Glühender Asphalt im französischen Sommer. Die Vögel zwitschern und ein Mann in leuchtorangenem Onesie wischt lustlos unsichtbaren Dreck über den Spiegelboden. Hin und wieder her. Weiter hinten streicht der Wind die Blätter der Bäume glatt. Der Mann horcht auf und klettert umständlich über einen Wall aus Autoreifen. Aggressives Aufheulen, Rattern und Brummen durchschneidet plötzlich die Idylle.
Der Boden ist die Rennstrecke von Le Mans und der Lärm entspringt dem Motor eines blitzschnellen Sportwagens. Runde um Runde fährt das Fahrzeug. Rauschmittel ist hier Tempo und kurz ist alles Geschwindigkeit. Die Augen der Männer an der Strecke folgen gebannt den vorbeischiessenden Autos. Nicht viel mehr als ein kurzes Aufblitzen von Farbflecken verrät, dass es wieder eine Runde mehr ist.
Der Schweizer Unternehmer Esteban träumt seit Kind davon, an diesem Rennen im Norden Frankreichs teilzunehmen. Und das soll noch vor seinem 51. Geburtstag geschehen. Julia Bünter und Benjamin Bucher begleiten ihn dokumentarisch bei der Erfüllung seines Wunsches. Die Siebzig ist die Nummer, mit welcher der Wagen in den Wettkampf startet – das Geburtsjahr von Esteban. Beim legendären Langstreckenrennen von Le Mans fahren die Autos während 24 Stunden im Loop. Drei Fahrer wechseln sich dabei im Turnus als Lenker ab. Die meisten anderen sind professionelle Rennfahrer. Er stellt sich ein eigenes Team zusammen. Seine Teamkollegen und Mentoren raten immer wieder: Nur nach vorne schauen, das hier ist ein Wettkampf. Was dich interessiert sind nicht die Fahrer hinter dir, sondern nur, wen du noch überholen musst. Nicht nachdenken, einfach fahren.
Sanft und humorvoll tauchen wir durch die Ohren und Augen von Bünter und Bucher ab in einen testosterongetränkten Mikrokosmos, in dem nur in Pferdestärken gerechnet wird. Ton und Bild überschneiden sich immer wieder überraschend und das Motorengeheule trägt wie ein Soundtrack durch den ganzen Film. Es verschluckt ganze Gespräche, sie verlaufen unter Helmen und Gehörschutz, dröhnen ungenau durch Funkgeräte. Die vielen Standbilder lassen die Zuschauer:in ohne viel Erklärung alles und nichts sehen vom Rennzirkus. Die Bilder muten fast fotografisch an. Immer wieder Boxenstopp, Auto hoch, der Tank gefüllt, die Räder getauscht, jeder Handgriff sitzt, Auto runter, Reifenquietschen. Zurück bleibt nichts als Rauch.
Bünter und Bucher decken die Absurdität hinter diesen Wettkämpfen in Autos auf, ohne zu werten. Der Film schafft einen Raum, in dem sich alle wohlfühlen dürfen, auch mit fehlendem Interesse am Motorsport und dieser Männerdomäne. Einen Raum fürs Schmunzeln, Lauschen und Treibenlassen.
Der Beitrag entstand im Rahmen einer Exkursion des MA Kulturpublizistik der ZHdK ans Filmfestival Visions du Réel in Nyon.