Filmbulletin Print Logo
Yv19 073

The Young Victoria

Emily Blunt verkörpert Queen Victoria in deren Adoleszenz: Unsicher, verliebt und trotzig blickt sie in die Kamera und verbindet jugendlichen Übermut gekonnt mit höfischer Zurückhaltung und weiblichem Selbstbewusstsein.

Text: Michael Ranze / 26. Mai 2010

Auch Königinnen, welch banale Erkenntnis, waren mal jung und, wie viele Teenager, unsicher, verliebt und trotzig. Queen Victoria war da, diesem Film zufolge, nicht viel anders: im ständigen Streit mit der Mutter, begierig, endlich erwachsen zu werden, versessen darauf, ihr eigenes Leben zu führen und es vielleicht mit jemandem zu teilen. Das Vorrecht der Jugend ist es, Fehler machen zu dürfen, und so erzählt Regisseur Jean-Marc Vallée die Vorgeschichte der britischen Monarchin, die sich – ihrer jugendlichen Unerfahrenheit wegen – in mit allen Bandagen ausgetragenen Machtkämpfen und Hofintrigen wiederfindet, aber auch mit widerstreitenden romantischen Gefühlen zu kämpfen hat. Es wird im Folgenden also um erste Liebe gehen, um Coming-of-Age, um Selbstfindung, um das vorherbestimmte Schicksal, ein ganzes Land führen zu müssen, also auch am Rande um Politik – all das eingebettet in ein Historiendrama, das wie zuletzt The Duchess aufwendig und detailverliebt eine vergangene Zeit wiederbelebt und dafür mit dem Oscar für die Besten Kostüme belohnt wurde.

Queen Victoria (1819–1901) war jene Königin, die Grossbritannien am längsten regierte, sogar eine ganze Ära wurde nach ihr benannt. 1837, also mit gerade mal achtzehn Jahren, wurde sie gekrönt, ihre Regentschaft dauert bis zu ihrem Tod, also 64 Jahre. Das Viktorianische Zeitalter gilt als die Blütezeit des englischen Bürgertums, wird aber gleichzeitig stets mit Unterdrückung der Frau und Körperfeindlichkeit verbunden. Victoria: Eine Eiserne Lady, die sich zwar stets parlamentarischen Entscheidungen fügte, aber doch politischen Einfluss nahm. Auf zeitgenössischen Fotos guckt sie immer ein wenig böse, in John Maddens Her Majesty, Mrs. Brown (1997) wird sie ausgerechnet von Judi Dench verkörpert, die seit ihrem ersten Auftritt 1995 in goldeneye als M, dem Chef von James Bond, mit ihrem dominanten Auftreten kokettiert.

Yv44 030

Umso überraschter ist der Zuschauer von Emily Blunt, die man bislang als Meryl Streeps Assistentin aus The Devil wears Prada und zuletzt als Freundin des «Wolfman» kannte. Sie spielt Victoria als humorvolle, intelligente und natürliche junge Frau, die gleichwohl ihren Kopf durchzusetzen weiss. Schon Blunts Lachen nimmt mit selbstverständlicher Offenheit den Zuschauer für sie ein, Stimmungswechsel deutet sie mit sparsamer Mimik an. Da reicht schon ein stechender Blick oder ein Zucken der Augen-braue, um das Gegenüber in die Schranken zu weisen. Scheinbar mühelos verbindet Emily Blunt jugendlichen Überschwang mit höfischer Zurückhaltung und weiblichem Selbstbewusstsein.

Victoria, Tochter der Herzogin von Kent (von Miranda Richardson kalt und zugeknöpft gespielt) und Nichte des noch regierenden, aber todkranken Königs William IV., lebt in einem Goldenen Käfig. Ausserhalb der Palasthierarchie hat sie mit niemandem Kontakt, ihr Lebensweg als Thronfolgerin ist vorbestimmt. Die Kamera von Hagen Bogdanski (Das Leben der Anderen) unterstreicht dies durch spärlich ausgeleuchtete, endlose Flure und durch grosse Flächen perfekt gemähten Rasens. Schwer, aus dieser sorgfältig austarierten Symmetrie auszubrechen. So gerät Victoria zum Spielball ihrer machthungrigen Umgebung. Der ehrgeizige Sir John Conroy – Mark Strong, einer der gefragtesten Bösewichter des aktuellen Kinos, spielt ihn mit unverhohlenem Machtbewusstsein und mühsam unterdrückter Wut – hat Victorias Mutter unter seinen Einfluss gebracht und hofft, mit ihrer Hilfe den Thron zu besteigen. Allerdings nur, wenn William IV. vor Victorias achtzehntem Geburtstag stirbt. König Leopold von Belgien hingegen möchte seinen Neffen Albert mit der Queen in spe verheiraten. Der hat allerdings keine Lust auf eine arrangierte Ehe, unterläuft die höfische Etikette und gewinnt gerade durch seine Ehrlichkeit und seinen Stolz Victorias Herz. Der Rest ist Geschichte, und der Film gewährt nur noch einen kurzen Ausblick darauf: Albert wurde zum wichtigsten, klügsten und loyalsten Berater und Vertrauten der Queen. Gemeinsam hatten sie neun Kinder.

Yv7 46

Die Ränkespiele am Hofe sind nicht immer leicht zu durchschauen. Zuviel setzt der Film an geschichtlichem Wissen (oder gewissenhafter Nachbereitung) voraus, zu vieles wird nur angedeutet oder unterspielt, am offensichtlichsten ist noch das machiavellistische Taktieren von Lord Melbourne, den Paul Bettany in einer Mischung aus Charme und Bestimmtheit gibt. Man muss diese Auslassungen gar nicht so sehr bedauern. Drehbuchautor Julian Fellowes, der schon in Robert Altmans Gosford Park einen ausgeprägten Sinn für die Bedingungen und Konsequenzen von Machtkämpfen (pars pro toto ausgetragen in einem grossbürgerlichen Haushalt) zeigte und mit Mira Nairs Vanity Fair dem Leben im England des neunzehnten Jahrhunderts nachspürte, nutzt den politischen Hintergrund als Rahmen für die zögerliche Annäherung zwischen Victoria und Albert. Zuweilen fühlt man sich gar an eine der zahlreichen Jane-Austen-Verfilmungen erinnert, in denen das Happyend durch zahlreiche Hürden, Finten und Rückzüge zwar aufgehalten, aber nicht verhindert wird. Der interessanteste Aspekt hier: die Umkehrung der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Victoria geht aus den Angriffen gegen ihre Person und Position (fast immer) als Siegerin hervor, Albert hingegen muss sich den Platz an ihrer Seite mühsam erstreiten. Erst als er sich selbstlos zwischen sie und die Kugel eines Attentäters wirft und ihr so das Leben rettet, überträgt sie ihm politische Verantwortung. Dass im viktorianischen Zeitalter ein Mann um seine Emanzipation kämpft, ist dann doch ein sehr moderner Gedanke.

Yv78 015

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

14. Aug. 2018

Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot

Wie einer, der ganz unten angekommen ist, sich langsam wieder aufrappelt: Gus Van Sants feinfühliges Porträt über den amerikanischen Cartoonisten John Callahan.

Kino

08. Sep. 2016

Sing Street

«It’s all about the girl, isn’t it?» – Sing Street ist ­ein «must-see coming of age film» über einen Teenager aus dem Irland der Achtziger, ­der eine Band gründet, ­um das Mädchen ­von ­gegenüber zu erobern.

Kino

27. Juli 2011

De vrais mensonges

Pierre Salvadoris Komödie ist der Film, den man seit Audrey Tautous fabelhaftem Aufstieg als Amélie zu sehen erwartet und befürchtet: In De vrais mensonges spielt Tautou nämlich eine “Anti-Amélie”.