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Blue ruin 01

Blue Ruin

«Make Art Not War» steht da weiss auf blauem Wellblech, scheinbar nebenbei, nur knapp lesbar. Es ist tatsächlich hohe Filmkunst, mit der Jeremy Saulnier in seiner erst zweiten Regiearbeit in atmosphärisch dichten Bildern erzählt.

Text: Tereza Fischer / 30. Juli 2014

«Make Art Not War» steht da weiss auf blauem Wellblech, scheinbar nebenbei, nur knapp lesbar. Es ist tatsächlich hohe Filmkunst, mit der Jeremy Saulnier in seiner erst zweiten Regiearbeit in atmosphärisch dichten Bildern erzählt. Allerdings erzählt er von einem “Krieg”, eine Rachegeschichte. Mittels präzise gesetzter Detailaufnahmen, langsamer Kamerabewegungen und kurzer Irritationsmomente werden wir an Dwight Evans herangeführt. Der harmlos wirkende Obdachlose scheint mitten in der Zivilisation gestrandet zu sein. Wie Robinson Crusoe hat er fast das Sprechen verlernt. Die Gründe bleiben im Dunkeln, bis eine nette Polizistin Dwight auf den Posten mitnimmt, um ihm schonend beizubringen, dass Wade Cleland, der Mörder seiner Eltern, am folgenden Tag aus dem Gefängnis entlassen wird. «You’ll be fine», verspricht sie ihm.

Familie und ein Zuhause wie jenes, in dem wir Dwight zum ersten Mal ein Bad nehmen sehen, gehören Fremden. Er selbst hat alle familiären Beziehungen verloren. Zehn Jahre hat er den Stillstand ausgehalten, um nun in Eile seinen schrottreifen blauen Pontiac fahrtüchtig zu machen und mit der Miene eines verschreckten Kaninchens Rache zu üben. Auf der ökonomisch gefilmten Fahrt zum Gefängnis verdichtet sich in vier mit Jump Cuts verbundenen Einstellungen der Nebel und nimmt die unheilvolle Entwicklung vorweg. Die kurze Sequenz spiegelt Saulniers elegante Erzählweise.

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Gekonnt umgesetzt ist auch die Anbindung an die Hauptfigur. Fehlende Informationen kombiniert mit unaufdringlicher Nähe zum Protagonisten fördern in den Anfangssequenzen die imaginative Empathie. Erst nach achtzehn Minuten spricht Dwight zum ersten Mal, bis dahin bleibt sein Inneres rätselhaft. Hypothesen über die Gründe seines Tuns und ein Anprobieren von verschiedenen Emotionen erzeugen Nähe und Spannung. Der noch unbekannte Macon Blair vermag die Wissenslücken mit seiner Präsenz zu schliessen. Wenn er stumm leidet, leiden wir mit. Auch nach seiner überraschenden Wandlung vom stillen Clochard zum Mörder mit dem Äusseren eines Spiessers. Als solcher legt Dwight eine Zielstrebigkeit an den Tag, die überrascht. Umso mehr, als er seine verstörenden Taten nicht ankündigt.

«Auge um Auge, Zahn um Zahn.» Die Rache am Mörder der Eltern scheitert, denn Wade Cleland ist unschuldig und sass die Strafe für den Vater ab. Nachdem Dwight Wade auf furchtbare Weise ersticht, wird zu seinem Erstaunen die Polizei nicht eingeschaltet, und der Wunsch nach Vergeltung bedroht nun die Mitglieder beider Familien. Um seine Schwester besorgt, zieht Dwight in den “Krieg”. Verletzt und mit einem Mitglied der Cleland-Familie im Kofferraum, sucht er einen alten Kumpel auf. Dieser stellt keine Frage, verschenkt gerne Waffen aus seiner umfassenden Sammlung und rettet Dwight auch noch nach einer ungeschickten Aktion. Erschreckend, wie er, ohne mit der Wimper zu zucken, auf Dwights Frage, wie viele Menschen er getötet hat, antwortet: «Zwei – absichtlich.» Töten legitimiert sich über einen guten Grund. Auf diese simple Aussage ist der Film dank der komplexen Figurenzeichnung und der Sympathie, die man Dwight entgegenbringen kann, nicht reduzierbar.

In der zweiten Filmhälfte sind die Ereignisse zwar vorhersehbarer, aber die Spannung bleibt dank der soliden Erzählung und Saulniers fesselnder Kameraarbeit. Am Ende lauert Dwight im Haus der Clelands. Als ihm ein Familienfotoalbum in die Hände fällt, wird ihm eine Welt vor Augen geführt, für die er überhaupt erst seine Mission begonnen hat. Nun ist er unfähig, umzukehren oder die Taten rückgängig zu machen. Sein verzweifelter Versuch, dem Blutbad ein Ende zu setzen, muss scheitern. Was bleibt, sind die Kinderfotos in den verlassenen Häusern und das Chaos nach einem wütenden Sturm.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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