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Cesare 01

Cesare deve morire

In den letzten Jahren war es ein wenig still geworden um Paolo und Vittorio Taviani, die legendären italienischen Regiebrüder, schliesslich sind sie mit 81 und 83 Jahren auch nicht mehr die Jüngsten, doch nun melden sie sich vehement zurück.

Text: Michael Ranze / 24. Apr. 2013

Es beginnt mit dem Ende einer Theateraufführung von Shakespeares «Julius Cäsar». Eine schlichte Bühne, zeitgenössische Kostüme, Scheinwerferlicht. Die Verschwörer stechen mit Dolchen zu, der letzte Stoss ist der von Brutus. Während Marc Anton, ein Anhänger Cäsars, dem getöteten Tyrannen noch einmal huldigt, nimmt sich Brutus, der Grausamkeit seiner Tat wegen, das Leben. Das Stück ist zu Ende, die Zuschauer klatschen begeistert, die Schauspieler strahlen über beide Backen und dann die grosse Irritation: Während die Kamera zurückfährt, kommen ein Wachturm und Männer in Uniform ins Bild. Wir befinden uns in einem Gefängnis, die Schauspieler sind Häftlinge. Nach der Aufführung werden sie von Beamten wieder in ihre Zellen geführt.

In den letzten Jahren war es ein wenig still geworden um Paolo und Vittorio Taviani, die legendären italienischen Regiebrüder, schliesslich sind sie mit 81 und 83 Jahren auch nicht mehr die Jüngsten, doch nun melden sie sich vehement zurück. Auslöser für das Projekt war ein Besuch im Gefängnis Rebibbia am Stadtrand von Rom, wo Häftlinge mehrere Höllengesänge aus Dantes «Göttlicher Komödie» vortrugen und so ihre eigene Hölle, den Hochsicherheitstrakt, reflektierten. Man sollte sich keine Illusionen machen: Die schweren Jungs haben mit Drogen gedealt und Menschen ermordet, manche sitzen darum lebenslänglich ein. Über den Theaterregisseur Fabio Cavalli kam der Kontakt zustande, die Idee zu Cesare deve morire war geboren.

Nach dem farbigen Prolog wechselt der Film zu Schwarzweiss, «Sechs Monate früher» verkündet ein Zwischentitel. Alles auf Anfang also, und nun geht es – in den amüsantesten Szenen des Films – mit dem Casting los. Jeder Häftling stellt sich kurz vor, mit Namen und Herkunft, aber auch mit dem Vergehen und der Dauer der Strafe. Dabei sollen sie einmal traurig, einmal wütend sein – eine wundervolle, minutenlange Parade von Charakterköpfen, die mal schluchzen, mal schreien. Ob sie ihren Dialekt behalten dürften? Ob sie eigene Ideen einbringen dürften? Und dann fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Hier sind abgebrühte Knackis mit Leidenschaft, Interesse und Neugier bei der Sache. Sie fühlen sich im Laufe der Proben in ihre Rollen ein, identifizieren sich, kommen Shakespeare immer näher, entdecken, was er und Julius Cäsar vielleicht mit ihnen zu tun haben könnten. Und allmählich werden sie zu verdammt guten Schauspielern mit Präsenz und Charisma.

Cesare 02

Das Faszinierende an Cesare deve morire: Die Proben sind bereits Teil der Inszenierung, sie lassen sich von der eigentlichen Bühnenaufführung nicht trennen. Hatte man eben noch den Eindruck, einen Dokumentarfilm über die Entstehung eines Theaterstücks an ungewöhnlichem Ort zu verfolgen, ist man mittendrin in einem packenden Drama über Ehre und Freiheit, über Macht und Gewalt, über Freundschaft und Verrat – Themen, die durch den Handlungsort raffiniert gespiegelt werden. Die Verschwörer schmieden ihre Pläne in Gefängnisfluren, rotten sich im Hof zusammen oder lernen – jeder für sich – den Text in ihrer Zelle. Doch durch geschickte Montage entsteht der Eindruck, als würden sie direkt miteinander streiten. Und manchmal blicken Gefangene vom Geländer auf das Geschehen im Innenhof – als seien sie das römische Volk. Die schwarzweissen, sorgfältig austarierten Bilder verweisen noch einmal auf die Inszeniertheit des Films. Die Schauspieler des Theaterstücks bleiben, auch wenn sie aus ihren Rollen herausgetreten sind, Schauspieler des Films. Eine faszinierende, anspielungsreiche Brechung der Realität, die Theater, Film und Leben miteinander verzahnt und somit Shakespeare neue, ungewohnte Seiten abgewinnt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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