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Piel que habito 01

La piel que habito

Gar nicht so einfach, ein Verhältnis zum neuen Film von Pedro Almodóvar zu finden. Eine eigentümliche Kälte geht von ihm aus, eine mitleidlose Distanz, die so gar nicht zu diesem Regisseur passen will. Mehr noch: Die Verschachtelung der Zeitebenen hat etwas unnötig Komplexes, die vielen Anspielungen geben dem Film den Charakter einer analytischen Paraphrase. Und doch verlässt man das Kino mit einer Beklemmung und Bestürzung, wie man sie bei Almodóvar noch nicht erlebt hat.

Text: Michael Ranze / 21. Sep. 2011

Gar nicht so einfach, ein Verhältnis zum neuen Film von Pedro Almodóvar zu finden. Eine eigentümliche Kälte geht von La piel que habito aus, eine mitleidlose Distanz, die so gar nicht zu diesem Regisseur passen will. Mehr noch: Die Verschachtelung der unterschiedlichen Zeitebenen hat etwas unnötig Komplexes, die vielen Anspielungen, von Frankenstein über Hitchcock bis Georges Franju, geben dem Film den Charakter einer analytischen Paraphrase, die ständig Verknüpfungen zur Filmgeschichte herstellt, aber nicht mehr so spielerisch und nonchalant funktioniert wie zuvor in Los abrazos rotos. Und doch verlässt man das Kino, trotz aller Einwände und Bedenken, mit einer Beklemmung und Bestürzung, wie man sie bei Almodóvar noch nicht erlebt hat.

Antonio Banderas, der vor fast dreissig Jahren seine Karriere bei Almodóvar begann und 1989 mit Mujeres al borde de un ataque de nervios schlagartig bekannt wurde, spielt den plastischen Chirurgen Dr. Robert Ledgard, der gleich zu Beginn des Films vor interessiertem Publikum über die erfolgreiche Herstellung einer widerstandsfähigen künstlichen Haut referiert. Eine Haut, die seiner Frau vor zwölf Jahren das Leben gerettet hätte, als sie bei einem Autounfall grausam verbrannte. Allein dieser persönliche Bezug verdeutlicht schon die Obsession des Arztes, der sogar Genmaterial von Schweinen nutzt, um die perfekte, makellose Haut zu schaffen. Ethischmoralische Bedenken stören da nur, und so verfestigt sich im Laufe des Films das Bild eines mad scientist, den man aus zahlreichen Science-Fiction-Filmen der fünfziger Jahre kennt. Doch es wird noch irritierender: In seinem hochherrschaftlichen Anwesen hält Ledgard eine junge, wunderschöne Frau gefangen, die in einem hell erleuchteten, fast unmöblierten und klinisch sauberen Raum verschiedene Yoga-Stellungen vollführt. Dabei wird Vera, so ihr Name, ständig von Kontrollkameras beobachtet, die ihre Bilder auf Monitore in der Küche übertragen, die wiederum von Ledgards treu ergebener Haushälterin Marilia überwacht werden.

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Eine etwas aufgesetzt wirkende Kritik an der Allgegenwärtigkeit der Bilder im Alltag. Ein riesiger Fernsehschirm allerdings steht in Ledgards Schlafzimmer und nimmt fast die Hälfte der Stirnwand ein. Irritierend, wie der Arzt sein schönes Geschöpf fast wie einen Fetisch betrachtet und es immer näher heranzoomt – bis es ihn zu beherrschen scheint. Auf den ersten Blick scheint Vera nackt zu sein. Doch sie ist in einen hautfarbenen Bodystocking eingehüllt, der wie eine zweite Haut anliegt. Nach und nach erfährt der Zuschauer, dass Vera bereits seit sechs Jahren gefangen ist. In dieser Zeit hat sie ihre eigene Haut verloren und von Ledgard eine künstliche erhalten, weich, anschmiegsam und sogar feuerfest. Die Aufteilung in Zonen auf Veras Körper verweist auf das Bruchstückhafte dieses Prozesses, dem schon Frankensteins Monster unterlag. «Ich habe es geschaffen. Mit meinen Händen», heisst es dazu bei Mary Shelley. «Haut ist die Barriere, die uns von den anderen trennt, Haut legt die Rasse fest, zu der wir gehören, sie reflektiert unsere Gefühle und unsere Herkunft in biologischer und in geographischer Hinsicht», schreibt Almodóvar in den Produktionsnotizen, so, als wolle er bei der Interpretation seines Filmes helfen. Es geht also um Identität, die sich mit der Haut abstreifen lässt, um Verletzbarkeit, aber auch um Verführung, Sexualität und Liebe. Ledgard will sich nach seinen Vorstellungen die perfekte, unverwundbare Frau erschaffen, die immer bei ihm bleiben soll und die er ohne Widerspruch lieben kann. Dass hier ein Mensch durch eine verbesserte Version ersetzt wird, ist schon eine grausame, durch Aldous Huxleys Vision einer «schönen neuen Welt» geprägte Idee. Aber auch Hitchcocks Vertigo, in dem das Motiv der äusseren Verwandlung, das Erschaffen einer neuen Frau, eine grosse Rolle spielt, kommt einem in den Sinn.

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Almodóvar selbst hat in Cannes auf Georges Franjus Klassiker des modernen Horrorfilms verwiesen, Les yeux sans visage, in dem ein Chirurg Mädchen tötet, um seiner durch einen Autounfall entstellten Tochter, zu neuer Schönheit zu verhelfen.

Doch da hat der Regisseur längst ein weiteres Motiv eingeführt. Marilias Sohn Zeca vergewaltigt bei einem überraschenden Besuch Vera in einem absurd wirkenden Tigerkostüm, eine Verkleidung, die Almodóvar zufolge auf Elias Canettis «Der Feind des Todes» (aus dem Buch «Über den Tod») zurückgeht. Darin wird die Wachsamkeit eines eingesperrten, auf und ab laufenden Tigers beschrieben, «um nur nicht den kurzen, flüchtigen Moment einer Chance auf Erlösung zu verpassen». Ausgelöst durch dieses Ereignis blickt der Film sechs Jahre zurück, zu einer Feier, bei der Ledgards Tochter Norma von einem jungen Mann, Vicente, vergewaltigt wurde – so hat es zumindest den Anschein. Für Ledgard Grund genug, einen perfiden Racheplan zu schmieden.

Wie beide Erzählebenen zueinanderfinden oder besser: mit Wucht aufeinanderprallen, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. In einer Mischung aus Ironie und Banalität, Kolportage und Realität fährt der Schrecken in den Film und lässt den Zuschauer lange nicht los. Fast vergisst man darüber die vielen Angebote, Bezüge zur Filmgeschichte herzustellen, die klar komponierten, graukühlen Bilder zu bewundern oder vermeintlich Nebensächliches zu entdecken, Veras Tagebuch zum Beispiel, das sie einfach mit Eyeliner und Lippenstift auf die Wand kritzelt. Ein Datum nach dem anderen, beginnend mit dem Tag ihrer Entführung, steht hier geschrieben. Vera hält jeden Tag ihrer Vergangenheit fest. Nur so kann sie die Erinnerung an den Menschen, der sie einmal war, retten.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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