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Renoir 01

Renoir

Im Lauf von mehr als hundert Jahren sind die Renoirs aus Limoges eine europäische Familie geworden wie manche andere; auffällig ist allerdings der ausgeprägte künstlerische Einschlag, seit 1850 und über Generationen hinweg. Pierre-Auguste, der Vater, und der Sohn Jean schreiben beide Geschichte, der eine als Maler der andere als Cineast.

Text: Pierre Lachat / 23. Jan. 2013

Im Lauf von mehr als hundert Jahren sind die Renoirs aus Limoges eine europäische Familie geworden wie manche andere; auffällig ist allerdings der ausgeprägte künstlerische Einschlag, seit 1850 und über Generationen hinweg. Pierre-Auguste, der Vater, und der Sohn Jean schreiben beide Geschichte, der eine als Maler der andere als Cineast. Hinzu kommen zwei weitere Söhne, Pierre und Claude, die ihrerseits Schauspieler und Keramiker werden, während einer der Enkel, Claude der Jüngere, als Kameramann auch mit seinem Onkel Jean drehen wird. Seinerseits hätte der Filmemacher ursprünglich Keramiker werden sollen, wie Pierre-Auguste es während seiner Lehrjahre war.

Was jetzt nach einer Verschwörung unter Männern klingt, korrigiert sich sehr rasch von allein. Der Film von Gilles Bourdos beharrt lustvoll darauf: Das wahre Regiment führen mindestens zeitweise die Frauen, selbst nach dem Tod der Mutter. Aus minderen Stellungen etwa einer Haushälterin oder Küchenmagd heraus suchen sie die Nähe des vollbärtigen Patriarchen; und sie wissen Pierre-Augustes Bedürfnisse einzuschätzen, um seine Schwächen für die eigenen Zwecke zu nutzen: meistens besser, als es die geborenen Mitglieder des Clans tun. Entsprechend geht die wahre Hauptfigur von Renoir weniger aus der dynastischen Linie der Maler, Cineasten, Schauspieler, Keramiker und Kameraleute hervor, sondern bewegt sich vom Rand her.

Renoir 02

In den Mittelpunkt rückt eine anfangs Aussenstehende, heisst das, Andrée. Die dahergelaufene Elsässerin, genannt Dédée, versteht es, sich durchtrieben und flatterig zwischen den schon halb invaliden Pierre-Auguste und seinen meistversprechenden Nachkommen Jean zu klemmen. Dem Impressionisten, der seit mehr als einem halben Jahrhundert malt, dient die junge Fremde als Modell, dem nachwachsenden Regisseur als Mätresse und, in seinen späteren Stummfilmen, als Hauptdarstellerin. Bürgerlich heisst sie Heuschling, mit dem Künstlernamen dann Hessling. Aus dem maskulin betonten Andrée wird eine makellos weibliche Catherine, sprich: «die Reine, die Geläuterte». Dabei wird es keine Jahre dauern, bis sie kaum noch zusammenzucken mag, wenn sie geradeheraus une pute genannt wird: eine Hure.

Von beidem das Beste

Wenig anderes kann erwarten, wer es auf sich nimmt, dem notorisch weibstollen Lustgreis Pierre-Auguste zwecks Inspiration den nackten Leib darzubieten, tagelang und über Monate. Dem Vater lebt Jean seinerseits in manchem zuwider, in etlichen Belangen aber auch dem Vorbild gemäss; des Lobes voll, wird er ihm «Pierre-Auguste Renoir, mon père» zueignen, bis heute ein vielgelesenes Buch. Dédée wiederum gedeiht nie zum vollgültigen Mitglied der Familie heran, selbst als Zugeheiratete auf Abruf. Meistens werden die Frauen im Kreise der Lieben erst einmal ausgenützt, dann zu Angebeteten vergöttert und schliesslich, wenn gar reif, vorlaut und gefährlich wissend geworden, in die Küche oder Alterspflege versetzt, bei Widersetzlichkeit geschasst von Haus und Hof.

Von Christa Théret gespielt, wirkt die nachmalige Catherine wie aus einem Aktporträt des Meisters herausgegriffen: jugendlich gerundet, eine Haut wie Schneewittchen, strammbusig, breit im Gesicht, weitstehende Augen, ausgiebig rotbraun gelockt. Eine maskuline Schnodderrede verfiele wohl auf ominöse Ausdrücke wie: verführerisch lasziv und von kurzlebiger Schönheit; noch fünfzehn Jahre hat sie vielleicht, ehe der Schmelz dahin ist und Nachschub fällig wird. La chair sei alles, ruft Pierre-Auguste einmal aus, angetan von einer gerade beendeten Arbeit: das Fleisch! Und meint damit auch, nebst anderem, den Lichtwurf und die Handschrift von der Chose.

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Der Alte, der Dédée zum Beispiel als «Blonde à la rose» wiedergibt, ist im Jahr 1915 kaum noch zu heilen, der Junge, der sie wird filmen wollen, noch zu pfadfinderhaft: ein halsbrecherischer Kumpel und Kumpan, den es zurück an die Front zieht, wo er schon einmal verwundet worden ist. Hurrapatriotisch möchte er in die Luftwaffe eintreten, solange der Weltkrieg noch hinhält. Seine nachmalige Hauptdarstellerin wird versuchen, aus beidem das Beste für sich zu machen: auf dem Weg über die eine Leinwand, die traditionell bepinselt wird, und parallel dazu über die andere. Die neue heisst zwar wieder gleich, operiert aber nun mit Rollen und einem Projektor.

Keine Imitation

Ohne je zu verstehen, wie ihr geschieht, gerät sie exakt an den historischen Schnittpunkt von Malerei und Film heran und riskiert damit, zwischen den beiden Töpfen zu verhungern. Aus den späteren Kinostücken von Jean Renoir, seinen besten, wird Catherine Hessling nach einem halben Dutzend leidlicher Auftritte schlicht verschwinden und in Tonfilmen kaum noch zu sehen sein. Zwischen Vater und Sohn wiederum vollzieht sich der Wechsel von der überlieferten zur neu aufkommenden Sparte nahezu frei von Konflikten, auch wenn Pierre-Auguste, gespielt von Michel Bouquet, jedem Umbruch gegenüber skeptisch bleibt.

Tod und Teufel, Krieg und Apokalypse überlasse er gern den Kollegen, versichert er; für malerisch halte er nur solche Motive, die Freude bereiteten und mit Pläsier anzuschauen seien. Doch dafür, fügt er wohl in Gedanken hinzu, sind Filme bedingt geeignet. Das Desaster von 1914 leitet das zwanzigste Jahrhundert ein; beschliesst der Gründervater, es zu ignorieren, von der verderblichen Schönheit offensichtlich verführt. Jean hingegen sieht, wie rapid die Zeiten sich ändern; mit dem Krieg und dem Kino verschieben etwa auch der Jazz oder Neuerungen in der Literatur die Verhältnisse in Europa. Der Jüngere liefert sich der Gegenwart aus und wird dereinst, vielsagenderweise, in Hollywood reüssieren.

Gutgemeinte Kinostücke, die es vom Thema her mit der Malerei zu tun bekommen, neigen zur Übertreibung und Doublette, indem sie angestrengt versuchen, sich gleich selber wie sachte nachempfundene Quasi-Gemälde aufzuführen. Bourdos und sein Kameramann Mark Ping Bing Lee entziehen sich der fatalen Versuchung; zwar sind ihre Scheinwerfer im weitesten Sinn von jenem Impressionismus inspiriert, der den Film reich beschenkt hat. Doch meiden die Bilder jede Imitation von Renoirs charakteristischem Pinselstrich oder seiner Farbdramaturgie und Perspektive. In seinen letzten Jahren bevorzugt Pierre-Auguste ausladende Formen und tut es unter einer Betonung des Fleisches, die selber schon aufträgt. Eine Karikatur des bereits Überzeichneten müsste auf der Leinwand von heute in der Groteske münden.

Die eigenen Vorschläge

Dementsprechend arbeiten Bourdos und Lee mit nüchterneren Kompositionen, die gewiss das Spiel von Licht und Farben, den Wechsel von Innen und Aussen, von Wetterlagen, Tages- und Jahreszeiten so veranschaulichen, wie es dem gewählten Thema zusteht; dennoch sind es Bilder, die sich nie messen oder etwas anmassen. Denn keine Frage, Renoir war ein Impressionist; aber wissen wir, was darunter genau zu verstehen sei, oder wusste er es selber; hätte er diese eine Ansicht hier, vom Haus am Meer bei Cagnes nahe Nizza, wo die Familie ihre besten Zeiten verbrachte, schon selber so oder ähnlich gedeutet, bald hundert Jahre sind es her? Kein Mensch kann es wissen. Den Filmemachern ist es nur gerade gegeben, eigene Vorschläge zu präsentieren. So stellen wir uns die Sache vor und lassen’s munter drauf ankommen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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