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La vallee fantome

Tanner übers Filmemachen: La vallée fantôme

In diesem Film, dem elften seit 1969, rede er zum ersten Mal vom eigenen Metier, sagt Alain Tanner: Ein Film übers Filmemacher.

Text: Pierre Lachat / 01. Feb. 1988

In diesem Film, seinem elften seit 1969, rede er zum ersten Mal in einem Film de cinéma, von Film, sagt Alain Tanner. Von seinem Metier, dem Filmemachen, ist in La vallée fantôme genauer gesagt die Rede, und Tanner spricht mithin auch unvermeidlicherweise ein wenig von sich selbst als dem Vertreter eines Typus von Cineasten, den Autoren, die namentlich im Europa der Jahre 1955 bis vielleicht 1980 gehäuft aufgetreten sind. Auf Anhieb ist Paul, der Held des Films, als autobiographischer Held erkennbar, ein Graubart von kantig-rauher, viriler Sensibilität, skeptisch, zurückhaltend, wortkarg, schwer zugänglich, ein Mann von wenigen, aber heftigen Freundund Liebschaften, der viel in seinen Lieblingslandschaften zu Fuss geht, besonders auch in der vallee temome, im Geistertal der jurassischen Brevine, doch auch der Rhone unterhalb Gents entlang. Teils tut er das für die Gesundheit, teils als promeneur solitaire, zugleich aber ist Paul auch jemand, der ruhelos im Auto zwischen Stadt und Land pendelt, immer hinter seinem wahren Zuhause her. Man sagt, er sei krank, und er quittiert: tatsächlich, er werde von neusees heimgesucht, das sind Schübe von Übelkeit, können aber auch solche von physischem Ekel oder kommunem Überdruss sein.

Für die Besetzung einer Rolle in seinem nächsten Film besinnt sich Paul auf die Italienerin Dara, die leider die Filmerei an den Nagel gehängt hat und nach der es erst zu forschen gilt. Da kommt ihm Jean grad zupass, ein Schnösel frisch von der Filmschule in New York, der dem gestandenen Gestalter ungefragt seine Dienste anbietet und unter schriftlicher Niederlegung wechselseitiger Freundschaftsschwüre, das heisst verhältnismässig spontan, aber nicht ohne Umsicht, als Assistent engagiert wird. Den Pavesis entlang saust Jean in einem roten Mazda 626 über die autostrada ins venetische Chioggia, um Dara ausfindig zu machen.

Soweit der Anfang einer Geschichte, die dann kaum über ihre weiteren Anfänge hinaus entwickelt wird. Die gesuchte Dara wird ermittelt und zum Mitspielen in Pauls Film überredet, doch enteilt sie in Jeans Begleitung nach Brooklyn, wo ihr Vater ein Lokal betreibt. In seiner illusionslosen Erfahrenheit wittert Paul von Genf aus, was sich zwischen Assistent und Hauptdarstellerin anbahnt. Der Regisseur erinnert sich seiner eigenen Neigungen für die schwarzäugige Italienerin und heftet sich dem abtrünnigen Pärchen an die Fersen. Eifersuchtsszenen in den Strassen von Brooklyn, on s'engeule in bester Welschschweizer Manier. Nur zu gern bezeugen zwei Männer ihre Schwäche füreinander, indem sie sie auf ein und dieselbe Frau übertragen.

Zum Schluss eine Art Ende, kaum der Rede wert. Jedenfalls, eine Filmgeschichte – eine Dreiecksgeschichte zum Beispiel – ist das nicht, noch ist es eine Geschichte vom Film. Vom Projekt wird kaum gesprochen, von Daras Rolle darin überhaupt nicht. Was wir erfahren, sind letztlich allein die Figuren, die freilich mit einiger Notwendigkeit des gens de cineme, Leute vom Film sind: Paul, der ans Aufhören denkt; Jean, der kaum aufs Anfangen warten kann; Dara, die aufgehört hat, bevor sie richtig anfangen konnte. Jean mit seiner bald weitäugigen, bald berechnenden Begeisterung, der Wochen nach seinem Schulabschluss seinen ersten Job richtig beim Film landet und sich in der Art eines Vorstadtcasanovas seiner Wirkung auf Frauen nur zu gut bewusst ist: Viel zu leicht kriegt er die verschlossene Dara, die trotzig und beleidigt, vom Film-Milieu angeekelt, in der Bar ihres Onkels in Chioggia serviert, in die Federn. Laura Morante in ihrer vibrierenden temminilits ist im Dreierbund diejenige, die einen auch ergreift, weit mehr jedenfalls als Jean-Louis Trintignant in seiner angekratzten Würde oder Jacob Berger in seiner glatten, dreisten Unverbrauchtheit. Die Figur der Dara ist eine Tannersche Heldin reinsten Wassers, eine Nachbildung der Salamanderin Bulle Ogier oder der italienischen Serviererin Olimpia Carlisi in Le milieu du monde – Frauen, die sich der Männerwelt verweigern und entziehen, was sich natürlich erst recht auf die Männer provozierend, sprich anziehend auswirkt. Frauen, die zu lieben anstrengend, aber lohnend ist.

Über das Dreigespann dieser Filmleute – sofern wir Dara überhaupt zu den Filmleuten zählen dürfen –, indirekt also, erfahren wir etwas Weniges über le cinéma selon Tanner: Es muss alles auf Freundschaften beruhen, aus dem Leben hervorgehen, sonst bleibt es bedeutungslos. Der Regisseur tut gut daran, sich in einem mehr oder weniger platonischen, höheren Sinn in die Hauptdarstellerin zu verlieben oder mindestens seinen Assistenten vorzuschicken, wenn er sie nicht lieber gerade den Film selber machen lässt, wie es Tanner in Une flamme dans mon coeur mit Myriam Mézières getan hat. Ist das eine Aussage, oder ist es eine, wenn dem Film jede Zukunft rundweg abgesprochen wird, denn was kann schon, nach mir, Tanner, noch an Brauchbarem kommen? Muss nicht der Film, der einzig wahre, mit mir untergehen – hört er nicht auf, wenn ich aufhöre? Mich dünkt, Tanner habe letztlich über Film, le cinéma, kaum etwas Substantielles zu berichten. Hinter dem erstmals gewählten Thema schaut nur allzu bald wieder sein Urthema hervor, das der Selbstbehauptung des Einzelnen, der sich der korrumpierenden Wirkung seiner Umgebung erwehren oder entziehen muss. Und das erweist sich wie immer als etwas, das auch Männer zustandebringen, sofern sie gewillt sind, es von den Frauen zu lernen, denen es von Natur aus gegeben zu sein scheint.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/1988 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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