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Four Lions

Inkompetente Protagonisten sind im Kino stets ein Grund für Lacher. Aber darf man über das reale Problem des Terrorismus lachen? Wird Terrorismus dadurch nicht banalisiert? Diese Frage wirft Four Lions, die erste abendfüllende Terroristen-Komödie, auf.

Text: Frank Arnold / 13. Apr. 2011

Inkompetente Protagonisten sind im Kino stets ein Grund für Lacher. Aber darf man über das reale Problem des Terrorismus lachen? Wird Terrorismus dadurch nicht banalisiert? Diese Frage wirft Four Lions, die erste abendfüllende Terroristen-Komödie, auf. Sie stammt aus England, das mit den Bombenanschlägen auf die Londoner U-Bahn am 7. Juni 2005 eigene, unmittelbare Erfahrungen mit Terrorismus gemacht hat. Aber kann man einem Film verwehren, was bei Chaplin (The Great Dictator) und Lubitsch (To Be or Not To Be) mittlerweile als grosse Kunst anerkannt ist? Auch diese Filme waren, als sie sich über Hitler lustig machten, Filme von Zeitgenossen, wurden gedreht, bevor der Faschismus besiegt war. Hilft es also, das Böse lächerlich zu machen, es seiner selbst gewählten Aura zu berauben?

Im Kino wurde bisher der fundamentalistische Terrorismus eher zum Thrillermotiv verengt und tauchte in Komödien kaum auf: die kurzen Szenen in The Naked Gun entstanden vor dem 11. September und sind ziemlich harmlos, die Satire in der Puppenanimation Team America: World Police richtet sich vorrangig gegen die USA und eine – durchaus gelungene – Szene in Uwe Bolls Postal, in der zwei terroristische Flugzeugentführer darüber diskutieren, wieviele Jungfrauen ihnen denn im Himmel zur Verfügung stehen würden, ist nur Teil eines globalen Rundumschlags. Chris Morris, der Regisseur von Four Lions, kommt von der Satire im britischen Fernsehen her. Glücklicherweise ist sein Spielfilmdebüt keine Nummernrevue geworden.

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Four Lions erzählt von einer vierköpfigen Gruppe junger Männer, die sich in einer nordenglischen Kleinstadt darauf vorbereiten, als Märtyrer zu sterben. Ihre Inkompetenz verbindet sich aufs Schönste mit ihrem Medienbewusstsein – ob sie sich nun selber mit dem Handy filmen oder ihre momentane Situation mit einem Videospiel vergleichen.

Schon dass der Eifrigste von ihnen, zumindest der mit dem grössten Selbst- und Sendungsbewusstsein («I’m the most Al-Quada here!»), ein rotbärtiger Brite namens Barry ist, der keinerlei muslimische Wurzeln hat, irritiert. Ebenso sein Vorschlag, als Attentatsziel eine Moschee zu wählen, denn das würde die bislang gemässigten islamischen Mitbürger radikalisieren. Den Einwand, dass der Vater eines anderen Mitglieds der Gruppe regelmässig zum Beten in diese Moschee gehe, lässt er nicht gelten. Aber das ist sowieso eine der Spezialitäten von Barry: die Fakten solange zu verdrehen, bis sie in sein Weltbild passen.

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Waj und der zum Bombenbauen auserkorene Feisal sind ziemlich unbedarft, Omar hingegen, der Kopf der Gruppe, macht den Eindruck eines gut integrierten Muslims, mit einem festen Job als Wachmann, einer ebenfalls berufstätigen Ehefrau und einem achtjährigen Sohn. Aber auch Omar ist nicht das mustergültige Beispiel eines Anführers. Das merkt man spätestens dann, wenn er gemeinsam mit Waj während des Aufenthaltes in einem Ausbildungslager in Pakistan spontan versucht, eine amerikanische Drohne abzuschiessen und dabei beweist, dass er keine Ahnung davon hat, wie eine Panzerfaust funktioniert.

Barry hat währenddessen den Möchtegern-Rapper Hassan rekrutiert, für den das Ganze allerdings immer mit Spass verbunden sein muss. Der findet auch nichts dabei, die Wohnungsnachbarin hereinzulassen und mit ihr zu tanzen, während Bauteile für Sprengladungen auf dem Tisch herumliegen. Woraufhin man beschliesst, den Sprengstoff in Barrys Wohnung zu verlagern, was, da dessen Wagen auf dem Weg dorthin mal wieder seinen Geist aufgibt, zu einer Zitterpartie wird, als sie mit den explosiven Einkaufstüten durch die Strassen laufen. Es kommt, wie es kommen muss: Feisal, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, Krähen als Bombentransporteure abzurichten, sprengt sich selber in die Luft. Danach hat Omar genug von der Inkompetenz seiner Mitstreiter und sagt sich (vorübergehend) von der Gruppe los.

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Doch das ist nicht das Ende der Geschichte: plötzlich sind die Vier wiedervereint und machen sich mit Sprengstoffladungen unter ihren ausladenden Kostümen daran, Omars Plan – ein Attentat auf den Londoner Marathon – in die Tat umzusetzen. Die letzte halbe Stunde des Films trägt sich dann in London zu und ist mehr dramatisch als komisch. Das gilt zumal für das Ende des Films, die angehängten Momentaufnahmen wirken da eher wie Trostpflaster. Aber nicht allein dieser Stimmungswechsel zeigt die Ernsthaftigkeit des Films; es gibt durchgängig immer wieder Momente, in denen das Lachen in ein Erschrecken umkippt.

«Die Welt des Terrorismus öffnet viele Türen, hinter denen sich Komik entdecken lässt – Prahlerei, Ambition, Inkompetenz, Machismo, Hierarchien und Dynamiken in kleinen Gruppen, Grössenwahn, Minderwertigkeitskomplexe», sagen die Drehbuchautoren. Und Chris Morris fasst das Resultat seiner dreijährigen Recherchen zu der Erkenntnis zusammen, dass dem Thema «ein hoher Quotient an Farce» innewohne. «Am Abend des Jahrtausendwechsels planten fünf Jihadis, ein amerikanisches Kriegsschiff mit einer Barkasse voller Sprengstoff zu rammen. Mitten in der Nacht liessen sie ihr Boot zu Wasser. Sie luden es mit Sprengstoff voll. Sie gingen an Bord. Es sank. Terrorzellen haben dieselbe Gruppendynamik wie ein Herrenabend oder eine fünfköpfige Fussballmannschaft.»

Die Protagonisten des Films mögen lächerliche Figuren sein. Gleichwohl können auch sie beträchtlichen Schaden anrichten. Daran lässt der Film keinen Zweifel. Und das ist gut so.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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