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Big Eyes

Es müssen die Bilder von diesen tieftraurigen Kindern gewesen sein, die Tim Burton zu seinem neusten Film inspirierten. Der Regisseur mit einer Vorliebe für phantastische Bilderbuchwelten und Skurril-Morbides war zweifellos vom melancholischen Blick der rehäugigen Mädchen und Jungen – ein Markenzeichen von Margaret Keane – fasziniert, und das seit seiner Kindheit.

Text: Doris Senn / 29. Apr. 2015

Es müssen die Bilder von diesen tieftraurigen Kindern gewesen sein, die Tim Burton zu seinem neusten Film inspirierten. Der Regisseur mit einer Vorliebe für phantastische Bilderbuchwelten und Skurril-Morbides war zweifellos vom melancholischen Blick der rehäugigen Mädchen und Jungen – ein Markenzeichen von Margaret Keane – fasziniert, und das seit seiner Kindheit. In den Neunzigern bereits liess Burton die Malerin ein Porträt seiner damaligen Partnerin, Lisa Maria, anfertigen. Und natürlich ist die dem Film zugrunde liegende wahre Geschichte der heute 88-jährigen Künstlerin, die Burton persönlich die Einwilligung für die Verfilmung gab, ebenfalls Stoff genug für ein Filmdrama. Und das geht so:

Wir befinden uns im Amerika der Fünfzigerjahre. Margaret gelingt, zusammen mit ihrer kleinen Tochter, die Flucht aus der bonbonfarbenen Einfamilienhaussiedlung – und einer unglücklichen Ehe. Sie landet in der Grossstadt San Francisco, lernt Walter Keane kennen, der umgehend Margarets Talent erkennt und beginnt, ihre Bilder zu vermarkten. Sie heiraten, und die Umstände und das Geltungsbedürfnis Walters wollen es, dass er sich als Autor ihrer Bilder ausgibt. In der Folge werden die Gemälde zwar von der Kunstkritik verrissen – doch dank Walter dennoch zu Ikonen der populären Bildindustrie. Walter «entdeckt» die serielle Verwertung in Postern, Drucken und Postkarten und macht aus Margarets Bildnissen eine Goldgrube für die Keanes. Bis es zum Zerwürfnis kommt und, nachdem Margaret die Welt von der Wahrheit in Kenntnis gesetzt hat, zu einem spektakulären Showdown im Gerichtssaal.

Der umtriebige Burton brachte in den letzten dreissig Jahren im Schnitt alle zwei Jahre einen Film ins Kino. Dabei zeichnen sich seine Filme – etwa Ed Wood, Edward Scissorhands oder sein jüngster, der Puppenanimationsfilm Frankenweenie – durch ihre schiere Fabulierlust aus, was er etwa in Big Fish zum zentralen Thema machte: phantastische Welten zwischen Diesseits und Jenseits, gezeichnet mit rabenschwarzem Humor und einem satirischen Blick auf das Mittelstandsamerika, einem unverhohlenen Hang zu Kitsch und romantischer Verklärtheit (die Familie über alles!) und immer wieder gespickt mit cinephilen Verweisen und ironischen Zitaten populärer Klassiker der Filmgeschichte. Zu seinen Fetischdarstellern gehören Johnny Depp, der in acht seiner Filme die Hauptrolle spielte, aber auch Helena Bonham Carter, die dreizehn Jahre lang mit Burton liiert war und in sieben seiner Titel auftrat.

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In Big Eyes nun lässt der Hollywoodregisseur Christoph Waltz als nicht unsympathischen und doch schlitzohrigen Walter zu Hochform auflaufen – an der Seite der auf die Rolle der unschuldig-naiven Figur abonnierten Amy Adams. Special Effects und Animationen fehlen diesmal nahezu – doch dafür lässt er ein bis ins kleinste Detail ausgefeiltes Setting auferstehen, das alle Oldtimer-Limousinen Kubas und pastellfarbenen Deuxpièces aus Hollywoods Kostümkammern aufs Set beordert zu haben scheint.

Burton gelingt so ein spannendes Beziehungsdrama, eine Emanzipationsgeschichte avant la lettre und eine kleine Lektion in kapitalistischer Kunstvermarktung, als diese noch in ihren Kinderschuhen steckte. Mit einem Augenzwinkern inszeniert Burton den Zwist zwischen High und Low Culture – hier die hohe, intellektualisierte (und brotlose) Kunst, da die als Kitsch abgestempelte, aber enorm lukrative Keane-Produktion. Was natürlich auch als (Selbst-)Referenz auf das Filmbusiness gelesen werden kann. Big Eyes führt Burtons erzählfreudige Kreationen mit einer schier unglaublichen Geschichte fort – vielleicht mit etwas weniger Kultfaktor, aber nichtsdestotrotz als brillant inszenierte und unterhaltsame Story.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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