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More Than Honey

Ausgangspunkt von Markus Imhoofs filmischer Recherche auf vier Kontinenten bildet das bislang nur unzureichend erklärte Bienensterben der letzten Jahre. Gemeinsam mit seinem Kamerateam macht sich der Siebzigjährige auf die Suche nach möglichen Ursachen.

Text: Stefan Volk / 31. Okt. 2012

Nach fünfzehn Jahren meldet sich Markus Imhoof, der in den achtziger Jahren mit politisch brisanten Filmen wie Die Reise und vor allem dem Oscar-nominierten Das Boot ist voll zu einem der bedeutendsten Schweizer Filmemacher avancierte, auf der grossen Leinwand zurück. Und das mit einem Dokumentarfilm über Bienen. Dass er dabei aber keineswegs eine beschauliche Tierdokumentation mit Lokalkolorit im Sinn hat, macht bereits der englischsprachige Titel deutlich. Einer der Produzenten von More Than Honey, der Österreicher Helmut Grasser, war auch an Let’s Make Money und We Feed the World beteiligt, was ebenfalls einen eher globalen und zugleich kritischen Ansatz vermuten lässt.

Ausgangspunkt von Imhoofs filmischer Recherche auf vier Kontinenten bildet das bislang nur unzureichend erklärte Bienensterben der letzten Jahre. Gemeinsam mit seinem Kamerateam macht sich der Siebzigjährige auf die Suche nach möglichen Ursachen. Eine davon ist die industrielle Massentierhaltung, die im Grunde zwischen Kühen und Bienen keinen Unterschied macht. In den USA beispielsweise werden die Bienenvölker wie eine Ware tausendfach produziert und von Monokultur zu Monokultur, von der Mandel zur Apfelplantage in LKWs durch das halbe Land gekarrt. Viele Bienen sterben unterwegs, andere fallen dem Insektizideinsatz auf den Farmen zum Opfer. Schon längst werden die Bienen vorsorglich mit Antibiotika behandelt, um solche Strapazen besser überstehen zu können. Mit Biene-Maja-Romantik oder auch nur mit dem traditionellen Imkerhandwerk, wie es noch Imhoofs Grossvater pflegte, der immerhin 150 Bienenvölker besass und von dem der Filmemacher immer wieder aus dem Off erzählt, hat das kaum noch etwas gemein. Wenn der US-amerikanische Grossimker John Miller seine Bienen in den Mandelbäumen summen hört, tönt das für ihn nicht wie Musik und er philosophiert auch nicht über das Wunder der Natur, sondern konstatiert ganz pragmatisch: «Das ist der Klang des Geldes.»

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Ähnlich ehrfurchtslos gehen die österreichischen Züchterinnen zu Werke, die Bienenköniginnen Dutzendweise per Post durch die halbe Welt schicken. Wohin das alles schlimmstenfalls einmal führen könnte, veranschaulicht Imhoof bei seinem Abstecher nach China, wo es aufgrund des hohen Pestizideinsatzes schon ganze Landstriche gibt, in denen keine Bienen mehr leben. Die Obstplantagen müssen dort von Hand bestäubt werden. Baum für Baum tupfen menschliche Ersatzbienen den Pollen in die Blüten. Albert Einstein soll einmal gewarnt haben, wenn die Bienen ausstürben, würden ihnen ungefähr vier Jahre später auch die Menschen folgen. Auch wenn das übertrieben erscheint, ist die Problematik des Bienensterbens durchaus ernst zu nehmen. Immerhin hängt Imhoof zufolge weltweit etwa ein Drittel aller Nahrungsmittel indirekt von Bienen ab. Eine einfache Lösung für das Problem präsentiert er jedoch nicht. In der Innerschweiz besucht Imhoof den Imker Fred Jaggi, der sein Bienenvolk von Pestiziden, Antibiotika und anderen schädlichen Einflüssen abzuschotten versucht; mit dem traurigen Ergebnis, dass seine Bienen an Inzuchtschwäche verenden. Erfolgsversprechender klingt da die genetische Forschung von Imhoofs Tochter, die in Australien zusammen mit ihrem Mann daran arbeitet, eine Bienenart zu entwickeln, die gegen die gefürchtete Varroa-Milbe immun ist. Vielleicht aber gehört die Zukunft auch der “Killerbiene”, einer widerstandsfähigen und besonders aggressiven Kreuzung aus europäischer und afrikanischer Biene.

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Doch so sehr sich Imhoof für derlei Prognosen und wissenschaftliche Thesen interessiert, spielen sie im Gesamteindruck, den sein Film hinterlässt, nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr fungiert das rätselhafte Bienensterben in More Than Honey als ein Pars-pro-toto für ein komplexes System, das aus den Fugen gerät. Bienen- und Finanzkrise liegen da gleichsam auf einer Ebene, und More Than Honey reiht sich so in die zahlreichen globalisierungs- und kapitalismuskritischen Dokumentationen ein, die derzeit im Kino und Fernsehen kursieren. Imhoofs indirekter Zugang erweist sich dabei als aussergewöhnlich elegant und kunstvoll. Besonders beeindruckend sind die Makroaufnahmen, die zeigen, wie eine Bienenkönigin schlüpft oder während ihres Jungfernflugs begattet wird. In einem eigens hierfür eingerichteten Studio rückte Imhoof den Bienenvölkern mit Endoskopobjektiven und Miniaturhelikoptern auf den vibrierenden Leib. Dieses Kino zum Staunen und Geniessen in Superzeitlupe und hochwertigem BBC-Naturfilmformat setzt Imhoof während des gesamten Films kontrapunktisch der industriellen Verwertung der Bienen durch die Menschen entgegen. Anders als der Betrieb in der Massentierhaltung schärft der Dokumentarfilm auch den Blick für die Biene als individuelles Geschöpf. Imhoof lässt Verhaltensforscher zu Wort kommen, die den kleinen Tieren erstaunliche Intelligenz bescheinigen und feststellen, dass entgegen der üblichen Annahmen jede einzelne Biene so etwas wie einen eigenen “Charakter” besitze.

Auf raffinierte Weise verknüpft Imhoof in More Than Honey eine Vielzahl unterschiedlicher Einblicke in die Welt der Bienen und die der Menschen zu einem filmischen Zeitgemälde; irgendwo zwischen kritischer Gesellschaftsstudie und imposantem Naturfilm. Aber das Schönste daran sind nicht etwa die hochauflösenden, teilweise überwältigenden Bilder, sondern wie scheinbar nebenbei und undogmatisch Imhoof diese Bestandsaufnahme gelingt. Wer hätte gedacht, dass die in unseren Breiten doch noch immer allgegenwärtigen Bienen uns so viel zu sagen haben, wenn man nur einmal richtig hinhört und hinschaut.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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