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Wrestler 13

The Wrestler

Die Charakterstudie eines Wrestlers erkundet das amerikanische Prekariat.

Text: Pierre Lachat / 04. März 2009

Sie nennen sich wrestlers, aber Ringer sind sie keine, eher schon Ringkämpfer, genauer noch catcher, so hiessen sie einmal. Es sind Schauschläger, anders gesagt, und dazu sicher auch, im übertragenen Sinn: Schaumschläger. Denn die Kämpfe, die sie austragen, sind notorisch und ganz selbstverständlich geschoben und geschwindelt, die Namen, wie passend, gefälscht. Alle wissen’s in der Halle, doch keinen schert’s.

Eine angeberisch auftrumpfende Männerbündelei vereint sie allesamt. Das Duschen im Rudel, mit derselben Seife, gilt als das grösste gemeinsame Vergnügen. Die latente Homosexualität lugt umso deutlicher durch, als physische Liebschaften selten anfallen. Statt Sperma muss bei den schrillen Auftritten Blut spritzen. Bringt das Prügeln allein den besonderen Saft nur spärlich zum Fliessen, hilft eine diskret mitgebrachte Rasierklinge. Ein feiner Schnitt in die eigene Stirn, wenn niemand hinschaut, lässt es nass und rot übers Gesicht laufen. Die Wirkung in der Runde ist garantiert.

Wrestler 12

«The Ayatollah» vs. «The Ram»

Leidensfreudige Selbstverstümmelung ist auch sonst das Leitmotiv jeglichen Handelns. Denn wer da austeilt, der muss, will und wird auch ausgeteilt bekommen. Von keinem der Rabauken erwartet die Menge etwas anderes als: tu’ an, wie dir angetan wird. Das Prinzip Rache und Rachesrache hält das Geschehen in Gang. Schiedsrichter schreiten ein, mit der Folge, dass sie gelegentlich von den Brettern fliegen und krachend im Parkett aufschlagen. Ihr Protest stösst auf Gelächter. So will das Anmahnen von Verstössen noch ausdrücklich bestätigen, dass es keine Regeln gibt, es wären denn solche, die einer oder beide brechen.

Wrestler 01

Die rasende Masse bleibt naiv unparteiisch, solange die Akteure ausreichend einstecken. Wechselnd jubelt sie dem einen wie dem andern zu: immer dem, der unmittelbar die Oberhand hat. Am Ende von The Wrestler sieht sich der Titelheld mit dem Pseudonym Randy «The Ram» Robinson einem Kollegen gegenüber, der sich «The Ayatollah» nennt und eine phantasievoll terroristisch aussehende Fahneschwingt. Sie hängt an einer Stange, die sich als das sprichwörtliche stumpfe Instrument empfiehlt, um dann, übers Knie gebrochen, dem Träger auf den Rücken gedroschen zu werden. «Infidel, infidel, infidel», schreien die Zuschauer, solange es «The Ram» – dem Amerikaner – an den Kragen geht: «Ungläubiger, Ungläubiger, Ungläubiger». Prasselt’s auf den falschen Geistlichen aus dem Morgenland herunter, skandiert der Chor mit unverminderter Begeisterung: «USA, USA, USA».

So parodiert das Publikum höchst neutral die Widersacher im globalen Konflikt zwischen islamischen und christlichen Fundamentalisten. Sollen sie einander doch die Köpfe eintrümmern, bloss zuschauen möchten wir dürfen dabei. Das lassen wir uns keinesfalls nehmen, egal, ob da jemand nur zum Spass Saures bezieht oder im Ernst: auf Leben und Tod oder für die bessere Hälfte der Gesamtgage. Einer wird zum Sieger ausgerufen, aber so, dass ersichtlich bleibt: triumphieren wird ein anderes Mal der Unterlegene.

Wrestler 05

Mit Blick aufs Prekariat

Der zentnerschwere Mickey Rourke ist die einzig mögliche Besetzung für die Rolle des ram oder Schafbocks. Es ist einerlei, ob der Schauspieler eine Anzahl Jahre unter Suff und Drogen, die er sich bereitwillig nachsagen lässt, tatsächlich in der Gosse verbracht hat oder ob jener Bruch in Biografie und Karriere für die Reklame erfunden worden ist. Was zählt, sind Gesicht, Haltung und Gehabe, die eine höchst plausible Abgelebtheit vermitteln. Prahlt der Hauptdarsteller auf der Leinwand mit Narben aus einem Vierteljahrhundert im Ring, dann könnten es leicht Souvenirs sein, die ihm die reale Existenz verpasst hätte.

Wrestler 02

Der Gezeichnete schultert die Last seines Herkommens mit der einen gleich und demütigen, übergewichtig schnaufenden, erbärmlichen, geschundenen proletarischen Würde, die fast kein Mensch zu spielen versteht. Da fehlt der Überlebenswille, doch ist ihm auch die Demoralisierung fremd, die ein baldiges Aufgeben wahrscheinlich macht. Die Stationen des Weges, der zur Paarung mit dem «Ayatollah» hinführt, kennzeichnen melodramatisch den alternden, vereinsamenden Verlierer. Es beginnt mit Infarkt samt Bypass, dann stellt «The Ram» einer Stripperin nach, die aus Mitleid zögert, ihn abzuweisen, und dann nur noch weglaufen kann. Mit seiner erwachsenen Tochter überwirft er sich wiederholt. Zeitweise hält ihn allein das Aushelfen in einem Supermarkt über Wasser. Was bleibt ihm, als wieder anzutreten, mit Steroiden verladen?

Wie etliche amerikanische Kinostücke der letzten Zeit demonstriert The Wrestler von Darren Aronofsky ein neu erwachendes Interesse für soziale Themen, wie sie in den Jahren der liberistischen Schaumschlägerei verpönt waren. Schnulzen-Märchen und Luxusidyllen halfen, ein Pump-Paradies vorzugaukeln. Die Unterschichten blieben konsequent aus der Mehrzahl der Geschichten wegzensuriert. Jetzt richtet sich ein gewisses Augenmerk frisch auf alle jene, die unter den schöngeredeten und gefilmten Zuständen ihre Chance nie haben wahrnehmen können oder wollen, sollten sie denn eine gehabt haben.

Wrestler 06

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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