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Straehl 05

Strähl

Dem Sog des alles zerkleinernden Krimi-Vortex’ entzieht sich Strähl von Manuel Flurin Hendry (nach einem Drehbuch von Michael Sauter und David Keller) mit imponierender Entschiedenheit, trotz des einen oder andern lässlichen Ausrutschers.

Text: Pierre Lachat / 01. Mär. 2004

Am Anfang sieht es nach dem hinlänglich Bekannten und resigniert Erwarteten aus, sogar nach dem hundertfach Abgenudelten. Denn da ist ein Fahnder – doch, schon wieder –, zuständig für Drogen, was nur unwesentlich verschieden ist von der gängigen Mordkommission: «Tatort plus», kurzum. Dieser Strähl, so heisst er vage helvetisch, müsste befähigt sein, jeden Fall zu einem ordentlichen Ende zu führen, worin die Affäre auch bestehen wird. (So viele andere vor ihm haben es schon geschafft.) Unbegradigtes ist da, um erst eine gewisse Verzögerung eintreten zu lassen und dann ausgebügelt zu werden, und zwar von denen, die davon eine Blasse haben, anders, heisst das, als die kommunen Ahnungslosen.

Keine Schmauchspur darf ungetilgt bleiben, wenn’s auf die letzte Sendeminute zugeht. Wrap it up, sagen die Amerikaner: alles einpacken, offene Rechnungen saldieren, jeder Mitwirkende ist an den passenden Platz geschubst, ob Friedhof, Kittchen oder Bürostuhl. Sollte der Detektiv selber Teil einer lokalen Verkrümmung gewesen sein, wie’s ab und zu vorkommt, dann wird auch diese Beule geglättet. Das Genre kennt keine tragische Ausweglosigkeit, nur das Gegenteil davon: das Heil, gefunden in der einzig vorstellbaren, gesetzlichen Lösung. Und so geistert das Ganze praktisch rund um die Uhr durch die Kabel, in einem gigantischen narrativen Karussell ewiger Wiederkehr. Zweihundert Mal wollen Kinder die gleiche Mär erzählt hören. Ihnen ist es noch verwehrt zu regredieren, wie es die Glotzer tun mit ihrem unbegrenzten Aufnahmevermögen.

Jene enge, dichte Meile

Dem Sog des alles zerkleinernden Krimi-Vortex’ entzieht sich Strähl von Manuel Flurin Hendry (nach einem Drehbuch von Michael Sauter und David Keller) mit imponierender Entschiedenheit, trotz des einen oder andern lässlichen Ausrutschers. Wenn zum Beispiel der etwas jüngere Kollege freiwillig neu zur Gruppe Gift stösst, weil’s bei den Greifern an der Langstrasse spannender zu werden verspricht als auf dem nahen Zürichsee mit seinen zwei, drei Seglern ohne Ausweis, dann entspricht das einer typischen Seite aus einem typischen Szenario. Aber schon die bleich zeichnende Kamera von Filip Zumbrunn deutet, nahezu Schwarzweiss, nach einer dunkleren Richtung: wieder mehr zum noir hin statt zu dessen illegitimen Nachkommen, den Beamten.

Wenn Strähl zwar selber keinen Stoff von der Gasse nimmt (vorerst), sondern allerlei Rezeptpflichtiges reinzieht, dann kaum gegen den Stress, zeigt sich allmählich, sondern des Milieus wegen. Die wahre Belastung ist das Quartier mit seinem Betrieb. So gerät §§§Strähl vorab zu dem einen Film über jene enge, dichte Meile zwischen Limmat- und Helvetiaplatz, der etwas höchst Fälliges erbringt: das memorable Bild des Bezirks, das Bäckerei Zürrer von Kurt Früh 1957 entwarf, wird auf den heutigen Stand gebracht. Ansatzweise und noch etwas zaghaft unternahm schon Markus Imboden 1990 mit Bingo eine ähnliche Aktualisierung.

Straehl 13

Finale Verfassung

Im Zug der Geschichte entledigen sich Regie und Schnitt in Strähl ihrer Aufgabe nebenhin, ohne einen ausdrücklichen Anspruch, den zu erheben überflüssig wäre. Sei’s zufällig, sei’s beabsichtigt, vermutlich aber zwangsläufig findet sich die Kamera mehrmals an den praktisch gleichen Stellen wieder wie vor bald fünfzig Jahren: dort, wo die abgewandte Seite der Stadt ihr unbestimmtes Zentrum findet.

Kurt Früh suchte und fand noch das Anheimelnde im bereits Städtischen, einen letzten Hauch von Idylle und kaum etwas, bewahre, was schon in Verruf gekommen wäre. Selbst die Stadtstreicher helfen noch mit, das Romantische zu verstärken. Bäckerei Zürrer weist den Bewohnern unmissverständlich eine Mission zu. Es gilt, die Integration der Zuwanderer, damals Überwiegend Italiener, die bereits einen stattlichen Teil der Bevölkerung stellen, aus einem Geist grossmütiger Toleranz heraus voranzutreiben. In einem Akt beispielhafter ethnischer Verbündung heiratet der Sohn des eingesessenen Bäckers Zürrer (klingt wie Zürcher) die Tochter des frisch niedergelassenen mediterranen Marronibraters. Da wird eine grosse Hoffnung ins Kleinbürgertum gesetzt.

Der Film nimmt die Konventionen der nachmaligen Seifenopern vorweg, eines Genres, das seinerseits keine tragische Ausweglosigkeit zulässt. Und das geschieht umgekehrt ähnlich, wie Strähl die Pflichtübungen des TV-Krimis wiederum zu meiden trachtet. Das Motiv der Familie verblasst bei Hendry völlig, während es bei Früh noch alles überstrahlt. Die Langstrasse zerfällt 2004 nicht länger, sondern hat ihre finale Verfassung erreicht, kaum noch als Nachbarschaft wahrgenommen, höchstens als etwas Unabänderliches ertragen – mean streets im Sinne von Martin Scorseses kleinitalienischem Manhattan.

Straehl 02

Ohne Nachhinein

Strähl folgt den Etappen einer Ermittlung, die nominell einem albanischen Schieber gilt. In Tat und Wahrheit verkeilt er sich in ein Dreieck mit den Fixern Carol und René. Jemand ist überzählig in dem Verhältnis, und gerade der Fahnder könnte auf der Strecke bleiben, dem die Tabletten ausgehen und der sich eine Folie aufnötigen lässt. Jämmerlich trabt er neben den Ereignissen her und erinnert zunehmend, statt an die Kommissare der deutschen Programme, an den Michael Douglas von Basic Instinct oder an den Elliott Gould von The Long Goodbye. Doktor, kurier dich selbst – gegen die eigene Person hätten derlei Agenten einzuschreiten, vage suizidal. Niemanden sonst haben sie zu fürchten.

Strähl franst hinüber in einen Bereich jenseits von bewusst und betäubt, von intakt und kaputt, mit Figuren, an denen vorbei die Welt achtlos ihren Lauf nimmt. Das frühere Arbeiterquartier, das noch eine Vergangenheit zu haben schien, bis vor ein paar Jahren, entgleitet jetzt seiner Epoche: ohne melancholische Erinnerung und bar eines jeden möglichen Nachhineins. Keine Seele scheint’s zu kümmern, sogar die Autoren bleiben ungerührt. Zurich n’existe pas.

Straehl 04

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2004 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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