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Steam of life 04

Steam of Life

Steam of Life lässt sich viel Zeit. Bei seinen Einstellungen, den Dialogen, aber auch bei der Übermittlung seiner Botschaft. Was der Film eigentlich sein will – Drama, schwarze Komödie oder gar Thriller –, dessen kann man sich zu Beginn nicht sicher sein. Wer aber mit dem langen Atem des Films mithält, der wird am Ende versöhnt aus dem Kino gehen.

Text: Sandra Schweizer Csillany / 21. Sep. 2011

Steam of Life lässt sich viel Zeit. Bei seinen Einstellungen, den Dialogen, aber auch bei der Übermittlung seiner Botschaft. Denn was der Film eigentlich sein will – Drama, schwarze Komödie oder gar Thriller –, dessen kann man sich zu Beginn nicht sicher sein. Wer aber mit dem langen Atem des Films mithält, der wird am Ende versöhnt aus dem Kino gehen. Und vielleicht gleich weiter in die Sauna.

Stetig tropfender Schweiss, das ist der rote Faden des Films. Wir befinden uns im Mutterland aller Saunen, in Finnland. Dort führen uns Joonas Berghäll und Mika Hotakainen zu unterschiedlichen Protagonisten, die ihre Geschichten erzählen. Nur das Paar am Anfang von Steam of Life, ein Mann und zum einzigen Mal im Film eine Frau, muss sich nichts vom Herzen reden. Ihr jahrelanges Ritual – behutsam giesst er ihr Wasser über den Rücken – braucht keine Worte mehr. Er sagt: «Seit fast 51 Jahren mache ich das für dich.» Sie gehen so selbstverständlich miteinander durchs Leben wie sie in die Sauna gehen, suggerieren die Bilder.

Alle übrigen Saunagänger müssen sprechen. Ob es sich dabei um einen frischgebackenen Vater handelt, der seinen Kumpels vom Wunder des Lebens erzählt, oder um zwei Männer, denen man ansieht, dass das Leben unsanft mit ihnen umgegangen ist. Der eine, übergewichtig und rotfleckig im Gesicht, erzählt von seinem gewalttätigen Stiefvater und wie er es schliesslich schaffte, dessen Grausamkeiten entgegenzutreten. Der andere, hager und eingefallen, spricht von seiner Tochter, die ihm entzogen und schliesslich von seiner eigenen Familie adoptiert wurde, sodass sie ihm nun gleichzeitig Tochter und Stiefschwester ist. Ein ehemaliger Gefängnisbruder beobachtet aus der offenen Saunatüre heraus seine Kinder beim Spielen und erinnert sich daran, wie ihn ein die Flügel ausbreitender Schmetterling von seinem kriminellen Weg abbrachte.

Steam of life 03

Nikoläuse ziehen ihre Kostüme aus und geben ihre KlausErfahrungen zum Besten. Als Santa Claus werde man oft schlecht behandelt, finden sie. Ein breites Spektrum an finnischen Männerschicksalen, welches die Regisseure – wir wissen unterdessen, dass es sich um einen Dokumentarfilm handelt – ausbreiten.

Zwischen die Erzählungen schneiden die Filmemacher Bilder von tiefgefrorenen Winterlandschaften, Wäldern, Ebenen, sich bedächtig drehenden Mühlen der Windenergieanlagen. Von grünen Seen. Aber auch Industrieanlagen, aus deren Kaminen Rauch aufsteigt. Zwischen ernste Geschichten werden skurrile Bilder geschoben, etwa von einer Telefonkabine, die zur Sauna umfunktioniert wird, oder von einem Typen, der seine Sauna mit einem Bären teilt. Der sei wenigstens ein verlässlicher Freund, meint er. Den Worten wird viel Zeit eingeräumt, Hintergrundmusik dagegen fehlt fast gänzlich. Hie und da ein paar Klavierakkorde, das muss genügen.

Und es genügt. Steam of Life ist ein inszenierter Dokumentarfilm. Das kann man in Frage stellen oder auch nicht. Aber selten sagen 81 Minuten Film soviel Grundlegendes über das Leben aus wie hier. Dabei erlauben uns die Regisseure zwar, die Geschichten ihrer Protagonisten im Detail zu hören, aber sie üben sich meist in wohltuender Zurückhaltung in dem, was gezeigt wird. Über Grossaufnahmen gehen die beiden kaum hinaus. Auf dem Höhepunkt des Films erzählt ein Mann vom Tod seiner kleinen Tochter. Das ist erschütternd. Berghäll und Hotakainen lassen die Kamera, wo sie ist, und widerstehen Schnitt, Nahaufnahme und Emotionen schürender Hintergrundmusik. Wenn der Vater dann darüber spricht, dass es für Männer keine vorgegeben Muster gebe, mit Tod, Trauer und Einsamkeit umzugehen, dann ist das vielleicht dargestellt, aber doch wahrhaftig.

Steam of life 01

Trotz der vielen eher traurigen als schönen Geschichten, trotz distanzierter Kamera, trotz wenig Farbe und Klang, mit denen Auge und Ohr auskommen müssen, ist Finnlands Oscar-Beitrag als «Bester ausländischer Film des Jahres» ein sinnlicher Film. Und das liegt am Filmset Sauna. Wenn die Regisseure den Menschen gegenüber Zurückhaltung wahren, in der Sauna gehen sie nah an die Dinge heran. Die Kamera zeichnet auf, wie der Aufguss geschieht. Es zischt, und dieses Zischen wirkt wie ein Tusch, der Gesagtes unterstreicht. «Wer die Kelle hat, hat das Wort», soll es in Finnland heissen. Holz wird in kleine Öfen nachgeschoben, Birkenzweige wedeln den Dampf beiseite.

In der Sauna reduziert sich das Leben auf das Essentielle. Und das ist nach der Philosophie des Films wenig: Holz, Wasser, jemand, der zuhört, im Idealfall noch ein Bier. Auch die Geschichten, die hier bei hundert Grad Hitze erzählt werden, sind einfach. Die meisten kennen wir aus unserem eigenen Leben oder demjenigen von Freunden und Bekannten. Sie kommen vor. Die Sauna ist in Finnland der soziale Ort, an dem diese Vorkommnisse ausgesprochen werden können. So wie ein Besuch in der Sauna den Dreck aus den Poren schwemmt, so scheint das Schwitzen in der Sauna, die «traditionell rauhen finnischen Männer», wie einer von ihnen sagt, dazu anzuregen, sich Verstocktes wegzureden.

Zum Schluss treten alle Männer noch einmal auf. Gemeinsam formieren sich einige von ihnen in einer Industrieanlage zum Chor. Das ist Geschmackssache, verweist aber immerhin auf das Artifizielle des Films. Und darauf, dass es in ihm um die Befindlichkeit der Männer geht. Der finnischen Männer. Ihnen ist der Film auch gewidmet. In Finnland heisst es angeblich: «Die Frauen sind nach der Sauna am schönsten.» Das kann man von den Männern nicht in jedem Fall behaupten. Immerhin sind sie aber gereinigt.

Steam of life 02

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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