Filmbulletin Print Logo
Han bamk

Halleluja! Der Herr ist verrückt

Alfredo Knuchel zeigt in seinem Dokumentarfilm sechs Künstler, die in der psychiatrischen Universitätsklinik der Waldau betreut werden. Sie sind Psychiatriepatienten, deren Krankheitsbilder unschwer auszumachen sind.

Text: Herbert Spaich / 01. Mär. 2004

Dank Adolf Wölfli (1864–1930) ist das Irrenhaus Waldau bei Bern –heute eine moderne psychiatrische Universitätsklinik – in die Kunst- und Kulturgeschichte der Moderne eingegangen. Der psychisch Kranke als Künstler ist seit Wölflis Kopfwelten bei Psychiatern und Kulturwissenschaftlern gleichermassen ein gern beschriebenes Thema. Zwischen Rorschachtest und Genialität am Rande schwerer psychischer Krankheiten wird gerne Über «Art brut» diskutiert.

Alfredo Knuchel erspart uns derlei in seinem Dokumentarfilm über sechs Künstler, die heute in der Waldau betreut werden. Sie sind Psychiatriepatienten, deren Krankheitsbilder unschwer auszumachen sind. Da braucht es keine weitere Erklärung. Wichtiger ist, wie sie kreativ Kunstwerke von grosser Intensität schaffen. Knuchel beobachtet sie dabei, ohne sie vorzuführen. Selbst in schwierigen Momenten, etwa wenn einer der Protagonisten bei laufender Kamera von seiner Psychose eingeholt wird. Halleluja! Der Herr ist verrückt ist vor allem am Akt der Kreation interessiert, daran, wie jeder künstlerische Ausdruck ein Ringen mit sich und den Umständen ist. Selten wurde das so klar und ohne Attitüde in einem Film beschrieben. So erinnert der Film in seinen stärksten Momenten an Clouzots Picasso-Dokumentation. Wir erleben Menschen, die ganz und gar in ihrer Kunst aufgehen und daraus ihre eigentliche Lebensqualität beziehen.

Han steiger

Ort der Handlung ist häufig die Werkstatt des Klinik-Malermeisters. Ein Mensch, der für die Künstler ein Vertrauter und eine Verbindung zur Welt ausserhalb der Psychiatrie ist. Einer der weiss, was diesen Menschen gut tut, und der gleichzeitig ihre enormen künstlerischen Leistungen einzuschätzen versteht. Knuchels diskretem Umgang mit der Kamera ist es zu verdanken, dass dabei ganz starke Momente zustande gekommen sind. Einen anderen Gegenpol zu den Künstlern gibt ein Schlossermeister ab, der sich nach seiner Pensionierung um die berühmte Kunstsammlung der Waldau und das inzwischen international bekannte Psychiatrie-Museum kümmert. Auch ihm geht es darum, jenen aus der Seelenqual geborenen künstlerischen Ausdruck zu bewahren und zu würdigen.

Die beiden Handwerker und die Kunst tragen entscheidend zur unspektakulär spektakulären Atmosphäre in Knuchels Film bei. Wie bereits bei Besser und besser und ganz besonders bei seinem aufregenden Portrait eines Boxers in Vaglietti zum Dritten ist die ausserordentliche Qualität auch seines neuen Films das Ergebnis hohen formalen Könnens in Verbindung mit dem Blick eines Humanisten auf das eiserne Bemühen von Menschen, sich und die Welt zu begreifen. Unter dieser Prämisse werden wir Zuschauer Zeuge bei der Entstehung von Kunstwerken, die ihre Qualität haben und nicht auf den ersten Blick als «Klinik-Kunst» aus der Psychiatrie auszumachen sind. Das ist gut so.

Ganz nebenbei vermittelt diese Dokumentation etwas vom Wesen eines jeden künstlerischen Ausdrucks, von ihrer Alltäglichkeit für den Künstler. Für ihn bedarf es einer mehr oder weniger abgeschlossenen Welt, um zu seiner Kunst zu finden. Ob es sich dabei nun um die hermetisch überschaubare Wirklichkeit einer psychiatrischen Klinik handelt oder die berühmte einsame Insel, bleibt sich letztlich gleich. Was den Weg auf die Leinwand, auf das Papier oder in die Collagen der Künstler findet, das sind die feinen Schwingungen aus der Welt und ihrer manchmal kaum dechiffrierbaren Signale. Dem hat Alfredo Kunchel mit seinem wunderbaren Film Halleluja! Der Herr ist verrückt Ausdruck verliehen. Er macht auch deutlich, dass es das sogenannte «Normale» eben nicht gibt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2004 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

01. Aug. 2006

Hardcore Chambermusic

Anfang September 2005 ins Konzert gegangen. Zu spät gekommen. Vor einer geschlossenen Tür gestanden, ehrfürchtig gewartet. Der Spätsommerabend ist verboten schwül. Aus den Bars und Kneipen der näheren Umgebung dringen Schwatzgemurmel, vereinzelt gelles Frauenlachen, dunkle Männerlachsalve: Ausgehgeräusche in Zürich West.