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La reina del condon 03

La reina del condón

Text: Geri Krebs / 10. Mai 2008

Totalitäre Regimes jeglicher Couleur lassen Aussteiger und Abtrünnige ihren Weggang mit Auslöschung bezahlen. Bei Hitler und Stalin war dies wörtlich zu verstehen, wer als Verräter gebrandmarkt war, wurde überall aufgespürt und umgebracht, aber auch die DDR war wenig zimperlich, die Stasi entführte Leute aus dem Ausland, brachte sie zurück, liess sie für Jahre im Gefängnis verschwinden. Verglichen mit solchen Praktiken, ist Kubas Castro-Regime human, ein Totalitarismus light. Niemand wird entführt, die Todesstrafe wird seit einigen Jahren nicht mehr angewendet, doch wer sich als Person des öffentlichen Lebens ins Ausland absetzt, wird aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt. Einstige Funktionsträger des Regimes, die im Ausland leben, existieren nicht, haben nie existiert, mögen sie dem System noch so lange gedient haben.

Monika Krause, Kubas erste staatliche Sexualaufklärerin, erlebte diese Praxis nachhaltig. 1941 in Rostock geboren, in der jungen DDR eine der ersten Studentinnen des neuen Fachs Lateinamerika-Wissenschaften, verliebte sie sich 1961 in den kubanischen Kapitän Jesús Jiménez. 1962 heiratete sie ihn, folgte ihm nach Kuba. Dank Beziehungen ihres Mannes zur Staatsführung wurde sie 1970 Übersetzerin und persönliche Assistentin von Raúl Castros Ehefrau Vilma Espín, der Präsidentin der Frauenföderation. Espín beauftragte Krause dann, ein Sexualerziehungs- und Aufklärungsprogramm zu realisieren, weil Teenager-Schwangerschaften Besorgnis erregende Ausmasse angenommen hatten. Monika Krause realisierte jedoch, dass dieses beunruhigende Phänomen nicht isoliert betrachtet werden konnte, sondern Folge eines Machismo war, der offiziellerseits zwar lauwarm angeprangert, in Wirklichkeit aber als systemkompatibel gefördert wurde. Die gesellschaftliche Ächtung Homosexueller war dabei eine Seite, eine andere war, dass noch bis in die achtziger Jahre Spitäler einiger Provinzen auf Wunsch besorgter Eltern an Mädchen im heiratsfähigen Alter Jungfrauentests durchführten.

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Monika Krause kämpfte mit grossem Einsatz an vielen Fronten, gab Aufklärungsbücher heraus, reiste an Fachkongresse in aller Welt und hatte ab 1985 eine eigene TV-Sendung zu Fragen der Sexualität. Hier fiel sie durch ungewohnte Offenheit in der Propagierung von Verhütungsmitteln auf, was ihr den Spitznamen «Königin des Kondoms» einbrachte. Einigen Gewaltigen in Staat und Partei passte ihre Arbeit aber nicht, und so wurde die Zerreissprobe zwischen Systemloyalität und der Einsicht, dass man sie aus dem System heraus sabotierte, immer stärker. Am Ende des Jahrzehnts wurde ihre Arbeit gestoppt, mit der Wirtschaftskrise im Gefolge der Entwicklungen im Ostblock wurde ihre TV-Sendung abgesetzt, gleichzeitig zerbrach ihre Ehe. Beide Söhne entschlossen sich zur Ausreise nach Deutschland, sie selber folgte ihnen im November 1990 – in der Gewissheit, nie mehr nach Kuba zurückzukönnen.

Wie die eingangs erwähnte Praxis funktioniert, das haben Silvana Ceschi und Reto Stamm bei den Recherchen in Kuba hautnah erlebt. Nicht, dass man Monika Krause verleugnet hätte, man lobte sie sogar. Das von ihr begründete Institut für Sexualerziehung besteht weiter, wird heute von Mariela Castro geleitet, der Tochter von Vilma Espín und Raúl Castro, doch auf der Institutshomepage wird Krause mit keinem Wort erwähnt. Und als Ceschi und Stamm in Kuba Archiv-aufnahmen von Krauses TV-Sendungen suchten, hiess es, sie seien verloren gegangen. Dank Glück und Beziehungen kamen sie schliesslich doch noch an das Material, mussten aber ihren Dreh 2005 auf Kuba ohne Genehmigung realisieren und konnten auch mit keinem jener Funktionsträger sprechen, die einst mit Monika Krause zusammengearbeitet hatten. «Ein Wunder, dass es den Film überhaupt gibt», kommentierte Monika Krause, die heute als Rentnerin in Norddeutschland lebt, im August 2007 in Locarno diese Tatsache.

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Porträts bedeutender Persönlichkeiten sind im gegenwärtigen Schweizer Dokumentarfilmschaffen en vogue, dazu zählt auch die ambitionierte Produktion aus dem Hause Dschoint Ventschr. Aber La reina del condón ist mehr, ist nicht nur die Geschichte einer Frau, die ihre besten Lebensjahre für ein utopisches Projekt hergab, von dem sie eine zwiespältige Bilanz zieht, sondern ist auch eine Familiengeschichte zwischen Deutschland und Kuba. Und der Film verdeutlicht auch den Untergang einer Utopie, indem er etwas zusammenzubringen versucht, das nicht mehr zusammenpasst.

Es sind Monika Krauses Söhne, die das in einer Reise zum Vater nach Kuba veranschaulichen, dabei geht Daniel, der jüngere, auf Spurensuche. So befragt er etwa, mit einem Aufklärungsbuch seiner Mutter bewaffnet, Passanten in Havanna zu ihren Erinnerungen und erhält erstaunlich offenherzige Antworten – die Tätigkeit der Mutter hinterliess Spuren. Als er im Elternhaus Zuschriften an seine Mutter von damals sichtet, ruft er aus: Es ist echt unglaublich. Dabei sieht es aus, als befände er sich im Archiv einer Verstorbenen, und in der Tat ist die Person der Monika Krause von heute bisweilen schwer mit der realsozialistischen Kaderfrau zusammenzubringen, die da in einigen frühen Archivbildern erscheint – die Spaltung in dieser Biografie hat etwas Tragisches an sich. Doch das wird nur angetippt, La reina del condón ist kein Lebensdrama. Vielmehr erlebt der Film stärkste Momente dort, wo beiläufig Aspekte vom Alltagsleben in Kuba erscheinen. Dabei bleibt er sachlich und unpolemisch, zeigt die sprichwörtliche Lebensfreude der Leute, die das Beste aus ihrer Situation zu machen versuchen, ebenso aber auch die Bilder von Verfall und Dekadenz eines Systems, das den Untertanen vor allem ein ruiniertes Land hinterlassen hat.

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