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Foxcatcher 01

Foxcatcher

Nach einem kurzen Prolog, in dem Dokumentaraufnahmen einer Fuchsjagd Bezug auf den Filmtitel nehmen und das reiche Milieu, in dem Foxcatcher später spielen wird, ankündigen, springt der Film zu zwei Brüdern, die einen Trainingskampf im Ringen austragen. Er mutet wie die Choreografie eines Tanzes an: beäugen, lauern, zupacken, die richtige Stellung finden, den sicheren Stand, den perfekten Griff. Wo zeigt der andere eine Blösse, welcher Hinterhalt verfängt?

Text: Michael Ranze / 21. Jan. 2015

Nach einem kurzen Prolog, in dem Dokumentaraufnahmen einer Fuchsjagd Bezug auf den Filmtitel nehmen und das reiche Milieu, in dem Foxcatcher später spielen wird, ankündigen, springt der Film zu zwei Brüdern, die einen Trainingskampf im Ringen austragen. Er mutet wie die Choreografie eines Tanzes an: beäugen, lauern, zupacken, die richtige Stellung finden, den sicheren Stand, den perfekten Griff. Wo zeigt der andere eine Blösse, welcher Hinterhalt verfängt? Das Training zeugt von der Verbundenheit, ja sogar Zärtlichkeit der Brüder, ihrer Liebe zueinander und zum Sport, aber auch von unterschwelliger Aggressivität, die auf Konkurrenz verweist: Hier fechten zwei stellvertretend noch einen anderen Kampf aus, dies ist auch das Ringen um Liebe und Respekt.

Es gibt wohl kaum eine andere Zweikampfsportart, bei der sich die Gegner so nahe kommen wie beim Ringen. Während sich Boxer immer auch auf Distanz halten, um nicht zu viele Treffer einzustecken, und Judoka durch Zug und Druck versuchen, den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen, gehen Ringer auf Tuchfühlung. In intimer Umarmung, der durchaus etwas Homoerotisches zukommt, versuchen sich die Kontrahenten durch Hebel- und Schleudergriffe auf den Boden zu bringen und dort, zumindest für kurze Zeit, festzuhalten. Die Niederlage kommt so einer Unterwerfung gleich. Worte sind nicht mehr nötig.

Darum spricht eine der Hauptfiguren von Foxcatcher, der US-amerikanische Ringer Mark Schultz, nur selten darüber, was in ihm vorgeht. Sein älterer Bruder Dave ist da ganz anders: ein gescheiter, eloquenter, lebenstüchtiger Familienmensch. Gemeinsam haben sie 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles Goldmedaillen gewonnen. Doch das ist drei Jahre her, Mark hat den Zenit seiner Karriere vielleicht schon überschritten. Da kommt die Einladung von John E. du Pont, einem der reichsten Männer der USA, auf seinem luxuriösen Anwesen in Pennsylvania gemeinsam mit dem US-Ringerteam für Olympia 1988 in Seoul zu trainieren. Mark sagt zu, Dave hingegen hat sich mit festem Beruf, liebevoller Frau und zwei kleinen Kindern in eine andere, entgegengesetzte Richtung bewegt.

Foxcatcher 02

Du Pont ist ein eigenbrötlerischer Neurotiker, der seine mangelnden sozialen Fähigkeiten durch ungewöhnliche Interessen wie Vogelkunde und Waffen kompensiert. Ein Nerd, der die edlen Pferde seiner Mutter in einem Akt der Befreiung durch eine Ringermannschaft ersetzt. «It’s a low sport», sagt sie einmal pikiert und von oben herab, «you’re making yourself low.» Nur durch sein Interesse fürs Ringen, eine Sportart, bei der er seine unterdrückte Homosexualität etwas ausleben kann, setzt er sich von seiner Mutter ab und tritt so aus ihrem Schatten. Ein Ringen um Liebe und Respekt auch hier.

Mark erliegt zunächst den Verlockungen von unermesslichem Reichtum und aufregendem Leben der High Society. Er erlaubt es sogar, dass du Pont ihn öffentlich in die Rolle des Sohns und Schutzbefohlenen drängt und bewusst von seinem reiferen und klügeren Bruder entfremdet. Doch die örtliche, mitunter auch körperliche Nähe zu seinem Mentor, die Psychospiele und Intrigen, die Strafen und das Kokain treiben den jungen Mann immer mehr in die Isolation. Channing Tatum, in Filmen wie G. I. Joe, Magic Mike oder 21 Jump Street der unbeschwerte, attraktive Draufgänger, spielt Mark in Wandlung seines Images mit vorgeschobenem Kinn, starrenden Augen und dümmlich wirkenden Gesichtszügen, sein muskelbepackter Körper zwingt ihn mit abgewinkelten Armen zu einem schweren, schaukelnden Gang. Ein brodelnder Vulkan, der irgendwann ausbrechen wird. Auch Dave, der inzwischen mit Frau und Kindern auf das Anwesen gezogen ist, um das «Team Foxcatcher» zu leiten, wird das nicht verhindern können.

Die Authentizität der Geschichte ändert nichts an ihrer beklemmenden Absurdität. Dass der Sohn einer Industriellenfamilie, die ihr Vermögen mit Waffen und Schiesspulver während des amerikanischen Bürgerkriegs gemacht hat, ein nationales Sportteam aufkauft und es in einem professionell ausgestatteten Trainingslager auf seinem Anwesen einquartiert, die Ringer isoliert und in einer Huis-clos-Situation wie in einem Dampfkessel gefangen hält, ist eigentlich undenkbar. Doch du Pont ist es gewohnt, dass Geld ihm alles ermöglicht. Die traurige, fast schon tragische Erkenntnis: Du Pont hat vom Ringen keine Ahnung. Einmal gewinnt er ein Altherrenturnier nur durch Bestechung, in einer von ihm geleiteten Trainingsstunde, die von seiner Mutter missbilligend beobachtet wird, entlarvt er sich als Dilettant. Steve Carell, ausgewiesener Komiker und mit The 40-Year-Old Virgin 2005 über Nacht berühmt geworden, ist hier kaum wiederzuerkennen: maskenhaftes Gesicht, grosse Nase, unbewegte Augen, Kopf stets im Nacken, abgehackte, monotone Sprechweise – ein Ritter von trauriger Gestalt, den man nicht verärgern darf.

Bennett Miller hatte bereits 2011 mit <Moneyball> die eng gesteckten Grenzen des Sportlerfilms erweitert. In beiden Filmen geht es ihm nicht um die spannungsbetonte Darstellung von Sieg und Niederlage, von Rückschlägen und Comeback. Marks Goldmedaille, die er schüchtern einer Schulklasse zeigt, und du Ponts Trophäenraum stehen stellvertretend für Triumphe, die man nicht mehr zeigen muss. Miller stellt vielmehr die wirtschaftlichen Voraussetzungen des Leistungssports heraus, die metaphorische Bedeutung des Ringens, eine gescheiterte Mutter-Sohn-Beziehung, es geht um Neid, Konkurrenz und Loyalität zwischen Brüdern. Das kann, in dieser massiven Wucht, nur in eine Tragödie führen, im Leben wie im Film.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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