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War Photorgrapher

Sich jemandem zu nähern, der so hinter seinem Werk zurücksteht wie der amerikanische Fotojournalist James Nachtwey, ist nicht einfach. Der Schweizer Christian Frei hat es trotzdem geschafft.

Text: Mathias Heybrock / 01. Mär. 2002

Von dem amerikanischen Fotojournalisten James Nachtwey erschien vor zwei Jahren ein Band mit dem Titel «Inferno», in dem er seine Aufnahmen von den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt versammelte. Den Bildern ist ein Satz von Dante vorangestellt, der besagt, es brauche immer einen Botschafter, um der Welt von den verlorenen Menschen zu berichten. Nachtwey, der vielleicht berühmteste lebende Kriegsfotograf, Mitglied der Agentur Magnum, versteht sich als solch ein Botschafter. Auch wenn seine zuerst in «Time» oder dem «Stern» publizierten Bilder hier in einem Kunstkontext erscheinen, sieht er sich nicht als Künstler. Fotografie ist ihm zuallererst ein Instrument, mit dem sich soziales Bewusstsein herstellen lässt. Nachtwey berichtet von Kriegen und Greueln, von Tod und Leid zu keinem anderen Zweck, als die westliche Öffentlichkeit zu mobilisieren. In einem emphatischen Sinn hofft er, seine Bilder könnten dazu beitragen, dem Elend Einhalt zu gebieten. Deshalb gibt es kaum ein Interview mit ihm, in dem er nicht betont, er selbst bedeute nichts, seine Fotografie hingegen alles.

Sich jemandem zu nähern, der so hinter seinem Werk zurücksteht, ist nicht einfach. Der Schweizer Christian Frei hat es trotzdem geschafft. In den Gesprächen mit dem 54-jährigen James Nachtwey – einem Mann von ungewöhnlich akkuratem Äusseren, die kurzen grauen Haare exakt gescheitelt – sieht man, wie alles an ihm kontrolliert, überlegt, abgemessen ist. Doch wirkt Nachtwey dadurch überhaupt nicht eitel. Das verhindert schon die stille, bescheidene Art, wie er über sich und seine Arbeit redet und dabei immer wieder auf den sozialen Aspekt der Fotografie zu sprechen kommt. Der Mann tritt auf wie ein Botschafter oder Diplomat, der sich ganz in den Dienst einer Sache gestellt hat.

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Um uns diesen geheimnisvollen Charakter näher zu bringen, benötigt Frei weitere Gewährsleute: Eine deutsche Chefredaktorin berichtet, wie sie als Bildjournalistin den amerikanischen Kriegsreporter das erste Mal traf und wie sich eine Freundschaft zu diesem zurückhaltenden Menschen entwickelte; ein Kollege spricht voller Ehrfurcht über Nachtweys Berufsethik; ein mit ihm befreundeter Reuters-Kameramann, der sich oft in den gleichen Krisengebieten aufhält, weiss einige Geschichten aus dem Alltag zu erzählen. Diese Menschen äussern sich offenherziger über Nachtwey als Nachtwey selbst. Doch, auch wenn wir ihn dadurch etwas besser kennen lernen, liegt das Wesentliche von Freis Film nicht in solchen Szenen.

Ins Zentrum rückt der Dokumentarfilmer, der mit War Photographer für einen Oscar nominiert wurde, die Arbeit von Nachtwey. Die Art, wie er seine Fotos macht. Zu diesem Zweck wurde eine Vorrichtung konstruiert, welche eine Microcam vor das Objektiv des Fotografen hält, so seine Perspektive einnimmt und ihm bei der Arbeit sozusagen durch den Bildsucher schaut. In Indonesien sehen wir mit Hilfe dieser Technik, wie Nachtwey eine Familie beobachtet und fotografiert, die zwischen den Gleisen der Eisenbahn lebt. Fünf Personen hausen da auf einer Decke, der Vater wurde – als er einmal betrunken auf der Schiene lag – von einem Zug überfahren und hat dabei das linke Bein und den linken Arm verloren. Nachtwey nähert sich vorsichtig, gibt den Leuten die Hand, stellt Augenkontakt her und ersucht damit um Einverständnis, bevor er seine Fotos macht. Er belässt es auch nicht bei einem einzigen, schnell gemachten Bild, sondern bleibt eine Weile in der Nähe, beobachtet die Familie in ihrem Alltag. Der Respekt gegenüber seinen Sujets ist für ihn ebenso typisch wie die Nähe zu ihnen. Nur ganz selten fotografiert er aus der Entfernung mit grossen Brennweiten. Legendär ist ein Bild, das in Südafrika aufgenommen wurde und Nachtwey zeigt, der, nur wenige Schritte von einem Strassenkämpfer entfernt, fotografiert. Obwohl kein Abenteurer, ist er oft genug knapp mit dem Leben davongekommen. Das aber sei nichts im Vergleich zu dem, was die von ihm fotografierten Menschen durchmachten, und deshalb kein Stoff für abenteuerliche Geschichten, die man bei Interviews ausbreiten könne.

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Aus der Dokumentation der Arbeitsprozesse von Nachtwey löst Frei auch immer wieder ein Still heraus; eine Fotografie, so wie sie schliesslich publiziert wurde. Diese Bilder anzuschauen ist nicht immer einfach. Einerseits liegt das an den Schrecken und Gewalttaten, die sie zeigen. Andererseits kann man nicht immer den Verdacht unterdrücken, dass mit diesen Aufnahmen am Elend auch verdient wird, dass die Bilder das Elend als Ware in die Kreisläufe der westlichen Mediengesellschaft einspeisen, dass sie auch gegen die Absicht des Fotografen inszeniert sind. Sieht man nicht etwa, wie sich weinende bosnische Frauen nach der Kameraausrichten und fast auf Kommando mit dem Weinen und Wehklagen beginnen?

Nachtweys Fotografien dadurch diskreditiert zu sehen, wäre freilich zu billig. Denn die Trauer der Frauen ist ja nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern echt – so echt wie die Vertreibung, die erlittene Grausamkeit und das Leid. All das gab es, wenn es vielleicht auch für diesen Augenblick aus einem eher alltäglichen Moment heraus aktiviert und für den Fotografen in Szene gesetzt wurde.

Es ist aber wichtig, solche Überlegungen nicht auszublenden, weil sie etwas über die Natur der Fotografie aussagen, die immer wieder viel zu naiv als unmittelbar erlebt beschrieben wird. Ähnliche Beobachtungen zur Kriegsfotografie stellte etwa Peter Handke in seinen pauschal verunglimpften Büchern über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien an. Es ist ein Verdienst dieses Films, dass er solche Beobachtungen zulässt und in der Gestalt der mit Nachtwey befreundeten Journalistin auch Zweifel zur Sprache bringt. Sie fragt sich einmal, ob man mit den Kriegsfotografien nicht am Elend der Welt partizipiere. Dass sie die Frage schliesslich verneint, ändert nichts daran, dass es gut ist, auch solche Fragen zu stellen.

James Nachtweys endlos wiederholter Satz, er selbst sei nichts und seine Fotografie sei alles, ist insofern nicht ganz zutreffend, als seine tadellose Haltung auch auf die Bilder zurückwirkt und sie über jeden Zweifel erhaben macht.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2002 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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