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On dirait le Sud

2000 initiierte Vincent Pluss mit anderen die «Doegmeli»-Bewegung, die Schweizer Antwort auf die dänischen «Dogma»-Filme. On dirait le Sud ist ein Kind dieses Engagements, überzeugt denn auch genau in seiner Beschränktheit der Mittel, mit einer authentischen Geschichte und ebensolchen Darstellern.

Text: Daniel Däuber / 01. Aug. 2003

Nacht, zwei junge Männer – Jean-Louis und François – sind in einem Kleinbus unterwegs. An der Raststätte gibts einen schnellen Kaffee, während der Fahrt vertreibt man sich die Zeit mit Zukunftsplänen. Am nächsten Morgen – François döst noch im Auto – hält Jean-Louis in einem Städtchen an, zieht ein frisches Hemd über und klingelt an einer Tür. Er überrascht zwei Kinder und eine junge Frau – seine Familie, von welcher der geschiedene Vater getrennt lebt, wie sich herausstellt. Als sein Kumpel François zu dieser «Familienzusammenkunft» stösst, dämmert ihm langsam, dass Jean-Louis gar nicht mit ihm ans Meer will wie abgemacht. All die Schachteln im Bus sind nämlich dessen Hab und Gut, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, wieder zu Frau und Kindern zurückzukehren.

So skizziert Vincent Pluss die Ausgangslage seiner Geschichte, die einen in 63 Minuten an der ereignisreichen Wiedervereinigung einer jungen Familie teilhaben lässt. Dem Regisseur ging es dabei nicht um kunstvoll ausgeleuchtete Settings, nuancierte Dialoge und eine verschachtelte Story. Aus dem Leben gegriffen, spontan und realistisch sollte es sein. Die mit der Digitalvideokamera festgehaltenen Szenen und die improvisierten Dialoge unterstreichen die Authentizität, die Figuren tragen dieselben Vornamen wie die Schauspieler. Das Ensemble vor der Kamera war überdies zu einem grossen Teil selbst dafür verantwortlich, wie die Geschichte umgesetzt wurde. Als Drehbuch existierten gerade mal vier Seiten mit der Handlungsskizze und Personencharakterisierungen. In wenigen Drehtagen wurde mit vier Erwachsenen und zwei Kindern diese Familiengeschichte entwickelt. Dabei dürften gerade Gabriel und Dune (vierzehn und sechs Jahre alt) als Gradmesser fungiert haben, ob eine Szene für sie umsetzbar, realistisch war.

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Schon ganz zu Beginn, als Gabriel von seinem Vater an der Tür überrascht, Dune vom Fernseher weggeholt wird, und die drei Céline (die Mutter) im Bett wecken, wirkt das äusserst realistisch. Auch in den Szenen, in welchen Jean-Louis sich mit seinem Kumpel bei der Familie einzuschmeicheln versucht, sowie bei der folgenden Eskalation überzeugen Gabriel und Dune als zwischen den Elternteilen hin- und hergerissene Scheidungskinder. Es bleibt nicht beim vergnügten Spielen und Backen von Crêpes; Fred, Célines neuer Freund, kommt von der Arbeit heim und nimmt die Besucher erst einmal freundlich auf. Als Jean-Louis jedoch auf Konfrontationskurs geht, die Kinder im Supermarkt gegen Fred auszuspielen versucht, kommt es zum Krach. Schliesslich macht man sich auf zu einem gemeinsamen Picknick. Dieses wird jedoch nicht nur von einem meteorologischen Tief überschattet, und so ist es unausweichlich, sich auf einen Modus des weiteren Zusammenlebens zu einigen.

Nach einem Filmstudium in New York war Regisseur Vincent Pluss als Cutter und Produktionsassistent tätig, hat fürs Fernsehen gearbeitet, Videoclips und Tanzfilme gedreht (The Moebius Strip). Sein Kurzfilm Tout est bien wurde mehrfach ausgezeichnet. 2000 initiierte er mit anderen die «Doegmeli»-Bewegung, die Schweizer Antwort auf die dänischen «Dogma»-Filme. On dirait le Sud ist ein Kind dieses Engagements, überzeugt denn auch genau in seiner Beschränktheit der Mittel, mit einer authentischen Geschichte und ebensolchen Darstellern. An den diesjährigen Solothurner Filmtagen hat die Schweizer Filmszene dem Genfer mit dem Filmpreis ihre Anerkennung für dessen Experiment gezollt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2003 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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