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Operation libertad 01

Opération Liberdad

Im Kern wirft Opération Libertad die gleichen Fragen auf, wie es schon The Crying Game oder Die fetten Jahre sind vorbei (auch mit Stipe Erceg und Berghütte) getan haben. Wie weit darf man gehen im Kampf um das vermeintlich Gute? Was passiert, wenn eine militante Aktion aus den Fugen läuft? Wer trägt die Konsequenzen?

Text: Stefan Volk / 31. Okt. 2012

1978: Hans Martin Schleyer ist tot, Andreas Baader ist tot, nicht jedoch der Glaube an die Revolution. Neue Formen des militanten Widerstandes beginnen sich zu entwickeln. In der Westschweiz formieren sich zwei Frauen und drei Männer zur «Groupe Autonome Révolutionaire» GAR. Sie sind jung, diskutieren gerne, tragen Lederjacken, hören Punkmusik, und es hat sie so nie gegeben. Virginie, die selbstbewusste, kluge Anführerin; die aufsässige, energiegeladene Charly; der intellektuelle Lehrer Guy; der heroinsüchtige Marko aus Deutschland und der melancholisch dreinschauende Portugiese Baltos mit seinem virilen Arbeitercharme: sie alle sind ebenso fiktiv wie die Aktion, der Nicolas Wadimoffs Spielfilm den Titel verdankt. Die fünf überfallen früh morgens die Filiale einer Zürcher Bank. Sie sind nicht auf das Geld aus, sondern auf ein Geständnis. Ein besonderer Kunde ist in der Bank: Vilas, ein Kurier und Folterknecht des paraguayischen Militärregimes. Vor laufender Kamera sollen der Filialleiter und Vilas erklären, dass in der Schweizer Bank Vermögenswerte der Stroessner-Diktatur deponiert seien.

Dieser Überfall fand so zwar nie statt, aber vorstellbar wäre es schon gewesen. Dass Gelder aus Paraguay auf Schweizer Konten lagerten, ist realistisch, wie Wadimoff betont. Auch die handelnden Figuren seien nicht aus der Luft gegriffen, sondern entstammten, mehr oder weniger verändert, Wadimoffs Vergangenheit. Die glaubwürdige, nuancierte Personenzeichnung spricht dafür. Das flüssig inszenierte Drehbuch, die authentische Dialogregie und nicht zuletzt die überzeugenden, ungeheuer präsenten Darsteller lassen das Geschehen so lebendig wirken, dass man glaubt: So ähnlich hätte es sein können. Wadimoff geht in seiner Fiktion noch einen Schritt weiter und behauptet: So war es, es hat nur keiner mitgekriegt, weil Bank und Polizei den Vorfall verschwiegen. Als Beleg führt er die (fiktiven) Originalaufnahmen ins Feld, die der junge Kunststudent Hugues damals gedreht hat. Mit laufender Kamera war er überall dabei: bei den Vorbereitungen, beim Schiesstraining und auch, als der Überfall ausser Kontrolle geriet, die Gruppe Vilas entführte und mit auf eine Schweizer Berghütte schleppte.

Operation libertad 02

Mit diesem Erzähltrick rechtfertigt Wadimoff, der selbst vom Dokumentarfilm kommt, den Handkamerastil. Allerdings ist gerade das nicht glaubhaft. Viel zu viel dreht Hugues, es entstehen kaum narrative Lücken, zu kinoschön sind die Aufnahmen, es wackelt zwar, aber immer nur ein bisschen. Manchmal filmt Hugues auch heimlich durchs Gebälk hindurch und ertappt jemanden in einem besonders emotionalen Moment. Ähnlich aufgesetzt wie dieses formale Arrangement wirkt die medienkritische Botschaft über Macht und Ohnmacht der Bilder. Die GAR wird vom Establishment schlichtweg totgeschwiegen. Auch mit ihrer eigenen Kamera kommen sie nicht dagegen an, weil sie niemanden finden, der ihre Bilder zeigt. Ein interessanter Gedanke, der letztlich aber nur eine Nebenrolle spielt.

Im Kern wirft Opération Libertad die gleichen Fragen auf, wie es schon The Crying Game oder Die fetten Jahre sind vorbei (auch mit Stipe Erceg und Berghütte) getan haben. Wie weit darf man gehen im Kampf um das vermeintlich Gute? Was passiert, wenn eine militante Aktion aus den Fugen läuft? Wer trägt die Konsequenzen? Am spannendsten, am bewegendsten, am stimmigsten ist Opération Libertad da, wo er sich auf sein famoses Schauspielensemble verlässt und wo man spürt, wie es brodelt in der Gruppe, Anspruch und Wirklichkeit immer weiter auseinanderdriften und sich auch mit Gewalt beziehungsweise gerade mit Gewalt nicht mehr in Einklang bringen lassen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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