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Black Swan

Text: Michael Ranze / 12. Jan. 2011

Es beginnt mit der Erzählung eines Traums: Zu den Bildern einer tanzenden Ballerina berichtet eine Frauenstimme im Off, sie sei einem Mädchen begegnet, das sich in einen Schwan verwandelte. Während sie darauf wartete, dass der Fluch brechen würde, habe sich ihr Prinz in die Falsche verliebt. Das Mädchen habe sich das Leben genommen. Traum und Wirklichkeit, das wird in diesem kurzen Prolog deutlich, werden sich von nun in Darren Aronofskys Drama über die Krise einer Primaballerina mischen. Der Zuschauer ist gewarnt.

Die Kunst des Balletts: Erst kürzlich spürte Frederick Wisemans Dokumentarfilm La danse – Le ballet de l’opera de paris nicht nur dem Funktionieren einer altehrwürdigen Institution nach, sondern auch der Faszination des Tanzes, der unermüdlichen Arbeit, die dahinter steht, der körperlichen Präzision, dem emotionalen Einfühlungsvermögen der Tänzer. Warum er den Film gemacht habe? «Um zu verstehen, was Tanz ist: ein besonderes Verhältnis zwischen dem Körper und dem Gehirn. Alle Gesten der Tänzer sind harte Arbeit, Training ab sechs oder sieben Jahren, um dem Körper beizubringen, so schöne Dinge zu schaffen. Später, wenn sie älter werden, haben sie oft mit Leiden zu kämpfen, die auf ihre Karriere zurückgehen. In einem gewissen Sinn ist es ein Kampf gegen den Tod, weil es etwas so Künstliches ist.» Ein Kampf gegen den Tod – denkbar, dass Darren Aronofsky den Worten Wisemans bedingungslos zustimmen würde.

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Der Regisseur von Black Swan hatte zuletzt mit The Wrestler die Körperinszenierungen seiner Hauptfigur blossgelegt. Die Strapazen, die Mickey Rourke auf sich nimmt, der bedingungslose Professionalismus, mit dem er seiner Arbeit nachgeht, die psychischen Altlasten, die er mit sich herumschleppt, aber auch der Erwartungsdruck, der von aussen auf ihn einstürmt, erscheinen wie eine Blaupause der Leiden Natalie Portmans, die hier die Hauptrolle spielt. In Aronofskys neuem Film gerät nicht nur das von Wiseman beschriebene Verhältnis zwischen Körper und Geist in Schieflage – die Tänzerin droht am Konflikt zwischen Anspruchund Wirklichkeit auch zu zerbrechen. Festgemacht wird diese Krise an Peter Tschaikowskys Ballett «Schwanensee», in dem ganz konkret der Kampf Gut gegen Böse ausgetragen wird. Die Kunst spiegelt das Leben.

Natalie Portman spielt Nina, eine junge Frau, die ihr ganzes Leben dem Ballett gewidmet hat, die alles daran setzt, einmal als Primaballerina im Rampenlicht zu stehen. Ein Traum, der nun wahr werden könnte. Am Lincoln Center in New York will Chef-Choreograph Thomas Leroy Tschaikowskys Klassiker in einer bahnbrechenden Interpretation aufführen, ihn quasi neu erfinden – Nina erregt seine Aufmerksamkeit. Für den Weissen Schwan Odette ist sie von der Grazie und Eleganz, von der Virtuosität und Technik her zweifellos die Richtige. Doch ist sie auch in der Lage, den bösen Zwilling dieser Doppelrolle, den Schwarzen Schwan Odile, adäquat zu interpretieren? Mit aller Bosheit, Skrupellosigkeit und Verführungskraft, die diese Rolle erfordert? «I want to see passion, seduction!» fordert Leroy. Er hat seine Zweifel. Und er hat eine Alternative. Aus San Francisco ist Lily angereist, eine neue Tänzerin, die – analog zur erforderten Bühnenfigur – das komplementäre Gegenstück zu Nina bildet: selbstbewusst, unverklemmt, erfahren. Die Unbeschwertheit, mit der sie mit ihrem Körper umgeht, steht im starken Kontrast zu dem Schmerz, den Nina sich zufügt. Nina verstümmelt ihren Körper, um sich selbst zu bestrafen. Das erinnert an die Rasierklingen, mit denen Mickey Rourke in The Wrestler das Blut spritzen lässt.

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Doch Nina ist nicht nur einem Konkurrenzkampf ausgesetzt, in dem auch sexuelle Spannung mitschwingt. Der grösste Leistungsdruck kommt von ihrer Mutter Erica. Sie war früher selbst Tänzerin, hat es aber nie bis nach ganz oben geschafft. Nun lebt sie nur noch für ihre Tochter, für ihr Wohlbefinden, für ihre Karriere. Nacht für Nacht wartet Erica in der gemeinsamen kleinen Wohnung, die an einen schützenden Kokon erinnert, darauf, dass Nina nach Hause kommt. Kaum öffnet sich die Tür, bombardiert sie sie mit Fragen und Sorgen. Erica ist eine liebende und aufmerksame Mutter. Doch ihre Überfürsorglichkeit hat auch etwas Beängstigendes und Verstörendes. Einmal sieht sie wie ein Schutzengel Nina beim Schlafen zu – ein beklemmender Moment. Irgendetwas stimmt hier nicht, und man wird fortan den Eindruck nicht mehr los, als würde Erica das Scheitern ihrer Tochter herbeisehnen.

Wenn man über Black Swan schreibt, kommt einem gleich The Red Shoes (1948) von Michael Powell und Emeric Pressburger in den Sinn. Auch dort ging es um den Zwiespalt zwischen Kunst und Leben, um die Wahl zwischen Karriere und Liebe. Thomas Leroy, von Vincent Cassel als arroganter, fordernder und kühler Machtmensch interpretiert, könnte ein Doppelgänger von Anton Walbrooks Boris Lermontov sein, der wiederum auf den russischen Impresario Sergej Pawlowitsch Diaghilew (1872–1929) zurückgeht. Leroy und Lermontov: zwei besitzergreifende Männer, die keinen Widerspruch dulden und bei der Verfolgung ihrer künstlerischen Ziele keinerlei Rücksichten auf andere nehmen. Die Figur der Nina hingegen zeigt deutliche Parallelen zu Moira Shearers Victoria Page, neurotischer zwar als die Vorgängerin und grausamer gegen sich selbst, doch was beide Frauen eint, ist ihr unermüdlicher Eifer, anderen zu gefallen. Ein Eifer, der in die Katastrophe führt.

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Black Swan fügt sich fast nahtlos in das Werk des 1969 geborenen Regisseurs. Bereits in seinem Regiedebüt pi hatte Aronofsky 1998 einen jungen Mann in den Mittelpunkt der Erzählung gestellt, der über der Suche nach einem mathematischen Schlüssel zur Erkenntnis der Welt verrückt wird. In The Fountain (2007) geht es darum, dass ein Mann nichts weniger als Raum und Zeit überwindet. Aronofskys getriebene Figuren stecken sich stets Ziele, die zu gross für sie sind. Das Scheitern ist vorprogrammiert.

Black Swan stellt die zentrale Frage, ob sich Nina von ihrer Mutter lösen kann und sie einen Zugang zur Rolle der Odile findet. Der Zuschauer sieht die Angst und den Druck auf ihrem Gesicht. Immer mehr verschwinden die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum, Nina hat Visionen, lesbische Phantasien. Sie fühlt sich verfolgt und droht, verrückt zu werden. Aronofsky gibt gar nicht erst vor, eine psychologisch korrekte Studie dieser Krise zu beschreiben. Er widmet sich den physischen Details – gesplissene Zehennägel, zusammengewachsene Zehen, gebrochene Rippen, aufgekratzte Schulterblätter, Schmerzen, Blut. Immer näher rückt The Wrestler, immer mehr befinden wir uns im Fahrwasser eines Horrorfilms. Aronofsky findet drastische, verstörende, nicht immer subtile Bilder für die Unsicherheit seiner Heldin. Sie sind in ihrer Exzessivität manchmal auch eine Zumutung. Matthew Libatique rückt mit seiner Kamera ganz nah an Natalie Portman heran. Die Kamera schlingert, taumelt, torkelt, sie dreht sich mit ihr, eilt ihr voraus oder hinkt hinterher – als sei sie durch ein unsichtbares Band mit der Schauspielerin verbunden. Besser kann man das neurotische Gefangensein Ninas in ihrem Körper nicht verdeutlichen.

Und Natalie Portman? Bislang war sie in ihren Filmen, ihrer Jugend und Schönheit wegen, zumeist das unschuldige, zerbrechliche Mädchen. Nun spielt sie, in ihrer wohl grössten körperlichen Herausforderung, virtuos einen getriebenen Charakter, der seine Grenzen bedingungslos auslotet, sowohl physisch als auch psychisch. Darren Aronofsky hat Portmans dunkle Seite hervorgeholt. Er hat sie in den Schwarzen Schwan verwandelt.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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