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Der Duft des Geldes

Dieter Gränicher porträtiert eine Handvoll Geldmenschen von Zürich. Er tritt ihnen nicht zu nahe, lässt ihnen jenen sozialen Frieden, den sie täglich gefährden. Ob die Ironisierung genügt, darf man sich fragen, aber man muss auch sehen, dass er sich in einem Tabubereich mit bemerkenswerter Unbekümmertheit bewegt.

Text: Martin Schaub / 01. Dez. 1998

Dieter Gränicher porträtiert eine Handvoll Geldmenschen von Zürich. Er tritt ihnen nicht zu nahe, lässt ihnen jenen sozialen Frieden, den sie täglich gefährden. Ob die Ironisierung genügt, darf man sich fragen, aber man muss auch sehen, dass er sich in einem Tabubereich mit bemerkenswerter Unbekümmertheit bewegt.

Dieter Gränicher setzt sich bei reichen Zürchern an den Tisch und bekommt mehr als nur Brosamen: Der ehemalige Primarlehrer, der überraschend geerbt hat, zeigt ihm zuletzt, an der Wintersonne auf einer Bank sitzend, die NZZ aufschlagend, seinen Schlitten, den er schon seit Kindsbeinen besitzt, und der ihm noch immer den Rennschlitten ersetzt – und wir denken an Citizen Kanes «Rosebud». Der erfolgreiche Medienunternehmer, expandierend in jedem Sinn – verlegerisch, körpergewichtmässig, was Anzahl und Hubraum der Motoren und Familie angeht – sagt treuherzig: «Ich liebe das Geld, und ich tue alles, dass es mich auch liebt.» Die reiche Englischlehrerin lässt den Filmemacher (und uns) in ihren Kleiderkasten blicken und beweist, dass sie es mit ihrem urchristlichen Trip in der Fokolar-Bewegung ernst meint. Der Bankrotteur, der um den Rest seines verspielten Vermögens kämpft, stimmt ein Lob der kostengünstigen und erst noch exzellenten Suppenküche an und lässt uns in sein Allerheiligstes blicken: eine Ansammlung von Souvenirs und die Bilder seines verstorbenen Freundes. Der Broker verschränkt die Hände hinter dem Kopf und erklärt mit freundlichem Humor: «Was ich jetzt gewonnen habe, hat ein anderer verloren.» Eine anonyme Telefonstimme – «Deep throat» aus dem Zürcher Geldadel – nimmt dem Pfadfinder im Land des Geldes das Kommentieren ab.

Die Expedition beginnt wie ein Prospekt: Villen am Ufer des Zürichsees, am Bildschirm aufgebaut, dann Yachten, aufgenommen vom Kleinboot aus, das heisst aus tiefer KleinbürgerPerspektive; dazu dominierend auf der Tonspur die telefonischen Absagen. Man hätte den Einstieg auch theoretischer und politischer machen können, doch gerade das sollte vermieden werden. Dass man – als Journalist, als Filmemacher – bei den Reichen aussenvor bleiben muss, wird ganz einfach, in einem lockeren Ton-Bild, ohne Wehleidigkeit, ohne Gejammer vorgebracht. Die Kamera fährt auf dem niedrigen kleinen Mietboot aus dem unteren Seebecken unter der Quaibrücke hindurch ins Herz der Geldstadt; der weisse Schwan, der seinen Weg kreuzt, gerät nicht unter den Kiel. Eine grosszügige, versöhnliche Geste. Man weiss, dass der Film nicht messerscharf sein wird. Und tatsächlich wird der Schwan am Ende des Films, jetzt als schwarze Silhouette vor Neon-Zürich, wieder auftauchen.

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Oft bleibt die Kamera aussenvor: Nachts beobachtet sie von der Strasse her hell erleuchtete Fenster der Geldzentralen; sie betrachtet Luxusgüter hinter blitzblanken, spiegelnden Schaufenstern, sucht den leeren Blick bleicher, mit teuren Fetzen und Fahnen drapierter Schaufensterpuppen. Sie besetzt den üblichen Blick von Aussenstehenden, die bloss die Fassaden des Reichtums sehen können. Nichts kündigt in diesem ruhigen und kühlen Blick einen versteckten Wunsch nach dem Sturm der Paläste an. Die Kamera, das heisst, der sie führt, weiss, dass in den grossen europäischen und nordamerikanischen Städten zwei Zivilisationen nebeneinander leben, dass die Reichen und Mächtigen in ihren Türmen wohnen, dass die Träume von der einzigen, sich in den Reichtum teilenden Gesellschaft ausgeträumt ist.

Die einzige «korrekte» Haltung bleibt die Distanzierung, wenn möglich eine ironische. Die hat der Autor gewählt, und sie ist manchmal nicht einfach gewesen, weil die Reichen selbst die letzten Reste von Schuldgefühl in Selbstironie kostümieren. Selbstironie, wissen sie, macht sie dem Nichtreichen sympathisch. Schön, dass Gränicher dem Einfall nachgegeben hat, die «Reichen» dort, wo sie zuweilen öffentlich auftreten, zu zeigen: im Konzertsaal. Natürlich stimmt das Klischee im Detail nicht, zumal die Bilder nicht an einem teuren exklusiven Konzert aufgenommen wurden. Die Musik, Tschaikowskjis sechste Symphonie, hat den Teppich für die Protagonisten ausgerollt: vier Sätze für vier Biographien, Situationen und Temperamente. Natürlich gebührt dem ungestümen Medienhai Jürg Marquard das Allegro molto vivace.

Gränichers Kamera ist nicht indiskret neugierig, nicht Boulevard, sie stiehlt nichts. Die vorgestellten (aber nicht vorgeführten) Personen wissen, wohin sie blickt, und kontrollieren sie mittelbar. Den Ton nicht. §§§Der Duft des Geldes ist deshalb ein Hörfilm. Die Sprache des Geldes ist besser interpretierbar als sein Gesicht; das Gesicht (die Gestalt) haben die Reichen unter Kontrolle, auch ihre Sprache möchten sie unter Kontrolle haben, aber es gelingt nicht ganz. Das ist enervierend für die Sprechenden und tröstlich für die Hörer. Sogar die innere Stimme des Zürcher Reichtums, «Deep throat vom Zürichberg», ist merkwürdig, bemerkenswert borniert. Man merkt, dass der Skandal des Reichtums nicht unbedingt das Faktum des übermässigen Besitzes ist, sondern das des beschränkten Bewusstseins, das sich dann offenbar einstellt, wenn Geld nicht mehr Abbild von Arbeit, ja nicht einmal mehr Darstellung des eingesackten Mehrwerts ist, sondern abstrakte Grösse, nur noch Zahl.

«Jetzt muss man handeln», sagt der Börsenhändler. Aber was heisst da «handeln»? Was kann «handeln» sein, wenn die Welt kein Gewicht mehr hat, wenn die Resultante eine Zahlenverschiebung ist, eine Grösse ohne Körper? Den anonym bleibenden Erben sieht man auch beim Golfspielen, aber auch beim Holzen im (in seinem?) Wald. Die Damen und Herren agieren (handeln) im abstrakten Raum; ihnen kommt nur noch Abstraktes in den Sinn; übers Kuchenbacken kommt auch die Lady von der Fokolarbewegung nicht hinaus.

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Gränichers Film knackt das Schweigen der Besitzenden nicht. Der Filmer ist «anständig», damit er seine Beute nach Hause tragen kann. Er zahlt mit Ironie heim, damit, dass er die Geldmenschen als Geldmenschen nicht so ernst nimmt. Elegant skizziert er ein Leben in der dünnen Luft der Geldwirtschaft, ohne irgendjemandem nahe zu treten. Nicht dem ehemaligen Primarlehrer, der durch ein Erbe unproduktiv, und das heisst unnütz geworden ist, nicht der Tochter aus steinreichem Haus, die wie eine Nonne lebt und «Gutes tut», nicht dem Medienunternehmer, der die Dummheit, politische Ignoranz und Idolatrie seiner Leser und Leserinnen ausbeutet, nicht einmal dem unglücklichen Spekulanten, der ganz selbstverständlich die staatliche Fürsorge in Anspruch nimmt, bis ihm dereinst der gleiche Staat auch helfen wird, «sein» Gut zurückzubekommen.

Interpretation, Kritik, Bitterkeit und die Entrüstung überlässt Gränicher seinem Publikum. Den weissen Schwan im blauen See überfährt er nicht. «Mein Name erscheint nicht und nirgends», krächzt «Deep throat vom Zürichberg» am Telefon, und Gränicher hält sich daran.

Nicht nur der Paradiesvogel Jürg Marquard mit seiner Yacht, seinen goldenen Tellern, seinem Papageienoutfit, seinem Rolls, der – wie im Film – vor der Abfahrt noch von Bediensteten mit dem Staubwedel traktiert wird, der mit den Kindern – wie im Film – im Hallenbad planscht, ist komisch, sondern alle sind es. Dennoch fehlt ein Geldmensch, der mit seinem Geld Macht kauft und ausübt, der jene Gier, die das Land Schweiz prägt und in Verruf gebracht hat, rücksichtslos ausübt. Den bequemen Fürsorgeempfänger fragt Gränicher witzig, ob er für die Einladung habe sparen müssen. Er fragt ihn und die anderen nicht bissig, wen sie wählen und was sie von einer massiven Besteuerung von Vermögen und Börsengewinnen halten. Er hat das Spiel der Raider und Player spielen, ihre Regeln – nicht weh tun – akzeptieren müssen, wenn er überhaupt an ein Ziel kommen wollte.

Im fremdbestimmten Spielraum agiert er kurzweilig, mit bemerkenswertem Charme, technisch und ästhetisch abgeklärt. (Die Digital Beta-Technik und der Transfer auf 35mm-Film sind tadellos.) Er wirft mit leichter Hand einige Fragen auf, wenn man als Zuschauer noch Fragen zu stellen gewohnt ist. Die Frage, ob er die Macht des Geldes nicht unterschlage, wenn er seinem Duft nachspürt, gehört natürlich auch dazu. Und das weiss er. Man spürt, dass er es weiss.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/1998 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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