«Ich möchte einen Dialog schaffen», sagt Laura Coppens anlässlich der Weltpremiere ihres zweiten Films in Nyon. Nach Taste of Hope, der 2019 in Nyon zu sehen war, soll Sedimente einen Raum öffnen, um Teile der deutschen Geschichte anzusprechen, über die schon zu viel geschwiegen wurde.
Hermann Günther Gerber erlebt als Kind die Diktatur der Nazis, verliert einen Bruder an der Front und später den Vater durch Suizid. In der DDR studiert er an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und arbeitet anschliessend als Gynäkologe, seine Frau und er sind überzeugt vom Sozialismus.
Anhand von Gesprächssequenzen, Familiendokumenten und Bildern aus dem Alltag ihres Grossvaters, die sie mit Fernsehbeiträgen und Unterlagen der Stasi ergänzt, rekonstruiert Laura Coppens das Leben ihres Grossvaters. Zitate aus Christa Wolfs Roman «Kindheitsmuster» geben dem Film eine Struktur und dem Publikum eine Möglichkeit zur Reflexion. Trotz der Nähe der Autorin zu ihrem Protagonisten wirkt der Film in weiten Teilen sachlich, beinahe nüchtern. Das mag an den statischen Kameraeinstellungen bei den Gesprächssequenzen, auch an der Abwesenheit von Hintergrundmusik liegen. Die Art und Weise, wie Laura Coppens in dem Schweigen wühlt, mit welchem Hermann Günther Gerber sie konfrontiert, stimmt nachdenklich.

© Visions du Réel/Srikandi Films
Trotz des Verzichts der Autorin auf eigene Erklärungen wird der Wunsch nach mehr Selbstreflexion ihres Protagonisten in ihren Nachfragen spürbar. Warum gehen die Antworten Günther Gerbers nicht über die Rede vom unpolitischen Bürger, der sich nur für seinen Beruf interessiert, hinaus? Vielleicht wagt sich der Verstand an gewisse Kapitel der Vergangenheit nicht heran. Möglicherweise sind die Nachfragen der Enkelin nicht drängend genug. Auf jeden Fall fehlt am Ende die Zeit. Günther Gerber stirbt während der Dreharbeiten. Die Verknüpfung seiner Version der Stasi-Zusammenarbeit mit den Aussagen in den offiziellen Dokumenten bleibt Aufgabe der Hinterbliebenen.
Die eigene Rolle in der Geschichte und Gegenwart zu reflektieren, scheint für Laura Coppens zentral zu sein. Deutlich wird dies, als sie Christa Wolfs Rede auf dem Alexanderplatz vom 4. November 1989 mit einem Demonstrationsmarsch der AfD aus dem Jahr 2018 paart. «Wir sind das Volk» – der Slogan ist derselbe.
«Findest du, dass ich mich hätte anders verhalten müssen?», wendet sich Günther Gerber im letzten Drittel des Films an seine Enkelin. Es geht um seine Rolle als Informant der Staatssicherheit. Auf seine Frage folgt lautes Schweigen, dann Schnitt. «Ich konnte dir nicht sagen, dass ich enttäuscht von dir bin, weil ich Angst hatte, dich zu verletzen. Ich war zu voreingenommen und zu feige, diese Auseinandersetzung mit dir zu führen», schreibt Laura Coppens in einem Abschiedsbrief an ihren verstorbenen Grossvater. Aus dem Off vorgelesen löst der Brief die analytische und reflektierende Stimmung des Films auf. Was bleibt, ist die Frage, was die ehrliche Antwort noch zu Lebzeiten ausgelöst hätte. Und ob nicht damit ein Dialog erst beginnen kann.
Junge Kritik
Diese Kritik entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) am Dokumentarfilmfestival Visions du Réel 2025 in Nyon.