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Bellezza 01

La grande bellezza

«Sorrentinos Roma» könnte dieser Film auch heissen, in Anlehnung an den bundesdeutschen Verleihtitel von Federico Fellinis Roma. Rom ist zweifellos, neben Toni Servillo, die Hauptfigur dieses Films, es geht um die Schönheit der Stadt, ihre Geschichtsträchtigkeit, ihre Lebendigkeit, die wiederum Auslöser für anderes ist, für Versuchung und Verführung, für Begegnungen und Liebe.

Text: Michael Ranze / 31. Juli 2013

«Sorrentinos Roma» könnte dieser Film auch heissen, in Anlehnung an den bundesdeutschen Verleihtitel von Federico Fellinis Roma. Rom ist zweifellos, neben Toni Servillo, die Hauptfigur dieses Films, es geht um die Schönheit der Stadt, ihre Geschichtsträchtigkeit, ihre Lebendigkeit, die wiederum Auslöser für anderes ist, für Versuchung und Verführung, für Begegnungen und Liebe. So ist es nur selbstverständlich, dass sich Paolo Sorrentino, der mit Il divo dem Polit-Geschehen in Italiens Hauptstadt nachspürte und mit This Must Be the Place ganz woanders, in Amerika nämlich, unterwegs war, der Metropole mit einer gleitenden, langen Kamerafahrt von oben nähert, mal hierhin schaut, mal dorthin – bis sie sich schliesslich einem Chor nähert, der zwischen antiken Säulen zur Freude von Touristen ein Lied singt. Ein Japaner löst sich aus dem Pulk, schiesst ein Foto und bricht sterbend zusammen. Rom sehen, knipsen und sterben? Ein etwas neckischer Auftakt, dessen Absicht sich dem Zuschauer vielleicht erst am Ende erschliesst. Fellini zeichnete 1971 mit Roma ein sehr persönliches, sehr fellineskes Bild der Stadt. Dabei pfiff er auf jeglichen Realismus und verliess sich lieber auf seine Erinnerungen, Träume, Beobachtungen und Erfindungen. Rom – das ist bei Fellini eine Stadt voller Illusionen und Mythen, ein Ort für verbotene Abenteuer und Schlüssel zu einem aufregenden Leben. Fellini erfand und erbaute sein eigenes Rom – so als wollte er dem Publikum suggerieren, dass die Wirklichkeit in dem besteht, was der Künstler schafft. Sorrentino hingegen bleibt an der Oberfläche, er gefällt sich in seinen betörenden Bildern, in den aufregenden visuellen Ideen, in seiner prägnanten Farbgebung, Sorrentino lässt uns staunen, ganz gewiss sogar. Doch er gewährt uns keinen Blick dahinter.

Schnitt. Ortswechsel. Eine Party der oberen Zehntausend, irgendwo über der Stadt. Popmusik wummert aus den Boxen, die Gäste tanzen ausgelassen und wild. Immer wieder schleudern sie abwechselnd die Arme in die Luft, und dann geben die Hände den Blick frei auf Jep Gambardella, der heute seinen fünfundsechzigsten Geburtstag feiert. Steif steht er da und blickt mit traurigen Augen die Gasse hinab, die die Tanzenden gebildet haben. Ein Unbeteiligter wie Jay Gatsby, der die Aufmerksamkeit geniesst, aber die Begeisterung der Feiernden nicht teilt. Gambardella ist Journalist, vor vierzig Jahren schrieb er einen vielgelesenen Roman. Doch der Erfolg lässt sich nicht wiederholen.

Bellezza 02

«Sorrentinos La dolce vita» könnte dieser Film auch heissen, wieder in Anlehnung an Fellini. La dolce vita war 1959 Fellinis Sicht des dekadenten «süssen Lebens» der römischen Gesellschaft, gesehen mit den Augen eines Journalisten, den die Leere und Langeweile um ihn herum zwar abstossen, der es aber gleichzeitig nicht schafft, sich von der Fassade und Maskerade der Via Veneto zu lösen. Angst, Entfremdung, Vereinsamung und Kommunikationslosigkeit sind Fellinis Themen. Bei Sorrentino hingegen hat man den Eindruck der Beliebigkeit. Zugegeben: Diese Party zu Beginn des Films hat etwas Frenetisches, Mitreissendes, Absurdes, mit dem Blick für Nebensächliches auch etwas Surrealistisches. Doch die Zeiten haben sich geändert: Das geschäftige Treiben auf der Via Veneto gehört schon lange der Vergangenheit an, Italien hat inzwischen mit Schuldenkrise und Arbeitslosigkeit ganz andere Probleme, und die kommen bei Sorrentino nicht vor.

In der Folge mag sich keine konsekutive Handlungsführung herauskristallisieren. Der Regisseur wirft seinen Helden, der eher einem Ritter von trauriger Gestalt gleicht, in episodenhafte Situationen, die er stoisch über sich ergehen lässt, er begegnet Menschen, erlebt kleine Anekdoten, hört dem endlosen, bedeutungslosen Gerede auf der Terrasse – eine Anspielung auf Ettore Scolas La terrazza – zu, beobachtet vor allem – so wie Marcello Mastroianni in La dolce vita. «Natürlich sind Roma und La dolce vita Werke, die man nicht ignorieren kann, wenn man an einem Film arbeitet, wie ich ihn machen wollte», so der Regisseur. Doch wo Mastroianni noch nach Lebenssinn suchte, bleibt bei Toni Servillo nur Bedauern – über eine verflossenen Jugendliebe, über erloschene Kreativität, über Vergangenes. Darum zündet sein Zynismus nicht mehr, sein Pessimismus hat nichts Erhellendes, das Klagen über Langeweile und das Alter wirkt bloss larmoyant.

Natürlich ist Rom auch die Stadt des Vatikans – ein Kardinal spricht ausschliesslich über Kochrezepte (wobei es Sorrentino hier nicht um Kritik an der katholischen Kirche, sondern um öffentliche Vorführung der Esskultur geht), eine greise, zahnlose Nonne, die kaum zu verstehen ist, dient als Kontrapunkt zum lockeren, dekadenten Leben der römischen Oberschicht. Irgendwann ersetzt Gambardella seine Partygäste einfach durch Flamingos, die nach einem schönen Moment des Verweilens davonfliegen. Auch das nur eine starke, metaphorisch überhöhte Bildidee – nicht mehr.

Am Schluss, der Abspann läuft schon, fährt die elegante Kamera von Luca Bigazzi noch einmal an besonders fotogenen Stätten Roms entlang, über den Tiber und durch enge Gassen, vorbei an Palazzi und grosszügigen Plätzen. Rom ist eine ungemein schöne Stadt – daran lässt der Film mit seinen ausgesuchten, faszinierenden Tableaus keinen Zweifel. La grande bellezza – zweieinhalb Stunden folgt man dem imaginären Ausrufezeichen des Filmtitels und hat sich keine Minute gelangweilt. Schönheit kann töten, so wie den japanischen Touristen zu Beginn, weil sie manchmal schwer zu ertragen ist. Das gilt auch für das Kino.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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