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Angry Monk

Hatten bereits Spielfilme, wie etwa der von der Kritik unterschätzte Samsara von Pan Nalin oder Martin Scorseses Kundun, von einem ambivalenteren Tibet diesseits seiner Mystifizierung durch den Westen erzählt, so hatte sich deren Bildsprache doch noch ganz dem Reiz des Pittoresken verschrieben. Die Bilder, welche Schaedler einfängt, sind konsequenterweise rauer und damit auch überraschender.

Text: Johannes Binotto / 01. Aug. 2005

«In Tibet ist alles Alte ein Werk Buddhas. Und alles Neue ein Werk des Teufels. Das ist die traurige Tradition meines Landes.» Die 1946 niedergeschriebenen Worte des buddhistischen Lamas Gendun Choephel mögen uns heute so irritieren, wie sie damals die Führer seiner Kultur provozierten. Choephels Worte irritieren uns, weil sie genau das kritisieren, was uns heute den Buddhismus so bewundern lässt: seine Verweigerung der Moderne.

Doch eben dieser Anti-Modernismus komplettiert besonders gut die Fragwürdigkeiten der modernen Welt. Die Bewunderung ist also nicht so unschuldig, wie sie scheint. In der Tat scheint der tibetische Buddhismus – wie der Philosoph Slavoj Zizek verschiedentlich festhielt – die Rolle zu haben, uns mit einer vagen, angenehmen Spiritualität zu versorgen, die perfekt ins Ambiente des postmodernen Kapitalismus passt. Entsprechend ist aus der fremden Kultur längst ein Lifestyle-Produkt der eigenen geworden: In tibetischen Klöstern halten die Manager der New Economy Seminare ab, und verwöhnte Hollywood-Stars wie Richard Gere parfümieren sich mit dem ärmlichen Duft des Ostens.

So lassen sich die eingangs zitierten Sätze nicht nur als Kritik an der tibetischen Kultur, sondern zugleich als Kommentar über unser Verhältnis zu dieser Kultur lesen. Und so erweist sich auch ihr Verfasser Gendun Choephel in diesem filmischen Porträt als erstaunlich aktuelle Figur, sowohl für die Eigenwahrnehmung Tibets als auch für jene durch den Westen.

Gendun Choephel, 1903 in Osttibet geboren, durchläuft die Ausbildung in zahlreichen Klöstern Tibets und sucht zugleich immer auch den Kontakt zu fremden Kulturen. Belege dafür sind nicht zuletzt die von seinen Lehrern missbilligte Freundschaft mit einem amerikanischen Missionar und später die folgenreiche Bekanntschaft mit dem Inder Rahul Sankrityayan. Mit diesem zusammen beginnt Choephel schliesslich, Tibet zu durchreisen auf der Suche nach alten indischen Texten in den tibetischen Klöstern; auf der Suche letztlich nach den Ursprüngen der tibetischen Kultur.

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Angeregt von den Erzählungen seines indischen Begleiters macht sich Choephel 1938 auf eine achtjährige Reise durch Indien. Konfrontiert mit dem technischen Fortschritt einerseits und dem indischen Unabhängigkeitskampf andererseits beginnt sich Choephels Auffassung Tibets erneut zu verändern. In dessen Rückzug auf mehr und mehr bedeutungsleere Rituale sieht Choephel eine Verweigerung Tibets, sich den politischen und ökonomischen Veränderungen inner- und ausserhalb des Landes zu stellen. Derweil schreckt er selbst vor keiner neuen Erfahrung zurück. Der buddhistische Lama geht in Bordelle und trinkt Alkohol. Für die Heimat verfasst er Zeitungsberichte, in denen er von der Millionenstadt Kalkutta berichtet, und er übersetzt das Kamasutra, angereichert mit eigenen Erfahrungen, ins Tibetische. Bei seiner Rückkehr nach Tibet wird Choephel als politischer Aktivist schliesslich gefangen genommen. Er kommt frei und erlebt die Besetzung Tibets durch die chinesische Armee – eine fatale Wendung, die er längst prophezeit hatte. Kurz nach dem Einmarsch der Chinesen in Lhasa stirbt Gendun Choephel 1951 verbittert wegen der politischen Umwälzungen und dem Unverständnis seines Landes.

Ob einer solch fesselnden Biographie droht das Filmische zur blossen Illustration zu werden, zur üblichen Collage aus Fotografien und Interviewszenen mit Zeitgenossen. Doch die Konstruktion, welche der Schweizer Filmemacher Luc Schaedler für sein Porträt gewählt hat, verhindert solche Verflachungen. Die Kamera folgt den gleichen Wegen, besucht dieselben Orte wie die Person, die es zu beschreiben gilt. Dadurch eröffnen sich zwischen den Reminiszenzen Gendun Choephels und den dazu gezeigten Bildern faszinierende Spannungen. Der Erzählung von einer prächtigen Karawane von Salzhändlern etwa stehen die Bilder eines verlotterten Eisenbahnzuges gegenüber, der heute das Salz ohne viel Aussicht auf Rendite transportiert. Auch die aus dem Off beschriebenen Eindrücke Choephels in Kalkutta reiben sich mit den Bildern: Die sinnlichen Sängerinnen der Varietés von einst sind heute nur noch als kühle, blaue Bilder auf den Fernsehschirmen eines Elektrogeschäfts zu bewundern. Choephel selbst hatte in seiner Beschäftigung mit der tibetischen Geschichte immer wieder auf den Widersprüchen zwischen Tradition und Gegenwart insistiert. Der Film selbst, anstatt sie bloss zu berichten, vollzieht diese Geste, indem er sie verdoppelt: Er führt zu Choephels Gegenüberstellungen von Vergangenheit und Moderne eine weitere Zeitebene ein, die Gegenwart des Films. Der Denk-Weg Choephels erweist sich somit als heute genauso drängend wie damals.

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Eine tibetische Kultur, die ihre Rituale praktiziert, ohne sich mit deren historischen Ursprüngen, noch ihrer möglichen Bedeutung in der Gegenwart zu beschäftigen, so war Choephel überzeugt, wird in den Umwälzungen der Zeit untergehen. Während diese Einsichten von jungen Tibetern heute wieder aufgenommen werden und so in Indien und Tibet zu einer Wiederentdeckung des Denkers Gendun Choephel geführt haben, scheint es nun vor allem der Westen zu sein, der zu lernen hat, dass der verklärte Mythos Tibet eine Verleugnung ist.

Hatten bereits Spielfilme, wie etwa der von der Kritik unterschätzte Samsara von Pan Nalin oder Martin Scorseses Kundun, von einem ambivalenteren Tibet diesseits seiner Mystifizierung durch den Westen erzählt, so hatte sich deren Bildsprache doch noch ganz dem Reiz des Pittoresken verschrieben. Die Bilder, welche Schaedler einfängt, sind konsequenterweise rauer und damit auch überraschender: Pilger, die sich betend auf die Strasse werfen, während aus neonbeleuchteten Bars Technomusik dröhnt; Billardtische und Knallfrösche in den Gassen Lhasas.

Das vielleicht bestürzendste Bild dieses vom Westen verkannten Tibet ist indes eine alte Aufnahme aus der Zeit des Einmarschs der chinesischen Befreiungsarmee. Wie man weiss, kam es zu grausamen Ausschreitungen der Truppen gegen buddhistische Mönche. Mit Stöcken wurden sie niedergeprügelt, mit Stiefeln getreten, an Stricken um den Hals wie Vieh herumgezerrt. Mao hatte versucht, diese Bilder unter Verschluss zu halten; glücklicherweise vergeblich. Doch dann sind da noch diese anderen Bilder, die wir tatsächlich noch kaum je gesehen haben: Bilder des tibetischen Widerstands. Mönche, die mit Steinen nach den Besatzern werfen. Es sind dies Bilder, welche offenbar eine andere, effektivere Zensur zurückgehalten hat. Eine Zensur des Westens, in dessen putziger Vorstellung von Tibet die Aufnahmen von sich wehrenden Mönchen nicht hineinpasst. Der wütende Mönch, von dem der Titel spricht oder der zunächst als Widerspruch in sich erscheint, diesen zornigen Mönch hat es tatsächlich immer wieder gegeben. So diffamieren diese Bilder und dieser Film das Klischee eines ganz und gar vergeistigten Tibet, dass sich in seiner Verklärtheit umso besser aneignen lässt. Sie zeigen vielmehr ein Tibet, das nicht bloss willfähriges Opfer chinesischer Oppression und westlicher Vereinnahmung ist, sondern sein Schicksal selbst zu verändern sucht. Solches in harten Bildern klarzustellen, macht den Film so unbequem für den westlichen Blick. Und macht ihn so wichtig.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2005 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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