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Tunisreise 12

Die Tunisreise

Einer der ersten Sätze in diesem ebenso wort- wie bildreichen Film lässt das Publikum schmunzeln: «Klee m’a donné la clé», sagt Nacer Khemir, der bekannte tunesische Filmemacher, Erzähler und Maler. Er meint es durchaus ernst: Klees Tunesienbilder haben ihn, als er dreizehn war, gelehrt, das eigene Land, die eigene Kultur neu zu sehen, auf eine moderne Weise.

Text: Irène Bourquin / 01. Sep. 2007

Einer der ersten Sätze in diesem ebenso wort- wie bildreichen Film lässt das Publikum schmunzeln: «Klee m’a donné la clé», sagt Nacer Khemir, der bekannte tunesische Filmemacher (Les baliseurs du desert; Le collier perdu de la Colombe; Bab’Aziz), Erzähler und Maler. Er meint es durchaus ernst: Klees Tunesienbilder haben ihn, als er dreizehn war, gelehrt, das eigene Land, die eigene Kultur neu zu sehen, auf eine moderne Weise. Als Maler ist Nacer Khemir stark von Klees Werk beeinflusst. Als Filmer hat er etwas mit Klee gemeinsam: das Bestreben, Unsichtbares sichtbar zu machen.

In Bruno Molls Die Tunisreise ist es nun Nacer Khemir, der uns den Schlüssel gibt oder eher einen ganzen Schlüsselbund. Erzählend und kommentierend führt Khemir uns durch tunesische Städte und Landschaften, durch Basarstrassen und Moscheen, konfrontiert das Heute mit den Tagebuchnotizen Paul Klees von seiner berühmten Tunisreise, die er im April 1914 mit August Macke und Louis Moilliet machte. Wir hören die Tagebucheinträge – Klee hat sie später überarbeitet – aus dem Off. Der Filmtitel Die Tunisreise hat eine doppelte Bedeutung, denn Khemir reist auf den Spuren Klees, es ist auch seine Reise, die des Einheimischen, im Dorf aufgewachsen, mit sechs Jahren ins Internat geschickt – wo er nur eine Nummer war, die 86, und die orale Kultur gegen die Schrift tauschen musste –, später, als vielseitiger Künstler, Weltbürger geworden.

Die Route ist dieselbe: Tunis – Sidi Bou Said – Hammamet – Kairouan. Auch wenn fast hundert Jahre verflossen sind und sich manches geändert hat: das Licht, die Rhythmen und Zeichen der islamischen Architektur, die Farben des Landes lassen sich immer noch mit Klees abstrahierenden Bildern verbinden, ja überblenden. Die knapp vierzehntägige Reise war ein entscheidender Wendepunkt im Schaffen von Klee: Hier ist er, der um die Farbe ringen musste, schlagartig zum Maler geworden. «Die Farbe hat mich.» Auf diese Kürzestformel liess sich sein Tunesien-Erlebnis bringen. Klee fuhr fort: «Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiss das. Dies ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.»

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Klee fühlte sich in Tunesien zu Hause. Das Land sei «Stoff für Träume, entspricht meinem eigenen Ich», notierte er gleich nach der Ankunft. «Augen von Farben geblendet. Ohren in Klängen badend.» Die Filmbilder setzen ein mit Meer und Küste, Wind, Palmwedeln, Sonnen- und Schattenkuben. Klee war voller Tatendrang: «Kunst – Natur – Ich. Sofort ans Werk gegangen und im Araberviertel Aquarell gemalt. Die Synthese Städtebauarchitektur – Bildarchitektur in Angriff genommen» (Tagebuch, 8. April 1914). Einige Tage später: «Das erste Strandaquarell heute noch etwas europäisch. Könnte auch bei Marseille gemalt sein. Im zweiten traf ich zum ersten Male Afrika» (11. April). Das Licht, sagt Klee, kann man nicht direkt malen – es muss in die Seele eindringen. Diffuses Licht – davon ist im Film viel zu sehen – sei besonders interessant. «Dieses Land ähnelt mir und ist der Grund zu meiner Koloristik», schrieb Klee später. Auch Klees Reisegefährten Macke und Moilliet malten während dieses Aufenthalts Farbflecken, stellt Khemir fest, aber bei Klee sei kein Wille zum Naturalismus und: «Klee ist nie abgereist.» Klees Aussage, man müsse weniger Mittel brauchen als die Natur, wird veranschaulicht, wenn der Film nacheinander blühende Pflanzen am Strand und Klees Bild davon zeigt.

Im Laufe der Reise verweist Nacer Khemir immer wieder auf Muster und Zeichen, die Klee gesehen haben muss: Ornamente, abstrakte Muster am Minarett einer Moschee, auf Türbeschlägen, Teppichen, Stickereien, Tätowierungen. Schrift als Ornament, so auch an Khemirs Haus, wo er ein Relief geschaffen hat aus dem eckig geschriebenen Wort Mohammed und Teilen dieses Wortes – der Name des Propheten war auch der seines Vaters. Die Zeichen der islamischen Kultur sind überall zu finden und haben Klees Schaffen beeinflusst. Khemir verweist auf das Schachbrettmuster der Städte, das sich in Klees Farbfeldern spiegelt, auf die kleinen, zur Demut zwingenden Türen, auf den orientalischen Garten – abgeschlossen hinter hohen Mauern – als Ort der Träumerei, Vorgeschmack des Paradieses. «Paul Klee ist Maler und Garten zugleich», sagt Khemir. So sieht er hinter das Sichtbare – wie auch Khemir in seinen Filmen. Die Wüstenwanderer und das rätselhafte stumme Mädchen, das in Les baliseurs du desert den jungen Lehrer verzaubert; die zeitlose Prinzessin von Samarkand in Le collier perdu de la Colombe; der Prinz, der ein halbes Leben in Meditation versunken am Wasserloch verharrt, der alte, blinde und doch sehende Derwisch Bab’Aziz und seine quirlige Enkelin Ishtar: Figuren als Zeichen für anderes, Grösseres, Abstraktes. Szenen aus den Filmen Khemirs, plötzlich in Bruno Molls Film eingeschoben, wirken wie Tausendundeine Nacht, lebendig geworden im Heute. Sie steigen auf aus Nacer Khemirs Erzählen wie in Bab’Aziz die Geschichten in der Geschichte als bunte Träume aus der Wüste aufsteigen.

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Khemir macht – als Führer in Die Tunisreise ebenso wie in seinen eigenen Filmen – dem westlichen Publikum den geistigen Reichtum seiner Kultur bewusst, und er zeigt sein Verständnis des Islam als einer friedlichen Religion. Die Ruinen von Karthago, die auch Klee besuchte, sieht Khemir als stumme Zeugen eines früheren Nord-Süd-Konfliktes; die Basilika hoch über den Ruinen empfindet er als aggressiv triumphierend. «Ich weiss nicht, ob ein Dialog zwischen Nord und Süd möglich ist. Ich weiss nur, dass er wünschenswert wäre. Denn alle sehnen sich danach, in Frieden zu leben.» Künstler wie Klee, Rilke und einige andere sieht er als Brücken zwischen Orient und Okzident – eine solche möchte auch Bruno Moll bauen mit diesem Film. Ein vieldeutiges Zeichen sind die Schafsfiguren mit knochigen Köpfen, die Khemir in wiederholt eingeblendeten Szenen am Strand gruppiert.

Nacer Khemirs Persönlichkeit trägt den Film, trägt auch über einige Längen hinweg. Seine Ausführungen wirken freilich manchmal etwas dozierend neben Klees Farb- und Worträuschen. Doch in der Kunst sind sie sich nahe. Klee schreibt: «Das Ried und Buschwerk ist ein schöner Flecken Rhythmus.» Khemir sagt, Zeichnen sei für ihn nahe an der Musik, und wir sehen ihn (in seinem Haus, das eine wunderbar mauvefarbene Kuppel hat) beim Zeichnen auf Klees Spuren: «Dessiner, c’est prendre une ligne et partir en promenade», hat er von Klee gelernt. Die gezeichnete Figur erscheint als Abstraktion von Ishtars Tanz.

Die Tunisreise führt weiter nach Hammamet – für Klee sicher «un rêve de ville», sagt Khemir. Er demonstriert die Symmetrien, die sich an Häusern finden und ein Verweis sind auf die Realität und ihren Reflex – wie auch die Spiegelszenen in seinen Filmen. Heute seien die Spiegel blind, bedauert Khemir: Die Kultur werde nicht mehr tradiert. In Korba, wo die Ländereien seiner Vorväter liegen, hat Khemir ein Haus auf einem Hügel, in sanften Rosatönen bemalt: Hier plant er Ausstellungen und auch ein «atélier des utopies».

In der heiligen Stadt Kairouan, Endstation der Reise, taucht der Film, tauchte Klee ein in eine Märchenatmosphäre: «Tausendundeine Nacht als Extrakt mit neunundneunzig Prozent Wirklichkeitsgehalt» (Klee). Die Kamera von Matthias Kälin zeigt Entrücktes – wie auch die eingeschobenen Szenen aus Bab’Aziz, die in einer im Sand versunkenen Moschee spielen. Während Tunesiens Städte heute meist blau-weiss erscheinen, gibt es im verträumten Kairouan noch viele individuelle Farben, Nuancen. Kairouan, meint Khemir, sei für Klee wohl «une toile à échelle de ville» gewesen. Hier notierte er: «Die Farbe hat mich.»

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2007 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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