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Pop Aye

Das ungewöhnliche Roadmovie, in dem ein Elefant einem Architekten in der Midlife-Krise hilft, zeigt Thailand von seiner nichttouristischen Seite und erzählt eine charmante Liebesgeschichte.

Text: Christoph Egger / 12. Juni 2018

Comicelefant schlechthin ist Dumbo, von Walt ­Disney 1941 auf die Leinwand gebracht (und für 2019 als Realfilm-«Remake» unter der Regie von Tim Burton angekündigt). Pop Aye aber, der Titelheld von Kirsten Tans Film, hat ausser dem Namen nichts mit Popeye the ­Sailor gemein, also keinerlei Comicbezug. Bong, wie er im wahren Leben gerufen wird, ist ein eindrucksvoller Vertreter des Asiatischen Elefanten, mit prachtvollen Stosszähnen, und offenbar friedlich wie ein Lämmchen. Die Regisseurin aus Singapur, die hier ihren ersten langen Spielfilm vorlegt, hatte gemäss eigener Aussage das Bild zweier Verlierer vor Augen, die sich gegenseitig helfen: den Elefanten, der in Bangkoks Strassen ein kümmerliches Leben fristet, und den namhaften Architekten Thana, der in seinem Büro von der nachrückenden Generation weggemobbt wird und der, nach einer zufälligen nächtlichen Begegnung, das Tier kauft, in dem er – nicht allzu glaubhaft – den Gespielen seiner Jugend zu erkennen meint, Pop Aye.

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Behindert durch zahlreiche verwirrend gesetzte Rückblenden, erzählt der Film die Geschichte einer doppelten Befreiung – wobei diejenige des gezähmten Tiers, das sich zuletzt einfach still aus menschlicher Obhut davonmachen wird, als poetisches Sujet von schöner Wirkung ist; in der Realität freilich könnte sie leicht ein schlimmes Ende nehmen. Thana hingegen wird am Ende von seiner ihm entfremdeten Frau eine Liebeserklärung bekommen, wobei wir sehr im Zweifel sind, ob er das überhaupt gemerkt hat. Wie denn dieser schusselige kleine Mann ein merkwürdiges Bild eines angeblich renommierten Architekten abgibt; befremdlich – zumindest für westliche Augen – etwa auch das Sexualgebaren, das er seiner Frau sowie einer Prostituierten gegenüber an den Tag legt. Zugleich erweist er sich unterwegs als umgänglich und hilfsbereit und nimmt an fremden Schicksalen Anteil; so wird er einer Zufallsbekanntschaft mit einigem Aufwand auch noch zu einem menschlich stimmigen Begräbnis verhelfen.

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Sie sind on the road, Mensch und Tier, und aus dieser Reise auf den Landstrassen, hinaus aus Bangkok und hinauf in den Nordosten des Landes, Thanas Heimat, gewinnt der Film seinen Sinn und schöpfen die Bilder ihre Kraft. Es ist Kirsten Tan hoch anzurechnen, dass sie nicht einen Film gemacht hat, «bei dem auch noch ein Elefant vorkommt» (wie beispielsweise Water for Elephants von Francis Lawrence von 2011), sondern ihren Titelhelden wirklich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Und so sehen wir gebannt die enorme Masse des Elefanten, dessen Körperlichkeit das Bild bald wie eine Hügellandschaft ausfüllt, bald seinen kleingewachsenen neuen Besitzer zu immer neuen Anläufen nötigt, wenn er dieses Gebirge erklimmen will (wozu ihm der Elefant dienstbar den Fuss hinhält). Nie verliert das Tier seine Ruhe, raumgreifend ist es unterwegs, gleichmütig und elegant weiss es auch die Ladebrücke eines Lastwagens zu erklimmen. Doch was unter Umständen als Ausdruck herabwürdigender Dressur erscheinen könnte, erhält hier bei aller Verfügtheit einen Zug ins Majestätische.

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Gelegentlich erlaubt sich der Film auch kleine Scherze mit der Erscheinung seines Protagonisten. So, wenn der riesige Rüssel nachts die begreiflicherweise verstörte Frau des Architekten in ihrer Villa aus dem Schlaf schrecken lässt oder wenn Thana vor einem Supermarkt den Elefanten an eine Reihe von shopping trolleys kettet – und wir diesen in der nächsten Sequenz sehen, wie er nun eben mit Einkaufswagen unterwegs ist. Unterwegs werden die beiden von zwei Polizisten behelligt, wobei wir erneut nicht wissen, ob wir es hier mit dem Courant normal zweier beschränkter Ordnungshüter zu tun haben oder ob sich der Film – für Südostasien wohl eher unwahrscheinlich – einen Abstecher in die Satire erlaubt. Mit den Polizisten macht der Trupp halt in einem schäbigen Etablissement samt ebenso armseligen Prostituierten. Wie denn der Film, auch dies gehört zu seinen Qualitäten, ein gänzlich untouristisches Thailand ohne jeden Tropenglamour zeigt, das mit dem mondänen Bangkok Thanas scharf kontrastiert. Es sind ärmliche Landstriche in der Region Isan, die die Protagonisten durchziehen, die Leute tragen billige, schlecht sitzende Kleider und müssen zusehen, wie sie über die Runden kommen. Dass für den Elefanten hier kein Platz mehr ist, muss der Architekt aus der Grossstadt zur Kenntnis nehmen. Dass Pop Aye seine eigene Lösung gefunden hat, wird der erschöpft eingeschlafene Thana beim Aufwachen feststellen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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