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Top of the Lake

Gerne hätte man das erste radikal feministische Mini-Serial gesehen – insgesamt aber bleibt eher ein etwas schaler Geschmack zurück. Weder sind die geschlechtsspezifischen Positionen wirklich durchdacht, noch ist das Serial mit Vehemenz ein Serial. Und wenn frau am Ende nahezu jeder Figur einen Vaterschaftstest anraten möchte, spielt schlicht zu viel Biologie in die Gesellschaftskritik.

Text: Veronika Rall / 25. Sep. 2013

Filmzeitschriften räumen dem Fernsehen nur zögerlich Raum ein – sie sind eher auf das seriöse Genre, also Filme, die das Licht der Leinwand erblicken, festgelegt. Dass sich die Grenzen zwischen TV und Kino immer mehr vermischen, ist eine Tatsache, die eher beiläufig, dann aber durchaus kritisch vermerkt wird. Das hat auch mit der Richtung der filmkritischen Aufmerksamkeit zu tun: Sie gilt zumeist Filmen, die vom Fernsehen mitfinanziert werden und denen zumeist hämisch eine «Fernsehästhetik» vorgeworfen wird.

Ausgeblendet wird dabei, dass der Kreativitätstransfer durchaus umgekehrt läuft und beispielsweise eine ganze Reihe hochklassiger, teils subversiver TV-Serien oder Mini-Serials gedreht werden. Begonnen hat diese andere Fernsehgeschichte, als David Lynch das Format in Twin Peaks (1990, USA) ironisch aufnahm; als Paradebeispiele gelten aktuell Mad Men (seit 2007, USA) oder Borgen (seit 2010, Dänemark). Gemeinsam ist diesen Serien zudem, dass ihre Qualität von etablierten deutschen Sendeanstalten übersehen wurden: So lief Twin Peaks 1991 auf RTLplus (immerhin: im ORF zeitgleich und im Schweizer Fernsehen kurz darauf Anfang 1992), Mad Men feierte seine deutschsprachige Premiere 2009 auf dem Pay-TV-Kanal Fox und Borgen auf Arte (auf SF1 rund ein halbes Jahr später). Diese Marginalisierung stand und steht noch immer dem Erfolg dieser Serien diametral entgegen, der sich sowohl in Einschaltquoten wie auch in ihrer Präsenz in anderen schriftlichen Medien – spezialisierten Websites, Blogs oder Fanzines – niederschlägt.

In diese intermediale Geschichte schreibt sich auch Top of the Lake ein, und die Marketingverantwortlichen fuhren eine kluge Strategie, als sie dem Mini-Serial zunächst am Sundance Film Festival in den USA sowie auf der Berlinale eine Präsenz auf der Leinwand und bei den Kritikerinnen und Kritikern verschafften. Hier gilt der Name der Autorenfilmerin Jane Campion viel; die Chance, übersehen zu werden, war deshalb gering. Trotzdem bleibt die Frage, ob ihr mit Top of the Lake tatsächlich ein Wurf gelungen ist, der sich in einer der beiden Sparten, Fernsehen oder Leinwand, wird behaupten können.

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Vordergründig ist das Serial ein «Whodunit», also ein klassischer Krimi mit einem (möglichen) Verbrechen und einer Reihe von Polizisten, die sich (offenbar) um die Aufklärung bemühen. In einer Seelandschaft auf der Südinsel Neuseelands angesiedelt, erzählt die Geschichte von der zwölfjährigen Tui Mitcham, die offenbar versuchte, sich das Leben zu nehmen; eine schulärztliche Untersuchung deckt auf, dass sie im fünften Monat schwanger ist. Die örtliche Polizei unter der Leitung von Al Parker schaltet die auf Kindsmissbrauch spezialisierte Detektivin Robin Griffin ein, die zufällig in ihrer Heimatstadt zu Besuch ist. Doch bevor geklärt werden kann, was Tui widerfahren ist, verschwindet das Mädchen; ob sie noch am Leben ist, bleibt bis kurz vor Aufklärung des Falls offen.

Um diesen Kern gruppiert Jane Campion zusammen mit ihrem Koautor Gerard Lee ein Sozialpanorama der fiktiven Kleinstadt Laketop (tatsächlich wurde in Queenstown am Lake Wakatipu gedreht), das das heile Mittelerde-Bild von Neuseeland massiv unterläuft. Laketop ist eine von rauen Männern dominierte einsame Gesellschaft, deren Kitt die Jagd, die Fischerei und das alkoholgeschwängerte Miteinander im Pub bilden. Ihr unbestrittener Herrscher ist Matt Mitcham, Tuis Vater, ein Mann, dem die Bereitschaft zur Gewalt aus jeder Muskelfaser zu springen scheint. Unterstützt von zweien seiner drei Söhne handelt er mit Drogen und übt Selbstjustiz, seine Lieblingsgefährten allerdings sind Hunde.

Jenseits von Detective Griffins Familie kommen einheimische Frauen in der Geschichte kaum vor: Tuis Mutter etwa spielt nur eine minimale Rolle, das Polizeicorps ist (fast) durchgehend männlich besetzt, andere weibliche Parts sind offenkundig Lückenfüller. Augenzwinkernd (und ein wenig surreal anmutend) zaubert Top of the Lake deshalb eine Frauenkommune in ein Containerdorf an den See. Unter der Führung des weiblichen Guru GJ dürfen acht Frauen diesseits der Menopause ihre vernarbten Seelen pflegen, ihre vorläufige Wohnstatt nennen sie «Paradise».

Violent men treffen also auf hurt women, und hier ist Konfliktmaterial zuhauf angesiedelt. Während die Männer die so schöne wie raue Landschaft eher dominieren (sie fahren Pick-up-Trucks, tragen Gewehre und besitzen Boote und Angeln), scheinen die Frauen die Natur romantisch zu verklären: Öko-Freaks und Meditationsjunkies eben, die die Sonnenuntergänge bestaunen und nackt baden. Das Szenario erinnert vage an T. C. Boyles Roman «Drop City», nur dass die Aussteiger-Normalo-Grenze sich am Geschlecht und nicht an der politischen Einstellung bricht. Ein feministisches Setting also, die Frauen als ökologischere, sanftere Spezies?

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Dazu passt auch, dass die beiden weiblichen Hauptfiguren Tui Mitcham und Robin Griffin als Grenzgängerinnen angelegt sind, die sowohl die weibliche als auch die männliche Welt durchstreifen. Das vorpubertäre Mädchen Tui scheint enorm zart, verletzlich und schüchtern, gleichwohl verbirgt sich hinter ihrer Stirn ein harter Wille und eine enorme Widerstandskraft. Ähnlich und doch anders spielt Elisabeth Moss ihren Detective: Einerseits erscheint sie in den eigenen vier Wänden als Girlie (das gerne in Unterwäsche auf dem Bett lungert und am Handy klebt), andererseits geht sie fast jeden Abend ins Pub, spielt Dart und trinkt Bier. Sie weiss sich auf dem Polizeirevier zwischen den kräftigen Männerkörpern zu behaupten und weicht auch einem Kampf nicht aus. Detective Griffin sei, hat Jane Campion bekannt, ein wenig nach der Vorlage von Jodie Fosters Rolle in The Silence of the Lambs angelegt worden; bald wird klar, dass auch Griffin in ihrer Heimatstadt ein Opfer sexueller Gewalt wurde, dass ihre Parteinahme für misshandelte Kinder und Jugendliche eher auf Biografie denn auf Politik beruht.

Das ist alles mit einem empathischen Blick für die Frauen inszeniert, trotzdem wird man mit den Figuren nicht richtig warm, und das liegt nicht nur an den kalten Grün-, Blau- und Grautönen der wunderbaren Bilder, die Jane Campion, ihr Koregisseur Garth Davis und ihr Kameramann Adam Arkapaw gebannt haben. Die Geschichte und ihre Figuren erscheinen stets ein wenig zu schematisch, zu gewollt, zu konstruiert, als dass sich das Individuelle der Personen erschlösse. «Campions Heldinnen», hat Christiane Peitz vor einiger Zeit geschrieben, «sind eigenartig. Die Regisseurin folgt ihnen bei dem Versuch, diese Eigenheit zu wahren. […] Campion entwickelt einen Mythos vom Ich, vielleicht den ersten Kinomythos von einem weiblichen Ich.» Im Gegensatz zu den weiblichen Rollen in An Angel at My Table (Neuseeland 1990), The Piano (Australien 1992) oder In the Cut (USA, Australien 2003) bleibt die Polizistin Griffin zu schablonenartig, das Setting, in dem sie sich behaupten muss, zu dominant, als dass sich wirklich dagegen eigenartig anspielen liesse. Das trifft aber genauso auf ihre männlichen Gegenspieler wie Peter Mullan in der Rolle des Matt Mitcham zu, der schlicht seinen Part in Paddy Considines Tyrannosaur noch einmal aufwärmen muss (die Haare sind länger, zugegeben).

Ist das dem Genre des Mini-Serials geschuldet? Opfert hier Campion die Differenziertheit der Personen dem Format? Muss für das grosse Publikum alles verständlicher, einfacher, schablonenartiger werden? Diese Fragen sind auch deshalb legitim, weil Campion sich gegenüber der britischen Zeitung «The Daily Telegraph» mehr als polemisch positioniert hat: «Television is the new frontier. Film is conservative. I’m sick of it.» Ästhetisch ist Top of the Lake da weit weniger eindeutig: Einerseits sind seine strengen Bildkompositionen – wie viele Kritiker sofort notierten – weit mehr für die Leinwand geschaffen als für den Bildschirm, seine Hell-Dunkel-Kontraste teilweise so gering, dass sich das Serial nur in einem abgedunkelten Zimmer anschauen lässt. Andererseits fehlen auch einige Charakteristika der Serie, wie etwa fiese Cliffhanger, eine nervenaufreibende Dramaturgie oder eine konsequente Parallelmontage der Storys.

Gerne hätte man das erste radikal feministische Mini-Serial gesehen – insgesamt aber bleibt eher ein etwas schaler Geschmack zurück. Weder sind die geschlechtsspezifischen Positionen wirklich durchdacht, noch ist das Serial mit Vehemenz ein Serial. Und wenn frau am Ende – so viel sei verraten – nahezu jeder Figur einen Vaterschaftstest anraten möchte, spielt schlicht zu viel Biologie in die Gesellschaftskritik. Wirklich mögen kann man an Top of the Lake deshalb nur den Humor, der immer wieder aufblitzt und phasenweise die Thrillerebene ironisch unterläuft. So etwa wenn Bunny (eine der verletzten Frauen) eine Hundertdollarnote auf den Bartresen legt, für den Erstbesten, der für siebenminütigen Sex (Dusche inbegriffen) zur Verfügung steht. Oder wenn Tui (schliesslich stammt sie aus einer «Hundefamilie») ein kleiner Chihuahua beigesellt wird, der unweigerlich an Paris Hilton denken lässt. Oder wenn GJ (hervorragend kratzig gespielt von Holly Hunter) sowohl sich selbst wie auch ihre Gefährtinnen auf die Schippe nimmt: «Just get me away from these crazy bitches.» Sich selbst, so viel ist klar, wird sie immer mitnehmen, egal zu welchem Projekt sie aufbricht. Wie auch Jane Campion mit Top of the Lake das Kino nicht wirklich hinter sich lässt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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