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Saumässig witzig

Text: Tereza Fischer / 20. Mai 2017

Nachdem schon Amazon mit Buhrufen bedacht wurde, begann die Vorführung von Bong Joon Hos Okja mit einer doppelten Pfeifforgie: Zum einen begann der Film im falschen Format, worauf das Publikum fast zehn Minuten lang lautstark mit Rufen, Klatschen und Stampfen protestieren musste, bevor der Fehler behoben wurde. Eigentlich passt diese Formatpanne zur Diskussion um Netflix, zur Frage nämlich, ob der Film auf einem kleinen Bildschirm oder auf einer grossen Leinwand zu sehen sein sollte, dem zweiten Grund an dem Morgen für Unmut des Publikums. Wobei dem auch Applaus entgegengesetzt wurde. Schon zu Beginn des Festivals äusserte sich Jurypräsident Pedro Almodóvar negativ über das Zulassen von Filmen, die nicht in allen Ländern im Kino gezeigt werden. Auf die Frage, ob sie diese Kontroverse beunruhigt, meinte Tilda Swinton, Darstellerin und Produzentin von Okja, eher gelassen, sie seien nicht hier, um einen Preis zu gewinnen, sondern den Film vorzustellen. Zudem würden die meisten der in Cannes gezeigten Filme auch nicht den Weg in die Kinosäle finden. Die Produktion und Verwertung von Filmen ändern sich und längst sehen auch die Cinephilen Filme nicht mehr alle im Kino. Hauptsache man hat überhaupt die Möglichkeit, einen Film zu sehen.

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Für Okja jedenfalls hat Bong Joon Ho ein stattliches Budget und freie Hand von Netflix erhalten. Dabei rausgekommen ist ein unterhaltsames, rasantes Abenteuer um ein Fantasyriesenschwein und ein kleines Mädchen. Die Frage, ob es sich um einen Kinderfilm à la E. T. handelt, ist noch nicht abschliessend geklärt. Genetisch manipulierte Lebewesen, Massentierhaltung, der Umgang der kapitalistischen Gesellschaft mit der Natur sind die Themen. Die Genforschung ermöglicht es hier, das Ernährungsproblem zu lösen. Blöd nur, findet die von Tilda Swinton wie schon in [art:snowpiercer:Snowpiercer] überzeichnet gespielte Herrscherin über den Konzern, dass die Menschen umweltfreundliches Essen wollen. Als Bio wird das genetisch generierte Flusspferdschwein am Anfang in einer PR-Show auch angepriesen. Für zehn Jahre erhalten Bauern auf der ganzen Welt ein Ferkel, um danach in einem Wettbewerb zu bestimmen, welches fortpflanzungswürdig ist. Ein solches Ferkel war auch Okja, das für Mija die beste Freundin oder Mutterersatz geworden ist. Im ersten Teil des Films führt uns Bong in einem kinderfreundlichen Tempo die Freundschaft der beiden und die Intelligenz des Riesenviehs vor Augen. Als der von Jake Gyllenhaal überdreht gespielte Fernsehtierarzt bei Mija und ihrem Grossvater ankommt, das Tier auszeichnet und es gleich nach New York mitnimmt, bricht für Mija die Welt zusammen. Damit beginnt ein explosives Abenteuer, in dem das Mädchen mithilfe von Tierschutzaktivisten versucht, Okja zu retten. Was nun folgt, ist teilweise witzig, immer actiongeladen und nur noch bedingt für Kinder geeignet. Problematisch ist dabei nicht nur die Gewalt, sondern auch die stereotyp und lächerlich gespielte Figur des TV-Doktors, der offensichtlich als schwul charakterisiert ist. Das heutzutage solche abwertenden Stereotypisierungen von Minderheiten so ausgeschlachtet werden, ist bedenklich, insbesondere für einen Film, der eigentlich ein wichtiges Thema aufgreift und es beinah kindergerecht aufbereitet. Endete die Dystopie Snowpiercer noch dissonant, herrscht jetzt am Ende Harmonie zwischen Mensch und Tier.

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Gesellschaftskritisch und satirisch ist auch der schwedische Beitrag: The Square von Ruben Östlund. Nachdem er in [art:force-majeure:Force majeure] seinen Plot sehr konzentriert um die Frage von Verantwortung und Normen konstruiert hatte, widmet er sich nun einer komplexeren Untersuchung des wachsenden Misstrauen zwischen den sozialen Klassen. Der Film trifft einen aktuellen, wunden Punkt der westlichen Gesellschaften, das Verhältnis zwischen der wohlbetuchten, gebildeten Schicht und den sogenannten Benachteiligten. Es geht in diesem Film vor allem um die Unfähigkeit, miteinander zu kommunizeren und um den mangelnden Respekt.

Christian ist ein selbstsicherer, sozial gewandter und durchaus charmanter Museumskurator. Auf dem Weg zur Arbeit, der den Wohlgekleideten an schlafenden Obdachlosen vorbeiführt, erlebt er eines Morgens eine Extremsituation: Als eine völlig verängstigte Frau um Hilfe schreit, wird an seine Hilfsbereitschaft und Zivilcourage appelliert. Gemeinsam mit einem anderen Passanten wehrt er den Angreifer ab, um noch ganz euphorisch ob seiner Heldentat feststellen zu müssen, dass bei dieser Aktion sein Handy und Portemonnaie gestohlen wurden. Dies setzt einerseits eine Reihe von Handlungen in Gang, andrerseits wird diese zwischenmenschliche Konstellation mehrfach variiert und in teilweise wahnsinnig komischen Szenen auf den Punkt gebracht: gegenseitiges Misstrauen, mangelnder Respekt gegenüber dem Anderen, die Frage der Teilbarkeit von Verantwortung. Immer wieder gelingt es Östlund, Ironie und Ernst in der Balance zu halten und die Witze nicht zu blossem Slapstick verkommen zu lassen. In der zweiten Hälfte verdüstert sich der Ton und verliert leider auch etwas an Drive. Als roter Faden ziehen sich auditive Störungen durch die Szenen, die die ohnehin heiklen Gespräche empfindlich beeinträchtigen. The Square wirkt wie eine Kunstinstallation, die in erster Linie verspielt ist, jedoch auch genügend tiefgründig irritiert, um zum echten Nachdenken anzuregen.

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