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Fell in Love with a Girl

Kann die Familie zusammenbleiben, auch wenn die Wege der Eltern sich trennen? Kaleo La Belle porträtiert in seinem Dokumentarfilm ehrlich und schonungslos das Scheitern einer mutigen Idee.

Text: Till Brockmann / 12. Juni 2018

Die eigene Familie zum Gegenstand eines Dokumentarfilms zu machen, ist keine Seltenheit. Auch in der Schweiz wurde das Thema in den letzten Jahren regelmässig und vor allem mit Erfolg aufgegriffen: ­Sieben Mulden und eine Leiche (Thomas ­Haemmerli, 2007), [art:790] (Fosco & Donatello Dubini, 2010), [art:218] (Peter Liechti, 2013), [art:57] (Samir, 2014) oder [art:651] (Eva Vitija, 2015), um nur einige Werke zu nennen.

Die meisten dokumentarischen Familienfilme schauen naturgemäss eher in die Vergangenheit, und das nicht selten, um die Gegenwart zu ermessen. Und der Zugriff auf die eigene Familiengeschichte wird oftmals weniger von nostalgischer Verklärung als von selbsttherapeutischer Erkenntnis begleitet. So drehte auch der amerikanisch-schweizerische Regisseur Kaleo La Belle mit seinem Beyond this Place 2010 einen offenen, berührenden, aber auch schonungslosen Film über das Wiedersehen mit seinem Vater, der ihn in seiner Kindheit verlassen hatte, um nach der grenzenlosen Freiheit zu suchen, wie sie sein Flower-Power-Credo versprach.

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Auch in Fell in Love with a Girl steht ein Vater auf dem Prüfstein: Es ist der Regisseur selbst. Doch dieses Werk richtet sein Augenmerk eindeutig auf die Gegenwart – sogar auf die Zukunft. Mit der geschiedenen Ehefrau, drei gemeinsamen Kinder sowie der neuen Lebenspartnerin wird der Entschluss gefasst, von der Schweiz nach Oregon zu ziehen, um dort ein neues Leben aufzubauen. Da man sich gegenseitig respektiert und den grossen Wunsch hat, die Kernfamilie nicht auseinanderzureissen, sucht man ein neues Heim, das allen Beteiligten genug Entfaltungsraum bietet.

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Ab der ersten Sekunde buchstabiert sich vor der Kamera, die La Belle grösstenteils selbst führt, ein beziehungsdynamischer Prozess, bei dem der Filmemacher Betrachter und Betrachteter zugleich ist – und zum Glück nie Richter. Die erzielte Nähe ist beeindruckend und erlaubt den Zuschauer_innen eine ungemeine Immersion in fremde Gefühlswelten, die via Empathie (und wohl auch Querbezügen zu Ereignissen in der eigenen Familie) zusätzlich an Intensität gewinnen. Diese Nähe ist manchmal aber auch schwer auszuhalten, fast klaustrophobisch, da man bald merkt, dass wir hier auch zu unmittelbaren Zeugen eines schmerzlichen Scheiterns werden.

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Kurze Auszeiten aus diesem emotionalen familiären Biotop gewähren Einschübe in Form von poetischen Montagepassagen (Schnitt: Tania Stöcklin) und – manchmal etwas aufgesetzt wirkende – Auftritte von Künstlerfiguren, die sich auf ihre Weise, ganz unabhängig, der filmischen Themen annehmen. Beeindruckend ist jedoch, wie hüllenlos sich in jedem Moment von Fell in Love with a Girl die künstlerischen, dokumentarischen und existenziellen Ansprüche preisgeben und damit zugleich hinterfragen. Diese Transparenz, die nicht zuletzt durch ein von Peter Mettler gesprochenes Voice-over unterstützt wird, erlaubt es auch, dass alle Personen, einschliesslich der Kinder, Entfaltungsspielraum, ein Profil und vor allem ihre Würde bewahren.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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