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Happiness Is a Warm Gun

Happiness Is a Warm Gun macht sich die Chronik von Leben und Tod der beiden Exponenten der deutschen Grünen zu eigen, doch ohne die Tat­bestände als Rohstoff für eine Erzählung zu lesen. Und im vorliegenden Fall geschieht das wohl gerade deshalb, weil die faktischen Gegebenheiten, nach den Massstäben der Branche, alles in sich schliessen, was eine saftige Pis­tole mit Sex, Prominenz und Politik ausmacht: eine «warm gun» des Leinwand- und Bildschirmbetriebs.

Text: Pierre Lachat / 01. Okt. 2001

Seit bald zehn Jahren lag sie auf der Strasse, und inzwischen befindet sich ihre konventionelle Dramatisierung bereits im Stadium der Postproduktion. Unter dem Titel lass mich nicht allein bewerkstelligt zurzeit Andreas Kleinert die narrativ korrekte Bebilderung der Legende von Petra Kelly und Gert Bastian. In einer Hauptrolle fungiert der TV-Liebling Dagmar Manzel. Wenn diese Nachrichten kaum überraschen, so könnten sie nicht besser hervorstreichen, wie sehr Thomas Imbach die Affäre um das deutsche Politikerpaar unausgeschöpft gelassen hat. Die Chance, etwas so zu besorgen, wie es andere getan hätten, wollte er klar verpassen.

Happiness Is a Warm Gun macht sich die Chronik von Leben und Tod der beiden Exponenten der deutschen Grünen zu eigen, doch ohne die Tat­bestände als Rohstoff für eine Erzählung zu lesen. Und im vorliegenden Fall geschieht das wohl gerade deshalb, weil die faktischen Gegebenheiten, nach den Massstäben der Branche, alles in sich schliessen, was eine saftige Pis­tole mit Sex, Prominenz und Politik ausmacht: eine «warm gun» des Leinwand- und Bildschirmbetriebs. Das Aufregende liegt bei Thomas Imbach darin, dass er dem Knüller alles Sensationelle heil und ganz zurückerstattet.

Die Verwirrung der Hilfskategorien

Für die eigenen Zwecke verwendet er nur das Notwendige. Sein Verständnis von Autorenschaft reicht über einen einzelnen Film hinaus, der zum Baustein eines Ganzen und zum Ausdruck einer Methode wird, und ähnlich den früheren Arbeiten von Restlessness bis Nano Babies will Happiness Is a Warm Gun zuvorderst von sich selbst künden. Den Unterschied macht eine Art Besetzung: Linda Olsansky und Herbert Fritsch treten auf, doch sind ­ihnen keine Rollen im üblichen Sinn ­zugeteilt, noch wurden Dialoge vorbereitet. Auszurichten haben die beiden Inter­preten nur eines: die Präsenz der publizitätsbewussten Star-Ökopaxe gilt es zu markieren.

Entsprechend richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Schauspieler in ­ihrer Eigenschaft als Rollenträger. Ge-filmt wird weniger das Verkörpern ­einer Figur oder das Durchexerzieren von Szenen, sondern öfter der Versuch, zu ermitteln, zu verstehen, auszusprechen und zu variieren, welches die Aufgabe, die Motivation, das Verhalten ­wäre – angenommen, die Akteure hätten zu agieren. Wie und wann steigerte sich zum Beispiel die symbiotische Ver-liebtheit Petra Kellys und Gert Bastians zu einer regelrechten folie à deux, die im Abschiessen einer Feuerwaffe ihr desperates Ende suchte?

Imbachs Verfahren hat so etwas wie den Dokumentarfilm eines Spiel-films zur Folge, ein Ausdruck, der sich auch umkehren liesse. Schon in seinen älteren Arbeiten äussern sich die Darsteller selten ihren angestammten Parts entsprechend, sondern sie rücken dann ins Bild, wenn sie neben ihrem gewohnten Verhalten stehen. Sie sind dann, im ursprünglichen Sinn, «ausser sich»: «out of character» heisst das im Englischen. «Play Kelly/Bastian» hätte eine ältere Theatersprache wohl getitelt. Und die Brechtianer können ein Aha: Verfremdung schlecht verklemmen. Am Ende gleicht das alles so wenig ­einer Kino-Fabel, wie sich Ghetto oder Well Done als Dokumentarfilme gebärden. Was immer Imbach in die Welt setzt, ob mit oder ohne Besetzung und Drehbuch, es wird helfen, die Hilfskategorien der Fiktion und Nichtfiktion zu verwirren.

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In Trümmern statt in Tranchen

Nur wer die Regeln kennt, kann sie brechen. (Und vielleicht gilt auch: nur wer sie bricht, lernt sie gründlich kennen.) Wie fast alle, die vom geratenen Weg geraten, um ihre Bestimmung anderweitig, «out of character» zu suchen, ist Imbach mit Tradition und Herkommen vertraut. Sein Rückhalt, der es ihm erlaubt, in gefährliches Gelände hinauszutreten, ist die erprobte Zusam­menarbeit mit seinem vierundzwanzig Jahre älteren Co-Autor, Kameramann und Schnittmeister.

Seit dreissig Jahren pflegt Jürg Hassler die überlieferten Formen ausgiebig, wenn er etwa mit Richard Dindo arbeitet und 1970 mit seinem eigenen Krawall eine klassische politische ­Reportage realisiert. Josephson, Stein des Anstosses macht ihn 1977 aber auch zu einem der Ersten, die schleichend von den Grundmustern abrücken wollen. Die Begegnung mit Imbach für Well Done führt dann bei Hassler 1994 dazu, dass er sich zunehmend in Praktiken des Drehens und der Montage eingewöhnt, an die zuvor kein Mensch (in der Schweiz) dachte.

Sie versuchen, alles Dargestellte oder Vorgespielte in aneinander geklitterten Trümmern wiederzugeben statt in handlichen Tranchen; in molekularen Splittern und Sprüngen statt in Abläu-fen; in Ausschnitten statt im Überblick; in engen statt in ausladenden Perspektiven; und in der Rasanz und Euphorie statt im Gleichmut und im Gleichmass. Rastlosigkeit wäre ein besseres Wort, denn eine von Imbachs frühen Überschriften, Restlessness, passt auf jeden seiner Filme. Die Absicht hinter allen diesen Vorlieben ist aber nicht das, was noch immer «Wiedergabe der Wirklichkeit» heisst, sondern es ist etwas Weiterführendes.

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Den «Stream of Consciousness» hinunter

Mitgefilmt werden nämlich die Vorgänge und Umstände, unter denen die Realität wahrgenommen wird. Im­bachs Filme bewegen sich entlang dem Lauf der Welt und zugleich den «stream of consciousness» hinunter. Denn wohl fügt sich das Wirkliche zu einem Strom, doch hält es, auf der andern Seite, das Bewusstsein nicht anders. Weshalb wir mit dem linken Bein ständig so sehr im einen stecken und mit dem rechten im andern von den beiden Fliessmedien. In diesem Sinn führt Happiness Is a Warm Gun weniger vor Augen, wie es «an und für sich» steht um eine Person oder Sache, und mehr, in was für einer Verfassung sie sich den Sinnen darbietet: ähnlich, wie es in älteren und neueren Formen der Malerei und der Fotografie geschieht.

Flink und flüchtig, unablässig auf Achse, quecksilbrig wechselnd, in stets gleitendem Licht, jedesmal in einer an-dern Sprache und mit neuen Tönen und Farben: Was heraus schaut, ist Authentizität, nur ist das Wort nicht in einem verallgemeinernden Sinn zu verstehen. Alles bleibt eingebettet in die Kürze und Enge des Hier und Jetzt: in die Einmaligkeit des Augenblicks.

Man sieht, es gibt sehr wohl ein Auskommen ohne den glättenden, ­ebnenden, ausgleichenden Kontext: frei von jener Hilfe zur Anwendung und zum Verständnis, die in die meisten ­Filme eingeschmuggelt wird – über die langatmige Herleitung, die durchtriebene Durchführung bis zum schlüssigen Beweis. Auf die Werke Imbachs könnte ein Vergleich aus der Antike passen: Sie erinnern, ohne den Mörtel dazwischen, an Trockenmauern aus lauter Ziegeln.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2001 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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