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«Ohne Musik wäre ich nicht zum Film gestossen»

1998 «schleppte» mich ein Freund am Jazzfestival von Montreux in ein Konzert von Maria Bethânia. Ich kannte sie nicht, und überhaupt hatte ich keine Ahnung von brasilianischer Musik. Es war ein verrücktes Konzert.

Text: Doris Senn / 01. Nov. 2005

FILMBULLETIN Wie kam es zum Projekt «Maria Bethânia»?

GEORGES GACHOT Seit mehr als fünfzehn Jahren mache ich nun ja schon Filme über Musik, vor allem klassische, und vor allem fürs Fernsehen. 1998 dann «schleppte» mich ein Freund am Jazzfestival von Montreux in ein Konzert von Maria Bethânia. Ich kannte sie nicht, und überhaupt hatte ich keine Ahnung von brasilianischer Musik. Es war ein verrücktes Konzert: zuerst sie – mit ihren langen Haaren, barfuss, ihrem breiten Lächeln und ihrer unglaublichen Präsenz. Und dann die Musik – ihr Repertoire, die Übergänge, die Stücke: weder Dur noch Moll, Melodien, die unvermittelt anfangen und ebenso in der Luft, auf der Septime, aufzuhören scheinen – die Modulationen und Rhythmuswechsel waren mir völlig unbekannt. Es war Neuland, und gleichzeitig war ich zutiefst berührt. Ich habe mich dann in ihre Musik reingehört – aber noch ohne überhaupt auch nur einen entfernten Gedanken an ein Filmprojekt. Erst nach meinem Film über die argentinische Pianistin Martha Argerich kam das Bedürfnis nach einem Richtungswechsel, von der klassischen Musik weg, und ich besann mich auf Maria Bethânia. Es war ein spontaner Entschluss. Als ich begann, hatte ich noch keinen Schimmer davon, wie berühmt sie in Brasilien war.

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FILMBULLETIN Wie ging der Dreh vonstatten? Wann und wo durften Sie drehen?

GEORGES GACHOT Es waren insgesamt zehn Wochen Dreharbeit während drei Aufenthalten in Brasilien. Im Studio, bei den Proben und Konzerten hatten wir kaum Einschränkungen. Schliesslich hat sie uns dann sogar bei sich zu Hause ein Interview gegeben – was sie äusserst selten macht. Es war eine Vertrauenssache. Um ihre Einwilligung für den Film zu erhalten, hatte ich ihr mein Argerich-Porträt gegeben, und das hatte ihr gefallen, weil es so spontan und ungeschminkt war, ohne künstliches Licht et cetera. Das war auch meine Motivation: über Maria Bethânia zu ihren kreativen Wurzeln vorzudringen, zu zeigen, wie ihre Person, ihre Stimme und ihre Musik eins sind. Kommt dazu, dass ich völlig unbelastet auf sie zuging – also einen frischen Blick auf sie werfen konnte, vergleichbar einem europäischen Publikum, das sie noch kaum kennt und das nun den Film zu sehen bekommt. Spontaneität und Unvoreingenommenheit sind wichtige Stichworte für mich beim Filmen. Ebenso bei den Interviews – ich stelle selten Fragen. Ich hatte ja so Koryphäen wie Caetano Veloso, Maria Bethânias Bruder, vor der Kamera, oder Chico Buarque, von dem man sagt, dass er die «Seele» der brasilianischen Musik sei und der mehr als 500 Lieder komponiert hat, die alle auswendig können. Ich habe dabei jeweils von Anfang an klargestellt, dass ich nichts von brasilianischer Musik verstehe – was ja auch ein bisschen als Anmassung verstanden werden könnte –, und sie dann erzählen lassen.

FILMBULLETIN Sie hatten vor kurzem die Premiere des Films in Brasilien. Wie reagieren die Brasilianer auf Ihren Film?

GEORGES GACHOT Enthusiastisch. Und gleichzeitig erstaunt, dass es einem Ausländer gelungen ist, so nah an Maria Bethânia heranzukommen. Und das, ohne die üblichen Klischeebilder von Brasilien.

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FILMBULLETIN Wie sah das Konzept für die Aufnahmen neben den Studio- und Konzertmitschnitten aus?

GEORGES GACHOT Mit dem Kameramann Matthias Kälin haben wir zwar Idee und Stimmungen besprochen, die Auswahl, das Framing lag dann aber in seiner Hand. Dabei war vor allem wichtig, den ersten Eindrücken treu zu bleiben, keinen intellektuellen Zugang zu erzwingen. Schliesslich entsteht die Auswahl – und damit der Rhythmus eines Films – nicht zuletzt beim Schnitt. Es sind nun wohl am ehesten impressionistische Bilder im Film – wobei wichtig war, dass der Fluss der Musik nicht gebrochen wurde. Für mich ist der Ablauf der Stücke, die Musikalität eines Films enorm wichtig. Die Musik steht bei allen Filmen – mit Ausnahme derjenigen über Beatocello und sein Kinderspital in Kambodscha – im Mittelpunkt. Ohne Musik wäre ich gar nicht erst zum Film gestossen. Die inhaltliche Information kommt für mich erst an zweiter Stelle. Deshalb sehe ich Maria Bethânia eigentlich auch nicht als Dokumentarfilm, vielmehr als «musikalische Vision».

FILMBULLETIN Ihr nächstes Projekt?

GEORGES GACHOT (Lacht.) Darüber möchte ich nichts sagen. Alle in Brasilien haben mich danach gefragt. Aber es wird wahrscheinlich wieder so sein, dass ich kein Geld vom Bund kriege, weil ich anfangen muss zu drehen, bevor ich das Dossier einreichen kann. Sicher ist, dass es wieder um brasilianische Musik gehen und auch dass es ein risikofreudiger Film sein wird.

Das Gespräch mit Georges Gachot führte Doris Senn

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2005 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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