichen Fans gerecht werden oder ein neues Publikum erschliessen? Und genau hier liegt das Problem: Pattinson kann sich vom Image des blassen, tragisch liebenden Vampirs nicht lösen. Stets sieht man ihm die Anstrengung an, Gefühle wie Zweifel, Unmut oder Verdruss mit bebenden Nasenflügeln oder zusammengezogenen Augenbrauen darzustellen. Nie vermittelt er das Gefühl, dass er sich die Rolle des hedonistischen Schürzenjägers wirklich anverwandelt hat. Unvermeidliche Folge: Die Frauenfiguren sind, trotz einiger Überzeichnungen und Überraschungen, interessanter und vielschichtiger gezeichnet. Die sonst so kontrollierte Kristin Scott Thomas darf als Madame Rousset nach grossen Gesten und Gefühlsausbrüchen suchen, Uma Thurman bringt als Madeleine Forestier ein wenig von dem neurotischen Habitus ihrer modernen Frauenfiguren ein, auch wenn dies nicht ganz passend sein mag. Am überzeugendsten aber agiert Christina Ricci als liebevolle, aber auch realistische und lebenstüchtige Clotilde, die mit Enttäuschungen umzugehen weiss. Sie ist die einzige, die Duroy nicht nur liebt, sondern auch versteht.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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