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Lukas Moodysson: «Ich springe gern ins kalte Wasser»

Der Regisseur von Tilsammans 99 gibt Einblick in den poetischen Entstehungsprozess seines neusten Werks und spricht über die Bedeutung von Lockerheit und Stimmung.

Text: Hansjörg Betschart / 02. Apr. 2024

FB Vor 25 Jahren standen Schauspieler: innen bei Ihnen zum ersten Mal vor der Kamera. Nun sind fast alle wieder dabei. Haben Sie sich in der Zwischenzeit oft getroffen?

LM Selten. Sie kennen sich untereinander viel besser. Ich lebe eher zurückgezogen. Einzelne habe ich vielleicht 20 Jahre nicht gesehen.

FB Haben Sie viel geändert am Buch, als Sie den Cast nach 25 Jahren wieder getroffen haben?

LM Es gibt Szenen, die sind stark improvisiert. Andere genau nach Plan. Ich mag Proben nicht. Ich ziehe beim Dreh das direkte all in vor und schaue mir an, was entsteht. Ich springe gern ins kalte Wasser.

FB Das schafft Raum für Improvisation.

LM Genau. Ich sehe meine Aufgabe hauptsächlich darin, auf dem Set die gute Stimmung zu halten. Darstellende, die Spass haben, haben Vertrauen, lassen sich auch in schwierigen Szenen leicht gehen. Hier hilft auch die Kamerafrau Ellinor Hallin, die selber als Regisseurin von Dokumentarfilmen grosse Erfahrung im spontanen Arbeiten mitbringt und auch den Dreh mitentwickelt.

FB Haben Sie das chronologisch spielen lassen?

LM Es blieb beim Versuch. Immerhin haben uns zwei Zusatztage geholfen.

FB Der Film vermittelt eine angenehme Nähe, Vertrautheit, auch in risikoreichen Szenen. Haben Sie ein Geheimnis?

LM Spielende wollen sich gewollt fühlen. Eine entspannte Arbeitsstimmung lässt sie lachen, auch im Scheitern. Das finde ich wichtig. Sie müssen sich testen dürfen. Sie gehen nur Wagnisse ein, wenn sie sich wohl fühlen - auch wenn ein Versuch schief geht. Ich will auch zugeben dürfen, wenn ich nicht weiter weiss. Eines versuche ich allerdings strikt: Ich gewinne Zeit für die Spielenden, indem ich sie nicht mit der Technik verschwende. Hier hilft Ellinor mit ihrer Intuition. Sie wechselt Kamerastandpunkte, springt, rennt, schafft Konzentration um die Spielenden. Für die ist die Zeit da.

FB Inwiefern beeinflusst Ihr Schreiben als Lyriker Ihre Filmarbeit?

LM Ich denke in einer Poetik, in der Texte mehrere Dimensionen liefern. Ich folge in Referenzen Marcel Proust oder verweise auf Tschechow, ohne den Film zu komplizieren. Das hilft mir, meine Ideen auch literarisch zu verfolgen. Das ist wie Romanschreiben. Nur belohnt einen Film, wenn das Geschriebene plötzlich vor den Augen zu leben beginnt. Mit Gedichten habe ich lange pausiert. Sie sind der Erste, dem ich das verrate: Ich habe einen einen neuen Band in Vorbereitung, der wohl in einem Jahr erscheinen wird.

FB Sie arbeiten immer sehr persönlich. Welche Figur vertritt Sie im Film?

LM Jede, auf ihre art. Ich liebe es, wenn Menschen Gutes tun, zur falschen Zeit. Oder plötzlich Geständnisse ablegen, die niemanden interessieren. Mjriam kommt mir insofern nahe, als sie dazu stösst, registriert, von aussen. Sie ist meine Delegierte im Film. Sie ist in gewisser Weise auch der Trost in der Not.

FB Haben Sie eine Vergangenheit in einer Wohngemeinschaft?

LM Nein. Ich bin da irgendwie gehemmt. Verloren. Ich blicke aber gerne auf die Erfahrungen von Menschen, die sich freiwillig finden und verlieren. Ich selber mag es, mit meiner Familie zu leben. Mein Sohn hat mir zum Beispiel während dem Schnitt immer wieder über die Schulter geschaut und Tipps gegeben. Meine Tochter spielt eine der Jugendlichen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2024 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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