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Vaters garten 01

Vaters Garten

Soll niemand sagen, dass es einfach sei, sich seinen Eltern zu stellen. Das heisst im Fall von Vaters Garten konkret: sich als Filmemacher Peter Liechti der Geschichte von Max und Hedy Liechti zu stellen. Der des Ehepaars Liechti, muss man präzisieren, denn auch wenn der Regisseur seine Mutter, seinen Vater öfter einzeln vor die Kamera holt, die beiden gibt es nur zusammen.

Text: Irene Genhart / 25. Sep. 2013

Ach, heiliger Zorn, verzwickte Zärtlichkeit! Soll niemand sagen, dass es einfach sei, sich seinen Eltern zu stellen. Der Familie. Sich – als längst erwachsener Mensch – mit der Geschichte der unmittelbar vorangehenden Generation auseinanderzusetzen. Derjenigen, von der man sich in der Jugend abgrenzen muss, um sich selbst zu werden. Das heisst im Fall von Vaters Garten konkret: sich als Filmemacher Peter Liechti der Geschichte von Max und Hedy Liechti zu stellen. Der des Ehepaars Liechti, muss man präzisieren, denn auch wenn der Regisseur seine Mutter, seinen Vater öfter einzeln vor die Kamera holt, die beiden gibt es nur zusammen. Als Herr und Frau Liechti; nie wird der Familienname – der Mädchenname, wie man sagt – der Mutter erwähnt.

Obwohl Vaters Garten kein sentimentales Zurückschauen, sondern ein Innehalten und Reflektieren in der Gegenwart ist, streift der Film durchaus auch die Vorgeschichte. Die Zeit vor der Geburt des Sohnes, von dem die Mutter, direkt darauf angesprochen, sagt, dass, liesse sich die Zeit zurückdrehen und dieser Sohn noch einmal zeugen, sie sich vielleicht doch einen «etwas einfacher Denkenden» wünschen täte. Hedy stammt aus einer Metzgersfamilie, geboren ist sie wie Max in den dreissiger Jahren. Metzger waren damals angesehene Leute. Bei ihnen kam immer etwas auf den Tisch, war immer Geld vorhanden. Wohingegen in Max’ Familie, dessen Vater Stickereientwerfer war, der Gürtel ab und zu enger geschnallt werden musste. Er sei ein einfacher Mensch, sagt Max Liechti heute, er sei es immer gewesen. Er ist in St. Gallen geboren, aufgewachsen, geblieben. Weil es keinen Grund gibt, wegzugehen und anderswo neu anzufangen, wenn es einem an einem Ort gefällt und es einem da gut geht. Hedy aber, sagt er, die war verwöhnt, die war das Reisen und Autofahren von der Familie her gewohnt. Eigentlich hätte Hedy – doch nein, er sagt nicht Hedy, Max Liechti sagt meist «die Frau», wenn er von seiner Lebenspartnerin spricht –, eigentlich hätte die Frau auch nach der Hochzeit weiterreisen und die Welt entdecken wollen. Doch das war irgendwie nicht möglich. «Weisst du, Peter», sagt die Mutter einmal, «mein Leben als Frau ist ein ganz anderes als deines. Da hat man früher früh gelernt, sich zu arrangieren.» So zog sie sich in die Welt der Bücher zurück, derweil Max – gewisse Widersprüchlichkeiten muss ein Leben ertragen – nach schönsten Erinnerungen befragt, von Viertagesausflügen mit Kollegen berichtet und bisweilen heute noch vom Fliegen träumt: der Busleitung entlang vom Zentrum der Stadt bis zur Station, wo es auszusteigen gilt, wenn man zu Hause ankommen will.

«Living together in worlds apart» nennt man solche Zusammenleb-Arrangements von Menschen, die nicht richtig zueinander passen. Meist bezeichnet man damit die Kluft zwischen Generationen. In Vaters Garten ist es in erster Linie diejenige zwischen Frau und Mann; in zweiter diejenige zwischen Eltern und Sohn. Es sei immer ein Dreieck gewesen, meint Hedy: Vater – Mutter – Sohn. Und dann sei die Jugendrevolte gekommen, und damit habe die Welt sich zu verändern begonnen. Jeans trug der Sohn nun und rebellierte zu Hause. «Max», sagt Hedy, doch sie nennt ihren Lebenspartner auch schon mal «Papi», «konnte damit weniger gut umgehen als ich.»

Er ist kein rebellischer Revoluzzer mehr, der 1951 geborene Filmemacher Peter Liechti. Er widerspricht den Eltern auch nicht, wie er sie über zwölf Monate im Alltag begleitet. Frühling, Sommer, Herbst, Winter und Frühling wird es in seinem Film. Die Mutter geht einkaufen, haushaltet, der Vater vertreibt sich seine Zeit im Schrebergarten, werkelt zu Hause herum. Sie kümmern sich umeinander. Pragmatisch. Wobei Pragmatismus durchaus auch eine Form von Liebe ist. Peter stellt Fragen, schaut zu, hört zu, kommentarlos. Manchmal hakt er nach. Mehr nicht. Was noch lange nicht heisst, dass er nicht Position bezieht. Er hat Fragen und Antworten in der Montage verdichtet. Und er hat intimste Szenen als Puppenspiel nachinszeniert. Die Eltern treten als Herr und Frau Hase auf und sprechen plötzlich hochdeutsch. Alles im Film Gesprochene, heisst es, sei so gesagt worden. Im Theater ist der Sohn, anders als sonst, auch im Bild anwesend. Als sensibel-nervöser Puppenkasperli, der zapplig die Hände verwirft, wenn ihn ob dem Gesagten das Unbehagen packt. Auch die Musik bezieht Position; stürmisch schrammt es da manchmal los. Der Soundtrack ist assoziativ und sehr präzis, eine Wonne für sich, einer eigenen Lektüre wert. Zwischen Kasperlitheater, Alltagsbeobachtungen und Interviews finden sich auch Landschafts- und Naturaufnahmen: ein aufziehender Gewittersturm, ein tulpenförmiger gen Himmel strebender Baum und immer wieder Blumen in Nahaufnahme. Sie geben dem Film Ruhe, eine Bedächtigkeit, die er neben der Heftigkeit, die – ach Zärtlichkeit! ach Zorn! – immer wieder aufbricht, dringend braucht. Etwa wenn Sätze fallen wie: Die Frau darf ihre Meinung ausdrücken, aber das Sagen im Haus hat der Mann. Oder wenn sich die vor Jahren nach Griechenland entschwundene Schwester plötzlich in den Film drängt, obwohl abgemacht war, dass just dies nicht passieren dürfe. Vaters Garten ist ein mutiger, radikaler, schonungsloser, ehrlicher, sehr berührender Film. Ein im Privaten verortetes family picture im eigentlichen Sinn des Wortes, zugleich aber auch ein filmisches Adieu an die Generation der heute über Achtzigjährigen, die sich «still aus einer Welt verabschiedet, die längst nicht mehr die ihre ist», wie der Regisseur es formuliert.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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