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Das kurze leben 06

Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez

José Antonio Gutierrez war der erste Soldat der US-Invasionsarmee, der im Irak starb. Die Schweizer Filmemacherin Heidi Specogna hat die kurze Berühmtheit Josés genutzt, um in einem ebenso nüchternen wie anrührenden Dokumentarfilm die Fakten und sozialen Bedingungen darzulegen, die ein solches Schicksal erzwingen.

Text: Jürgen Kasten / 20. Jan. 2007

José Antonio Gutierrez war der erste Soldat der US-Invasionsarmee, der im Irak starb. Er war Guatemalteke und gehörte zu den 32 000 Greencard-Söldnern, denen nach dem Kriegseinsatz die Staatsbürgerschaft der USA winkt. Man beeilte sich, ihn posthum einzubürgern, denn für einen Tag war er ein amerikanischer Held. Das augenfällig unstimmige Bild des schüchternen Latinos in der Paradeuniform der US-Marines ging um die Welt. Sein Schicksal, seine Konfliktgeworfenheit offenbart so viel funktionale Widersinnig- und Ungerechtigkeiten, dass dafür der antike Begriff der Tragödie angemessen scheint. Wohl auch deshalb hat Hollywood die Stoffwitterung aufgenommen. Zuvor hat aber die Schweizer Filmemacherin Heidi Specogna die kurze Berühmtheit Josés genutzt, um in einem ebenso nüchternen wie anrührenden Dokumentarfilm die Fakten und sozialen Bedingungen darzulegen, die ein solches Schicksal erzwingen.

Das kurze leben 05

Seine Eltern starben im Bürgerkrieg Guatemalas, an dem der US-Geheimdienst mit zündelte. Die ältere Schwester, die ihn kaum kennt und die er nach langer Suche findet, wird die Hälfte der Soldatenversicherung erhalten und das wie ein Glückslos begehrte Visum in die USA. José wuchs auf den Strassen Guatemala-Citys auf. Specogna und ihre Co-Autorin Erika Harzer, beide Kennerinnen der politischen und sozialen Verwerfungen Mittelamerikas, finden dafür Bilder heutigen Überlebenskampfes: Kinder, die von Abfall und Erbetteltem, von Kleinkriminalität und Drogen leben und apathisch ein Gebet stammeln. Sie haben die Streetworker und katholischen Helfer ausfindig gemacht, die José kannten und ihn als ebenso sensiblen wie cleveren Jungen beschreiben, der Zeit seines Lebens auf der Suche nach etwas Zugehörigkeit war. Auf den Dächern oder Kupplungen mexikanischer Züge gelangte er zur US-Grenze, um nach dreimaligem Anlauf das monströse Bollwerk zu überwinden, das die Regisseurin mit einem Schwenk von der quirlig-glitzernden Grenzstadt Tijuana aus langsam ins Bild rückt. Auf der nicht selten mörderischen Reise durch Mexiko, die der Film in aktuellen Bildern vergegenwärtigt, erleidet er weder Un- noch Überfall, wie manch andere, die wie er ins gelobte Land im Norden aufbrachen und Tod oder Verkrüppelung fanden. Ein Weihnachtsabend im Versehrtenheim verunglückter Immigranten berichtet davon.

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Im Alter von 22 kommt José nach Los Angeles. Indem er angibt, er sei erst 16, gelingt es ihm, einen Teil der verlorenen Jugend nachzuholen. Er erhält den Schutz des Staates für Minderjährige, da lassen sich die USA nicht lumpen. Pflegefamilien nehmen sich seiner an, und er kann, trotz holpriger Sprachkenntnisse, einen High-School-Abschluss machen. Specogna verhehlt nicht, dass es unterschiedliche Ansichten gibt, warum sich José zu den Marines meldete. Die einen meinen, er wollte dem Land, das ihn aufgenommen hat, Dank zollen, andere sind der Auffassung, ihm blieb keine andere Wahl, da er volljährig von der Illegalität bedroht gewesen wäre. Sein Traum, Architekt zu werden, und das Glück, das ihm kurze Zeit lang hold war, zerbersten wenige Stunden nach dem Einmarsch der US-Armee in den Irak. José stirbt im Feuer der eigenen Truppe, wahrscheinlich hat er das Rückzugskommando nicht verstanden. Sein Sergeant berichtet professionell von einer unübersichtlichen Lage. Ein Kamerad, der aus Angst Blut spuckte, und dem diese Angst noch im stockenden Interview drei Jahre später eingeschrieben ist, verstand seine letzten Worte nicht. Zu verstört war er und zu laut dröhnte die Kriegsmechanik in der finalen Apparatgestalt der Lazarett-Ventilatoren.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2007 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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