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Truman 06

Truman

Für vier Tage ist Tomás aus Kanada in seine Heimatstadt Madrid zurückgekehrt, um seinen Jugendfreund nochmals zu sehen. Dass Julián todkrank ist, weiss er nicht von ihm selbst, sondern von dessen besorgter Cousine Paula. Julián sorgt sich mehr um seinen treuen Begleiter als um sich selbst. Sein Krebs lässt sich nicht mehr heilen, der Tod nur noch wenig hinauszögern. Eine berührende Tragikomödie von Cesc Gay mit den hervorragenden Hauptdarstellern Javier Cámara und Ricardo Darín.

Text: Tereza Fischer / 02. Nov. 2015

Für vier Tage ist Tomás aus Kanada in seine Heimatstadt Madrid zurückgekehrt, um seinen Jugendfreund nochmals zu sehen. Dass Julián todkrank ist, weiss er nicht von ihm selbst, sondern von dessen besorgter Cousine Paula. Julián tut sich schwer damit, den Menschen, die ihm nahestehen, von seinem Schicksal zu erzählen. Anderen weniger. Nun ist er doch von Tomás’ längst überfälligem Auftauchen überrascht, aber auch erfreut. Obwohl er ahnt, dass Paula Tomás beauftragt hat, ihn von der nächsten Therapie zu überzeugen, nimmt der sture Patient seinen Freund überallhin mit. So staunt der diskrete Tomás nicht schlecht, als ihn Julián zum Tierarzt schleppt, von dem er wissen will, wie sich sein Hund Truman nach dem Verlust des Herrchens fühlen wird. Julián sorgt sich mehr um seinen treuen Begleiter als um sich selbst. Sein Krebs lässt sich nicht mehr heilen, der Tod nur noch wenig hinauszögern. Das nimmt er erschreckend gelassen zur Kenntnis. So sitzt Tomás konsterniert da, als Julián dem Arzt freundlich, aber entschlossen eine weitere Chemotherapie ausschlägt, schaut zu, wie er seine eigene Bestattung organisiert, wie er Bekannte offen und mutig mit seiner Lage konfrontiert – und vor allem, wie er fieberhaft versucht, für den auch schon betagten Truman ein neues Zuhause zu finden.

Es war eine kluge Entscheidung des katalanischen Regisseurs Cesc Gay, die über weite Strecken episodisch wirkende Geschichte aus der Perspektive des zuschauenden Besuchers statt des Betroffenen zu erzählen und ihn als Katalysator einzusetzen. Tomás finanziert, was der bankrotte Schauspieler sich nicht mehr leisten kann. Wie dieser Geld aus fremder Tasche ausgibt, wird zum Running Gag in der in leichtem Ton erzählten Tragikomödie. Plötzlich erwacht mehr Unternehmungsgeist in Julián. Sogar eine Tagesreise zu seinem Sohn Nico, der in Amsterdam studiert, nimmt er begeistert in Angriff. Der subtile Humor entsteht zudem aus der behutsamen Distanz und den alltäglichen Missgeschicken und Missverständnissen, die ob der schmerzlichen Lage lächerlich und darum zum Lachen sind.

Truman 02

Am Ende schrumpft das Leben zu einem Mikrokosmos zusammen, dessen Nukleus Freundschaft, Liebe und Familie bilden. «Das ist das Wichtigste im Leben», sagt Julián. Aber auch: «Jeder stirbt, wie er kann.» Kleine Weisheiten zum Thema Sterben. Beiläufig und unaufdringlich stellt sich den Zuschauern in den Alltagsszenen immer wieder die Frage: Was würde ich tun? Das ist auch im Film nichts Neues. Viele haben schon vor Gay im tragikomischen Genre Sterbende sich von ihren Freunden verabschieden lassen. Die Vorzüge von Truman liegen in der sicheren Vermeidung von Pathos und dem perfekt aufeinander abgestimmten Spiel der beiden Hauptdarsteller Javier Cámara und Ricardo Darín. Beide haben zwar schon in Gays Episodenfilm Una pistola en cada mano gespielt, aber nicht miteinander. Hier passen sie perfekt zusammen. Wie ein altes Ehepaar verständigen sie sich mittels kleiner Gesten, weniger Worte und mit Blicken. Kleine, aber auch grössere Missverständnisse übergehen sie mit freundschaftlicher Grosszügigkeit und Ehrlichkeit.

Der Argentinier Darín, der bei uns vor allem mit El secreto de sus ojos bekannt geworden ist und zuletzt in Relatos salvajes zu sehen war, spielt den Todgeweihten mit leichtfüssiger Zurückhaltung. Am ergreifendsten – aber nie zu dick aufgetragen – ist die Spannung zwischen geerdeter Haltung und innerem Schmelzen vielleicht beim Überraschungsbesuch bei Nico in Amsterdam. Julián bringt den Mut nicht auf, seinem Sohn die Wahrheit zu sagen, schiebt Tomás als Alibi vor, der in Amsterdam vermeintlich eine Konferenz besucht. Der grosse Abschied nach einem herzlichen Treffen wird so zu einem gespielt vorübergehenden, alltäglichen. Der Sohn spielt auch – merklich. Dass er Bescheid weiss, erfahren wir wie Julián erst später. Eine weitere Überraschung in einer Reihe kleiner Wendungen. Nichts ist ganz so, wie es scheint. Da klingt Peter Weirs The Truman Show leise an. In Truman versucht aber keiner, den anderen vorsätzlich hinters Licht zu führen, bloss Würde zu bewahren, den anderen und sich selbst gegenüber. So überrascht es kaum, dass Juliáns verzweifeltes Ringen darum, Truman loszulassen, in Wirklichkeit die Unmöglichkeit ist, das Leben so einfach und viel zu früh aufzugeben

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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