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Haywire 01

Haywire

Gerade hat Tinker Tailor Soldier Spy im Genre des Spionagefilms den Blick verschoben, vom Agenten im Feldeinsatz (à la James Bond) auf die Mechanismen hinter den Kulissen, die Intrigen und den Verrat an allerhöchster Stelle, da schickt sich Haywire an, beides miteinander zu verbinden.

Text: Frank Arnold / 02. Mär. 2012

Gerade hat Tinker Tailor Soldier Spy im Genre des Spionagefilms den Blick verschoben, vom Agenten im Feldeinsatz (à la James Bond) auf die Mechanismen hinter den Kulissen, die Intrigen und den Verrat an allerhöchster Stelle, da schickt sich Haywire an, beides miteinander zu verbinden.

Mallory Kane ist Agentin im Ausseneinsatz, für eine selbständige Sicherheitsfirma tätig, die freelance die eher schmutzigen Aufträge ausführt; solche, bei denen sich, sollten sie einmal schiefgehen, keine Spuren zurück zum Auftraggeber verfolgen lassen.

«Trau’ keinem!» lautet die tag line auf dem deutschen Plakat, und in der Tat etabliert der Film von der ersten Sequenz an ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber allen Personen, mit denen es Mallory zu tun hat. Wenn also zu Beginn zu einem vereinbarten Treffen ein anderer Mann erscheint als der, der sich angekündigt hatte, dann bedeutet das für Mallory höchste Wachsamkeit. Zu Recht, denn dieser schüttet ihr nach kurzem Geplänkel seinen Kaffee ins Gesicht und attackiert sie. Dabei ist Aaron doch ein Kollege, arbeitet für dieselbe Firma. Ist es also die Firma selber, die Mallory ausschalten will? Und hat das etwas mit dem Auftrag in Barcelona zu tun, von dem sie gerade erst in die USA zurückgekehrt ist? Ein Auftrag, bei dem Aaron ihr Kollege war und ihr Liebhaber wurde. «Trau’ keinem!», das gilt auch für andere Kollegen: als in Dublin der ihr zugeteilte einheimische Kontakt Paul im Badezimmer ist, lädt sie den Inhalt seines Handys auf ihren Computer. Zu Recht, denn kurz darauf macht ein überraschender Fund ihr klar, dass die Vergangenheit sie einholt und dass jemand ein doppeltes Spiel mit ihr spielt. Als rogue agent, gefährlich und vogelfrei, ist sie fortan zum Abschuss freigegeben und versucht gleichzeitig, die Hintermänner zur Rechenschaft zu ziehen.

Haywire 03

Ein tödliches Element, das das System zum Erliegen zu bringen droht, weltweit gibt es Schäden, niemand aus der (Star-)Besetzung ist vor ihm sicher: was sich wie eine Beschreibung von Soderberghs letztjährigem Viren-Thriller Contagion anhört, trifft genauso gut auf Haywire zu (der schon vor Contagion gedreht wurde). Er wollte «so etwas machen wie die frühen Bond-Filme», hat der Regisseur erklärt.

Mallory Kane ist eine Kampfmaschine. Soderbergh hat sie mit Gina Carano, einer Mixed-Martial-Arts-Meisterin, besetzt; sie gibt hier ihr Debüt vor der Kamera. Das passt zu Soderberghs Realismuskonzept, das sich etwa bei che in den strapaziösen Drehbedingungen niederschlug, und knüpft an The Girlfriend Experience an, wo er Sasha Grey, einer einstigen Pornodarstellerin, die Hauptrolle eines High Class Escort Girls anvertraute. Alle Figuren ausser Mallory sind Männer, fast alle davon ihre Gegner, auch das erinnert an die Blaxploitation-Filme der siebziger Jahre, in denen sich Darstellerinnen wie Pam Grier oder Tamara Dobson als Action-Heroinen etablieren durften.

Zwischen eher unscheinbaren Schauplätzen in den USA und Barcelona, Dublin und Mallorca entfaltet der Film seine Geschichte, die eine der permanenten Verfolgungsjagden (durch die Strassen von Barcelona, über die Dächer von Dublin, im Auto im Rückwärtsgang durch einen schneebedeckten Wald) ist, und eine von Kampfszenen auf beengtem Raum (in Hotel- und Badezimmern). Realismus und Kinoillusion gehen dabei eine nachhaltige Verbindung ein: zwischen der aussetzenden Musik bei den Actionszenen und den «Waschbecken aus Schaumgummi» (Szenenbildner Howard Cummings), die den Realismus der Zweikämpfe erst möglich machten.

Haywire steht, zusammen mit Drive, für eine Rückkehr des schnörkellosen Genrekinos, die man sich gern gefallen lässt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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