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Die grosse erbschaft 07

Die grosse Erbschaft

Kurz nach der Premiere von Die grosse Erbschaft an den Solothurner Filmtagen 2011 stirbt Donatello Dubini im Alter vin fünfundfünfzig Jahren. So passt es irgendwie, dass sich das letzte gemeinsame Werk der Dubini-Brüder mit Erinnerung und eigener Familiengeschichte beschäftigt. Keines ihrer Werke ist so persönlich, ja familiär geprägt.

Text: Kathrin Halter / 21. Sep. 2011

Eine der letzten Einstellungen des Films zeigt Donatello Dubini. Der Filmemacher steht rauchend vor einem geöffneten Fenster, dreht sich zur Kamera, eine Silhouette im Gegenlicht. Kurz nach der Filmpremiere an den Solothurner Filmtagen, am 27. März 2011, stirbt Donatello mit erst fünfundfünfzig Jahren. So passt es irgendwie, dass sich das letzte gemeinsame Werk der Dubini-Brüder mit Erinnerung und eigener Familiengeschichte beschäftigt: Bekannt geworden sind die Dubinis mit essayistischen Autorenfilmen wie Jean Seberg: American Actress (1995) oder Ludwig 1881 (1993). Doch keines ihrer Werke ist so persönlich, ja familiär geprägt wie Die grosse Erbschaft.

Ausgangspunkt der filmischen Spurensuche ist eine schlechte Nachricht: Im Haus des Grossvaters in Lodrino, einem Dorf in der Nähe von Bellinzona, hat es gebrannt. Fosco hat das Gebäude «seit Jahrzehnten» nicht mehr betreten, als er mit einer Kamera, einer filmischen Idee und erfüllt von Kindheitserinnerungen aus den Fünfziger und Sechzigerjahren ins Tessin fährt. Ebenso lange sind einzelne Räume des lange verschlossenen Hauses nicht mehr geöffnet worden, wie uns ein Kommentar aus dem Off erläutert: «Alle einstigen Bewohner, alle Mitglieder einer Familie, sind nach und nach verstorben, jeder Überlebende hat den Lebensraum des anderen unverändert gelassen, nur bei dem Tod eine weitere Tür verschlossen. Übrig bleibt nicht ein Haus, das wir uns immer als eine Durchgangsstation der Lebenden vorstellen, sondern ein Gehäuse, das die vergangenen familiären Spuren beherbergt und konserviert, ein Kosmos voller Objekte, geordnet nach Funktion, Geschlecht, Bestimmung.»

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Fosco betritt also mit seinem Vater das Haus, in dem überall Brandspuren sichtbar sind: Auf Möbeln und Wänden liegt feiner Staub, die Wände sind verkohlt, Gegenstände teils merkwürdig verformt von der Hitze. Besonders an einem Kronleuchter im Wohnzimmer kann sich Fosco kaum sattsehen: die Kamera umkreist das Objekt immer aufs neue. Fast grausig dann der Blick in das Zimmer der Grossmutter, das vierzig Jahre lang unzugänglich blieb: In den Schränken hängen in Plastik verhüllte Kleider, vergilbt und sinnlos gewordene Schätze einer bürgerlichen Existenz. Die Frauen hätten immer weisse Schürzen getragen, erinnert sich später eine Cousine der Brüder, die Kleider habe man nur aufbewahrt für Gelegenheiten, die dann doch nie stattfanden.

So setzen sich nach und nach Bruchstücke einer Familiengeschichte zusammen: Die Grosseltern wandern um die Jahrhundertwende aus Italien ein und eröffnen in Lodrino eine Metzgerei. Zwei Töchter und zwei Söhne der insgesamt sechs Kinder bleiben unverheiratet und verbringen ihr ganzes Leben in einem Haushalt, der sich gegen aussen weitgehend abschottet. Das hat auch mit der Fremdenfeindlichkeit zu tun, die die Immigranten zur Zeit des Faschismus und noch in der Nachkriegszeit erfahren, auch wenn die Familie keinerlei Sympathien für die Faschisten zeigte. Es ist die am Privaten beiläufig illustrierte Alltags und Zeitgeschiche, die am meisten interessiert – auch wenn mehr über den Umgang mit Dokumenten reflektiert als tatsächlich erzählt wird.

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Dem Haus und seinen Bewohnern nähern sich die Dubinis aus verschiedenen Richtungen und mit kontrastierenden Methoden. In stimmungsvollen Passagen inszenieren sie das Haus als geisterhaften Ort einer verlorenen Welt, in die die Kamera hineinblickt, ohne je das Ganze erfassen zu wollen. So streift immer wieder ein Lichtstrahl über Fundstücke und Alltagsgegenstände, die vor delikaten Tapeten drapiert sind. Leicht gespenstig wirken auch die Aussenaufnahmen des Hauses bei Nacht, während der essayistische OffKommentar von Barbara Marx eine distanzierende Wirkung hat. Ganz sachlich hingegen wirkt der Tonfall bei den Hausbegehungen Foscos oder seinen Gesprächen mit dem Vater und einer Cousine, die die nüchterne Wirkung eines Fernsehinterviews ausstrahlen.

Schliesslich hat Fosco das Motiv einer – eher unernst gemeinten – Schatzsuche eingebaut: Mit einem Metalldetektor ausgerüstet durchkämmt der Filmemacher, begleitet von der Kamera seines Bruders, Haus und Garten auf der Suche nach Gold und Silbermünzen. Den Schatz soll Grossmutter angeblich gehortet haben. Die Suche nehme ihn «mehr und mehr gefangen», sagt Foscos Stimme im Off. Doch die Spannung will sich nicht recht auf uns Zuschauer übertragen; dramaturgisch gesehen ist die Schnitzeljagd ein zu schwacher Anlass, um Neugierde zu wecken. Handkehrum sind die Momente eher selten, wo das Haus tatsächlich eine Faszination des Verborgenen oder gar die Magie einer Wunderkammer ausstrahlt. Melancholisch stimmen hingegen die Aufnahmen vom Abbruch des Hauses. Es wirkt wie eine triste Ironie, wenn die Gemeinde auf dem leeren Grundstück nun einen Parkplatz bauen lässt. Ausgerechnet.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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