Filmbulletin Print Logo
Redoubtable3

Cinephiles Vergnügen

Text: Tereza Fischer / 21. Mai 2017

Auch gestern gab es Aufregung an der Croisette, etwa zu der Zeit als eigentlich die Pressevorstellung von Michael Hazanavicius’ Biopic Le redoutable über Jean-Luc Godard hätte anfangen sollen. Das Putz- und Securitypersonal kam aus dem Palais gerannt, um sich kurz darauf aber zum Appell zu versammeln. Die Hoffnung kam auf, man würde uns endlich vom Warten erlösen, aber das Gegenteil geschah: Die gesamte Presse, nach Farben ihrer Batches sortiert in Warteschlangen stehend, wurde weggeschickt. Mit Gesten, mit denen man vielleicht Hühner verscheucht! Die meisten Journalisten brauchten ziemlich lange, bis sie sich entschlossen, ihren Platz in der Schlange aufzugeben. Kommuniziert wurde nämlich nichts, und schliesslich stand man auch schon lange da – ich mit meinem drittklassigen Batch schon seit zwei Stunden. Die kurze Aufregung wurde ausgelöst durch eine im Kinosaal vergessene Tasche.

Eine Dreiviertelstunde später begann das cinephile Vergnügen doch noch. Hazanavicius hat die Memoiren von Anne Wiazemsky, die in den Sechzigerjahren nach Anna Karina mit Godard verheiratet war, verfilmt. Der Biopic über eine scheiternde Beziehung und die Schaffenskrise des Schweizer Regisseurs ist überraschend witzig herausgekommen, wobei Hazanavicius all jene stilistischen Spielereien, die Godard in seinen Nouvelle-Vague-Filmen provokativ und selbstreflexiv einsetzte, zu einer bunten, dennoch aber vergnüglichen Dekoration mischt.

Napalm 1

Ein ganz anderes Vergnügen für Cinephile war der neuste Film von Claude Lanzmann. Für Napalm, der ausser Konkurrenz lief, ist der mittlerweile 91-Jährige zum vierten Mal nach Nordkorea zurückgekehrt: ohne eine Drehbewilligung und unter strenger Beobachtung – eine koreanische Begleitperson schüttelt er mehrmals genervt von seinem Arm ab. Die Aufnahmen zu Beginn zeigen offizielle Aushängeschilder Nordkoreas: die Zwillingsstatue der beiden Führer Kim Il-sung und Kim Jong-il, an der Brautpaare Blumen niederlegen, aber auch die Vorführungen von Taekwan-do-Künsten. Die herumwirbelnden, schlagkräftigen Frauen lassen den Dokumentarregisseur verzückt lächeln. Der steht in Napalm im Zentrum.

Mit sonorer Stimme rafft er die Geschichte Nordkoreas. Er verwendet dazu gar Archivmaterial, das er zu einer kurzen Impression montiert. Ganz entgegen seinen Prinzipien, die er in seinem Monumentalwerk Shoah strikt angewendet und auch als Position des Dokumentarischen verteidigt hat, zeigt er die Schrecken des Koreakrieges. In Shoah befragte Lanzmann Überlebende des Holocaust, ohne je ein Bild aus der Zeit zu zeigen. Kein Bild könne den Horror vermitteln, nur persönliche Erzählungen. In Napalm wird Lanzmann selbst zum Erzähler. Und auch hier lässt er sich Zeit. Überraschenderweise ist es eine Liebesgeschichte, die nur am Rande mit dem Koreakrieg zu tun hat. Als er 1953 als Teil einer Delegation offiziell von Kim Il-sung eingeladen wurde, verliebte er sich in die Krankenschwester, die ihm eine Woche lang B12-Spritzen gab.

Lanzmann ist ein hervorragender Erzähler, der es beherrscht, die Geschichte spannend und bildlich wiederzugeben. Hätte er die Liebesgeschichte als Fiktion verfilmt, hätte er es nie geschafft, jedem einzelnen Zuschauer die Frau, in die er sich damals verliebt hat, als die ultimative mysteriöse Schönheit zu vermitteln. Einzig, weil er es unserer Phantasie überlässt, sie uns vorzustellen, wird sie tatsächlich zu der faszinierenden Frau, der Lanzmann erlegen ist. Er beschränkt sich darauf, den Ort zu zeigen, an dem sich die beiden getroffen haben. Ansonsten spricht er in Nahaufnahme vor der Kamera.

Leider ist es scheinbar nicht ganz einfach, sich auf diese Art des langsamen Erzählens einzulassen. Die Geduld meines Sitznachbarn links wurde so strapaziert, dass er nervös hin und her rutschte und ab und zu aufstöhnte, die Nachbarin rechts kontrollierte mehrmals die E-Mails auf ihrem Handy. Vielleicht hat dies aber auch mit dem von Ruben Östlund in The Square festgestellten fehlenden Respekt zu tun.

Napalm

Weitere Empfehlungen

Festival

12. Mai 2018

Am Ende ist die Liebe verloren

Unsere Frau in Cannes hat sich verliebt: in den betörenden Schwarzweissfilm Zimna wojna (Cold War) von Pawel Pawlikowski. Zu dieser Geschichte einer Liebe in politisch schwierigen Zeiten passt verblüffend präzis das andere Highlight des Tages: Jia Zhang-kes Ash Is Purest White. Teil 3 unseres Festivalblogs aus Cannes 2018

Festival

19. Mai 2019

Quoten und Qualität

Cannes ist noch meilenweit vom Ziel 5050x2020 entfernt. Nur vier Wettbewerbsbeiträge stammen von Frauen. Zum ersten Mal in der Geschichte von Cannes ist auch ein Film einer schwarzen Regissuerin dabei.