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Be Kind Rewind

Text: Michael Ranze / 09. Apr. 2008

«Be Kind Rewind» – so heisst die Videothek, die Mr. Fletcher in Passaic, New Jersey, führt. Hier stehen ausschliesslich VHS-Kassetten im Regal. Vom technischen Fortschritt, von DVD, scheint der alte Mann noch nie gehört zu haben. «Seien Sie nett, spulen Sie zurück» – schon Filmtitel und Videothek-Namen verweisen auf das altmodische, analoge Verfahren, das die Bildinformation nur hintereinander abfahren kann. Im Gegensatz zur Benutzeroberfläche einer DVD, die unmittelbaren Zugriff auf Szenen und Sequenzen ermöglicht und somit den Zuschauer mitentscheiden lässt, wie und wo er auf einen Film zugreifen will. Der Vielseitigkeit und Wandelbarkeit der DVD setzt Michel Gondry in seinem neuen Film klobiges Format und Schlichtheit der Rezeption entgegen. Mit einer VHS-Kassette kann man nur den Film gucken. Sonst nichts.

Michel Gondry, einer der grossen Meister des Videoclips, hat seinen bislang zugänglichsten Film inszeniert. Schon Science of Sleep war ohne Charlie Kaufman, Drehbuchautor von Human Nature und Eternal Sunshine of the Spotless Mind, einer intelligent verschachtelten Liebesgeschichte über Vergessen und Verlernen, Erinnern und Zukunft, entstanden. Nun hat Gondry das Drehbuch wieder selbst geschrieben und sich von der Komplexität und Traumhaftigkeit seiner Vorgänger gelöst. Herausgekommen ist eine geradlinige Komödie, in der es zwar nicht um die Liebe zum Kino, aber um die Liebe zum Film geht. Und ganz nebenbei auch zur Musik.

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Vor über hundert Jahren nämlich soll in dem Haus, in dem sich Mr. Fletchers Videothek befindet, Fats Waller (1904–1943), der berühmte Jazz-Pianist, das Licht der Welt erblickt haben. Doch das ist nur ein Gerücht. Gondry leistet sich mit Waller, der schon in den frühen zwanziger Jahren als Komponist Aufmerksamkeit erregte und Schallplatten aufnahm, einen weiteren Rückgriff auf das Vergangene, Nostalgische, Unumkehrbare. Denn dem Pianisten ergeht es fast so wie der Videokassette: Niemand scheint ihn mehr zu kennen. Ein Mythos auch er. Alter Jazz und alte Filme – man ertappt sich als Zuschauer dabei, wie man selbst wehmütig zurückblickt auf «die guten alten Zeiten», als die Musik noch handgemacht war und aus Hollywood gute Filme kamen.

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Die Handlung kommt in Gang, als die Häuserzeile samt Videothek abgerissen werden soll, um einem Einkaufszentrum zu weichen – es sei denn, Mr. Fletcher legt einen vernünftigen Geschäftsplan vor. Während er sich auf Recherche durch die Videotheken der Stadt begibt, überlässt er seinen Laden Mike, einem jungen Schwarzen. Mos Def interpretiert ihn sehr zurückgenommen als langsamen, viel zu vorsichtigen Mann, der überall Gefahren lauern sieht und sich darum dem Leben verweigert. Deshalb wirkt sein Freund Jerry mit seiner Körperfülle und seinen Neurosen, mit seiner Energie und seiner Verrücktheit wie eine Naturgewalt. Jack Black spielt ihn, und gleich fühlt man sich an all jene extrovertierten Energiebündel erinnert, die er schon verkörpert hat: den sarkastischen Plattenverkäufer in High Fidelity, den vermeintlichen Musiklehrer in School of Rock, den Wrestler in Nacho Libre, den blind Verliebten in Shallow Hal. Black gibt auch hier dem Affen ordentlich Zucker, gelegentlich am Rand zur Übertreibung.

Jerrys grösste Sorge: das Elektrizitätswerk, neben dem er wohnt und arbeitet. Es strahle Mikrowellen ab, die ihn manipulierten und kontrollierten. Beim Versuch, das E-Werk lahmzulegen, erleidet er einen Stromschlag und ist fortan ein wandelnder Magnet. Die Folge: Als Mike den Videoladen betritt, löscht er unabsichtlich alle Bänder. Ausgerechnet jetzt möchte Mrs. Falewicz – Mia Farrow in einer Nebenrolle – Ghostbusters ausleihen. Da hilft nur eins: Mike und Jerry müssen den Film nachdrehen – mit den wenigen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.

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Spätestens jetzt wollten amerikanische Kritiker Gondry nicht mehr folgen. Bespielte Videokassetten könne man für einen Cent bei Ebay ersteigern, notfalls könne man auch von DVDs VHS-Kopien ziehen. Darüber hinaus sei der Qualitätsunterschied zwischen DVD und Kassette viel zu gross, als dass man VHS noch eine Träne nachweinen müsse. Doch mit solch einem Sinn fürs Praktische und Vernünftige kommt man bei Gondry nicht weiter. Wer die Grundvoraussetzung nicht akzeptiert und das Geschehen auf seine Wirklichkeitsnähe und seinen Anachronismus hin abklopft, nimmt sich viel von dem Spass an Be Kind Rewind. Zugegeben: Manches ist ausgesprochen albern, mitunter gerät die Balance von Slapstick und Hintersinn aus dem Gleichgewicht. Doch wenn Jerry und Mike aufgrund des Ghostbusters-Erfolges in Ed-Wood-Manier weitere Remakes inszenieren, von 2001 über King Kong bis Carrie, von Men in Black über Driving Miss Daisy bis When We Were Kings, ja sogar von The Lion King, sorgt der Widerspruch zwischen perfektem Vorbild und schludrigem Imitat für Komik und Ironie. Dabei lässt sich Be Kind Rewind nicht nur als Kritik an der Überproduktion erfolgreicher Blockbuster, an der Kommerzialisierung des Filmbusiness oder am falschen Schein des Starruhms lesen. Gondrys Film ist vielmehr eine Hommage an das unabhängige Filmemachen, an die Homemovies der sechziger Jahre und das Bahnhofskino der Siebziger. Sich mit Vorgefundenem begnügen, mit wenigen Mitteln einen grossen Effekt erzielen – fast scheint es, als wolle Gondry zur Einfachheit des Low-Budgets-Filmemachens zurückkehren. Am Schluss vereint er sogar das Kino mit der Musik: Jerry und Mike drehen mit Hilfe der Nachbarschaft einen Dokumentarfilm über Fats Waller. Für einen kurzen Moment scheint es, als hätte Frank Capra seine Finger im Spiel gehabt.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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