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A Bigger Splash

Luca Guadagnino und seinem Drehbuchautor David Kajganich geht es nicht um Schuld, sondern um die Begierde zwischen Mann und Frau, um unterschiedliche Lebensstile, auch ums Alter. Guadagnino bezieht sich allerdings vor allem auf Jacques Derays La Piscine, in dem Alain Delon und Romy Schneider 1969 die Hauptrollen spielten. Den Jetset der französischen Riviera mit seiner schillernden Oberfläche verlegte er nach Pantelleria, einer schroff romantischen, unglamourösen Insel zwischen Sizilien und Tunesien, mit dunklen, fast schwarzen Felsen.

Text: Michael Ranze / 25. Apr. 2016

«A Bigger Splash» – so heissen auch ein Gemälde von David Hockney und eine Dokumentation über den Künstler, dessen homoerotische Swimmingpoolbilder immer auch Ausdruck von Sehnsucht und Verlangen sind, so, wie es auch im neuen Film von Luca Guadagnino um Verlangen und Sehnsucht geht. Guadagnino bezieht sich allerdings vor allem auf Jacques Derays La Piscine, in dem Alain Delon und Romy Schneider 1969 die Hauptrollen spielten. Den Jetset der französischen Riviera mit seiner schillernden Oberfläche verlegte er nach Pantelleria, einer schroff romantischen, unglamourösen Insel zwischen Sizilien und Tunesien, mit dunklen, fast schwarzen Felsen, ständigem Wechsel zwischen Sonne und Regen und einem kräftigen Wind, «der nicht weiss, was er will», wie jemand im Film einmal sagt. Auf Pantelleria werden noch Heilige in einer Prozession geehrt oder der Ricotta von Hand gemacht. Doch die Politik lässt sich nicht ausschliessen, wie die Begegnung mit Flüchtlingen sowohl im Fernsehen als auch sehr real beweist. Das am Ende der sechziger Jahre erwachende Körperbewusstsein, von Deray noch betont, macht nun dem Bedauern über das Ende eines Lebensstils, des Rock ’n’ Roll, Platz. Darum sieht der Zuschauer als erstes Bild nicht, wie Delon nur mit einer Badehose bekleidet auf dem Rücken liegend einen Whisky in sich hineinkippt, sondern wie eine androgyn wirkende Sängerin im Glitzeroverall, einer Kreuzung aus David Bowie und Bryan Ferry gleich, die Bühne in einem Fussballstadion voller Fans betritt.

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Szenenwechsel. Marianne, der gealterte Rockstar, erholt sich nach einer Stimmbandoperation gemeinsam mit Paul, einem Dokumentarfilmer, der gegen seine Alkoholsucht kämpft, in der malerischen Abgeschiedenheit Pantellerias. Zu den neckischen Ideen des Films zählt, die Hauptdarstellerin Tilda Swinton den ganzen Film über schweigen zu lassen, unterbrochen nur von gelegentlichen Versuchen, sich flüsternd zu verständigen. In diese idyllische, harmonische Ruhe platzt wie eine Naturgewalt Harry mit seiner heranwachsenden Tochter Pénélope im Schlepptau. Harry ist nicht nur Mariannes ehemaliger Plattenproduzent, sondern auch ihr ehemaliger Liebhaber. Und er ist es, der Marianne und Paul miteinander bekannt gemacht hat, wie kurze, gelegentlich eingestreute Rückblenden später beweisen werden. Nun stellt er alles auf den Kopf: Er zerrt die Freunde in ein abgelegenes Restaurant, schmeisst mit Fremden eine Party, füllt den Kühlschrank mit Essen und Trinken und ist stets Herr der Gespräche am Pool. Rasch wird klar: Harry will Marianne zurück. Pénélope, die mit kurzen Shorts ihren Körper offensiv in Szene setzt, könnte Paul verführerisch ablenken. Und dann geschieht jener Mord, der schon in La piscine zum Zentrum der Geschichte wurde.

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Ein Mord, der aus A Bigger Splash allerdings noch keinen Thriller macht. Dafür interessiert sich der Film viel zu wenig für die Krimihandlung. Während der Tod des Rivalen im Original sehr viel gemeiner, hinterhältiger und brutaler daherkommt und die misstrauische Romy Schneider Delon zum Geständnis verleitet, verlaufen hier die Ermittlungen und das Interesse eigentümlich im Sande und gipfeln in einem albernen, unvorhersehbaren Schluss, der den Film als Farce enden lässt.

Luca Guadagnino und seinem Drehbuchautor David Kajganich geht es nicht um Schuld, sondern um die Begierde zwischen Mann und Frau, um unterschiedliche Lebensstile, auch ums Alter. «Wir sind von der Idee eines Bruchs ausgegangen. Die Kluft zwischen einer Welt, die es nicht mehr gibt – die Welt des Rock ’n’ Roll gegen Ende des 20. Jahrhunderts – und einer neuen Art von Konservatismus, die uns in gewisser Weise heute lenkt», so der Regisseur in den Produktionsnotizen. Marianne war einmal ein wilder Rockstar, doch nun schätzt sie die Ruhe in einer monogamen Beziehung. Der Botschafter des alten Lifestyles hingegen ist Harry, der nicht nur köstliche Geschichten über die Produktion des Rolling-Stones-Albums «Voodoo Lounge» erzählt, sondern urplötzlich zum Song «Emotional Rescue» in einen expressiven Tanz ausbricht. Ralph Fiennes drückt mit dieser Szene dem Film seinen Stempel auf. Er interpretiert Harry als aufgedrehten, wortgewandten Wirbelwind, der ständig unter Strom steht und mit seiner Energie alles an sich reisst. Er kennt keine Grenzen, die anderen sind im gleichgültig. Er weigert sich, erwachsen zu werden. Darum bleibt er der Vergangenheit verhaftet, mit seiner Liebe zur Musik und zu der Frau, die er zurückgewinnen will.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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