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Markus Raetz

Zum ersten Mal wird das Schaffen des international erfolgreichen Schweizer Künstlers, das sich über vier Jahrzehnte erstreckt, in einem Filmporträt gewürdigt. Lange Jahre hatte sich der bescheidene Skulpteur erfolgreich gegen die störende Anwesenheit einer Kamera während der Arbeit gewehrt.

Text: Nicole Hess / 01. Aug. 2007

Markus Raetz gehört zu den Künstlern, deren Werke auf den ersten Blick denkbar simpel erscheinen. Ein Draht, ein Stück Holz, ein paar Olivenblätter – mehr ist da nicht. Doch wer vor den filigranen Installationen ausharrt oder sich um eine der minimalistischen Skulpturen herumbewegt, kann das Wunder der Verwandlung erleben: Aus einem NON wird unvermittelt ein OUI, aus einem Hasen ein Mann mit Hut.

Raetz’ Kunst basiert auf der Erkenntnis, dass die Dinge mindestens zwei Seiten haben – es kommt nur drauf an, aus welcher Perspektive man sie betrachtet. In Drehkonstruktionen lässt er Formen fliessend ineinander übergehen, auf Wiesen und Wänden sich Einzelteile zu Figuren fügen. Im Raum zeichnen zu können, sei einer seiner Antriebe gewesen, sagt er im Dokumentarfilm Markus Raetz einmal, den der Schweizer Fotograf und Regisseur Iwan Schumacher über ihn gedreht hat. Die Aussage beschreibt ziemlich genau den zugleich auf Reduktion bedachten und spielerischen Charakter seiner Werke.

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Zum ersten Mal wird das Schaffen des international erfolgreichen Schweizer Künstlers, das sich über vier Jahrzehnte erstreckt, in einem Filmporträt gewürdigt. Lange Jahre hatte sich der bescheidene Skulpteur erfolgreich gegen die störende Anwesenheit einer Kamera während der Arbeit gewehrt. Schumacher, mit dem er seit den späten Sechzigerjahren befreundet ist, hat er nun Zutritt zum Berner Atelier, das mit den Mobiles und der Werkbank einem Forschungslabor gleicht, und zum pied-à-terre im südfranzösischen Ramatuelle gewährt.

Wir sehen den Handwerker Raetz einen Draht so lange zwischen den Fingern bearbeiten, bis das Teil die richtige Krümmung aufweist; wir sehen den Zeichner Raetz als Zuschauer in einer Kunstgiesserei, wo Arbeiter seine Man-Ray-Adaption in die fertige Form bringen; und wir sehen den Künstler Raetz sich freuen wie ein Kind, als das Objekt bei der Einrichtung einer Ausstellung tadellos funktioniert: Es sind diese Nahaufnahmen des Schaffensprozesses, verbunden mit Interviewsequenzen, die Schumachers Porträt sehenswert machen.

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Darüber hinaus vermittelt der Film einen Überblick über den künstlerischen Weg des 1941 in Büren an der Aare geborenen Kreativen und verfolgt die Entstehung eines Einzelwerks von der Idee bis zur Realisierung. Mit persönlichem Fotomaterial, Auszügen aus Skizzenbüchern, die sich immer wieder als wahre Fundgruben erweisen, und im Gespräch mit Ad Petersen, dem ehemaligen Kurator des Stedelijk Museum in Amsterdam, dokumentiert er insbesondere den für Raetz prägenden Aufenthalt in der niederländischen Hauptstadt.

Fern der engen Heimat, entwarf er in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren Skizzen von Gesichtern und Körpern, die ihn in ihrer Zeichenhaftigkeit bis heute faszinieren. Seine Stärke sei weniger die Geduld, sagt er einmal, als vielmehr die Fähigkeit, Dinge ruhen zu lassen, wenn es nicht mehr weitergehe, und später die Fäden wieder aufzunehmen.

Abgerundet wird die Dokumentation durch die minimalistische, aber auch etwas repetitiv eingesetzte musikalische Untermalung einzelner Kunstwerke und persönliche Einschätzungen von Raetz’ Lebenspartnerin und Modell Monika. Mit Markus Raetz gelingt Schumacher so das inspirierte Porträt eines Tüftlers und Denkers, eines Wahrnehmungskünstlers auch, dessen Schaffen ebenso von Poesie wie von der Lust am Experimentieren geprägt ist.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2007 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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