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Eden 07

Eden

Regisseur Michael Hofmann erzählt in Eden – nach Der Strand von Trouville und Sophiiiie! – die heiter besinnliche Geschichte einer Selbstfindung. Ganz leicht und unangestrengt lässt er seine ungewöhnlichen Charaktere vor der Kamera Gestalt annehmen. Drei Menschen, die sich neu orientieren müssen:

Text: Herbert Spaich / 01. Okt. 2006

Gregor ist Meisterkoch mit einem eigenen, kleinen, sehr feinen Restaurant: ein Künstler mit erotischem Verhältnis zur Küche und allem, was dazu gehört. Die Kreation seiner exquisiten Menüs erlebt er als künstlerischen Akt, der alle seine Sinne berührt. Deshalb ist sich Gregor selbst genug. Das zeigt sich bereits in der ersten Einstellung des Films. Gregor rupft nicht nur die Gans für den leckeren Gänsebraten, sondern stimmt sich mental auf die Zubereitung ein. Mit einer süffisanten Note lässt Regisseur Michael Hofmann gleich vorneweg erkennen, auf was es ihm bei eden ankommt. Auf die quasi intimen Momente im Arbeitsleben von Star-Vorkochern von der Art der Lafer oder Witzigmann. Auch Gregor setzt sich gerne in Szene, und ein entsprechend zubereitetes Essen ist für ihn der absolute Ausdruck von Lebensqualität: Das sieht man seiner Körperfülle an. Unter der er freilich nicht leidet, sondern die er von Kindheit an kultivierte. So wurde Gregor im Laufe der Jahre ein Mensch, der nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Ob er dabei freilich glücklich ist, bleibt den ganzen Film über offen.

Da für den Koch die «Cucina erotica» Sex genug ist, schenkt er dem anderen Geschlecht nur beiläufige Beachtung. Vielleicht, weil sie eine entfernte Affinität zu seinem Beruf haben, beobachtet Gregor allerdings gerne Bedienungen – wenn er sich gelegentlich eine Auszeit von seiner Küche gönnt. Da fällt ihm eine nicht mehr ganz junge Kellnerin in seinem Stammcafé auf, in dem er täglich seinen Espresso zu sich nimmt.

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Eden ist der ungewöhnliche Name der kapriziösen Frau. Über Edens kleine Tochter Leonie lernt Gregor sie näher kennen. Leonie lebt trotz Down-Syndrom mit sich und der Welt im Reinen. Davon auch nur zu träumen hat ihre Mutter Eden längst aufgegeben. Die Behinderung des Kindes, ein Gatte – Xaver, der beim Kurkonzert für Tanzkurse zuständig ist – und ihre schwierigen Schwiegereltern sorgen dafür, dass Eden das Gefühl hat, im Leben zu kurz gekommen zu sein.

Das Erlebnis mit Gregors handgemachten Pralinen sind Edens erster Schritt in einen neuen Kosmos der Genüsse. Von da an kommt Eden regelmässig in Gregors Restaurant, um kulinarisch zu schwelgen. Der pure Genuss macht aus ihr einen neuen Menschen, was Gregor das Gefühl gibt, dass es noch etwas anderes gibt ausser der permanenten Selbstverwirklichung am Herd. Das fällt natürlich auch Xaver auf, der völlig falsche Schlüsse zieht. Gregor und Eden verbindet eine Amour fou der besonderen Art.

Regisseur Michael Hofmann erzählt in Eden – nach Der Strand von Trouville und Sophiiiie! – die heiter besinnliche Geschichte einer Selbstfindung. Ganz leicht und unangestrengt lässt er seine ungewöhnlichen Charaktere vor der Kamera Gestalt annehmen. Drei Menschen, die sich neu orientieren müssen: Gregor ahnt, dass weder seine Kochleidenschaft noch seine Egozentrik das Mass aller Dinge sein können; Eden findet eine Position zu sich selbst, zu ihrem Mann und – zu Gregor; Xaver bleibt nichts anderes übrig als einzusehen, dass er Leonie trotz ihrer Behinderung akzeptieren muss, wenn er Eden nicht verlieren will. Erst die gegenseitige Erfahrung gibt schliesslich jedem die Kraft, sein «Schneckenhaus» zu verlassen und Gefühle über das bisher streng limitierte Mass hinaus zuzulassen. Erst dann eröffnen sich die neuen Ufer. Dieser Prozess ist nicht leicht und bedarf allerlei Überwindung. Zu den erstaunlichen Seiten dieses Films gehört die Kunst des Regisseurs, aus einer konfliktreichen Beziehung eine in der äusseren Form federleichte Komödie zu entwickeln. Dabei hat er die Ernsthaftigkeit nie aus den Augen verloren.

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Mit grossen staunenden Kinderaugen erlebt Gregor die Veränderungen an sich selbst und an Eden. Geschickt hält Hofmann ihre fragile Beziehung in der Schwebe. Wobei offen bleibt, ob sich die Beziehung auf das Zubereiten und Servieren feiner Speisen beschränkt. Insofern ist Xavers Eifersucht durchaus begründet – er strengt sich aber an, um Eden ein Äquivalent zu Gregors Gourmet-Ereignissen zu bieten. Die Konstellation mutet französisch an. Der Deutsche Michael Hofmann fand mit Rohmer und Rivette im Hinterkopf bei Eden zu einem eigenen, sehr sympathischen Stil.

Das Lokalkolorit von Bad Herrenalb im nordbadischen Schwarzwald spielt als geografische Zuordnung für die Handlung des Films eine wichtige Rolle. Die Atmosphäre des überschaubaren Kurorts gibt ihr ein besonderes Flair, das über einen nur dekorativen Hintergrund hinausgeht. Hier hoffen die Protagonisten ein Zuhause zu finden, im übertragenen wie im konkreten Sinn.

Besonderer Erwähnung wert sind schliesslich die Leistungen der Darsteller. Josef Ostendorf hat hier als Gregor zum ersten Mal auf der Leinwand Gelegenheit, sein grosses schauspielerisches Können zu beweisen. Devid Striesow entwickelt von Film zu Film immer mehr Profil. Dank Hofmanns konsequenter Führung kann auch die «Viva»-Moderatorin Charlotte Roche im vorzüglichen Ensemble bestehen. Mit Fingerspitzengefühl gelang es dem Regisseur sogar, das behinderte Kind zu integrieren, ohne dass es peinlich wird. Das Ergebnis ist ein wunderschöner Film, der Mut macht und gleichzeitig auf sympathische Weise unterhält.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2006 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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