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Bouboule 02

Bouboule

Bruno Deville hat die autobiografisch motivierte Coming-of-Age-Geschichte zusammen mit Antoine Jaccoud geschrieben, der auch für Ursula Meier das Drehbuch zu Sister geliefert hat. Er inszeniert seinen ersten Langspielfilm als eine Art Feel-Good-Movie und lässt das Drama des schwierigen und mit Übergewicht erst recht belasteten Erwachsenwerdens und der Suche nach der eigenen Männlichkeit als leichte Komödie in ein Happy End münden.

Text: Tereza Fischer / 29. Apr. 2015

Der Film endet, wie er angefangen hat: Der zwölfjährige Kevin alias Bouboule sitzt mit seinen hundert Kilo bis auf die Unterhose entblösst da, bildfüllend sein enorm dicker Bauch und die weiblich anmutenden Brüste. Am Anfang steht zum einen die Sorge um Kevins physische Gesundheit, zum anderen die Demütigung des Jungen und seine Angst vor einem plötzlichen Herzversagen. Da werden seine «Titten» vom Arzt mit einem Fettmessgerät bearbeitet, der Mahnfinger gezeigt, Diäten und mehr Bewegung verordnet und der Grund für das Problem analysiert. Am Ende aber streift Kevin freiwillig das T-Shirt ab und gibt seinen Körper der Liebkosung seiner Freundin Alice hin. Kaum ein Kilo leichter, aber bedeutend glücklicher.

David Thielemans zeigt viel Mut und Selbstironie in der Rolle des rothaarigen Pummelchens, seiner ersten überhaupt. Der übergewichtige Junge mit einem versonnenen Lächeln, auf der Schwelle zum Teenie-Alter, lebt mit seiner überfürsorglichen und schuldgeplagten Mutter und zwei Schwestern in einem Reihenhäuschen zusammen. Der Vater hat die Familie verlassen und glänzt nun durch Abwesenheit. Wohl darum, so wird suggeriert, hat sich Kevin einen Fettpanzer zugelegt, er gleicht damit dem Rest seiner Familie, wirkt weich und weiblich. Auch mit seinen pastellfarbenen, gemusterten T-Shirts passt er in seine Umgebung, eine bunte Wohnungseinrichtung im Almodóvar-Stil. Von den Frauen zu Hause umzingelt und von Bullys draussen geplagt, schützt Kevin sein sensibles Inneres und flüchtet sich per Zuckerflash in Phantasiewelten. Ein Schokoriegel, und ein Elefant spaziert vorbei; ein anderer Süsskram, und Blütensamen in Zeitlupe verzaubern für einen Moment seine Welt. Phantasie und Wirklichkeit liegen nah beieinander, das zuckerinduzierte Glücksgefühl ist jedoch flüchtig.

Bouboule 01

Auf dem öden Spielplatz, einem Zufluchtsort, trifft Kevin seinen besten Freund Moukoumbi. Der freut sich über den BH von Kevins grosser Schwester und überhaupt über alles, was mit Sex zu tun hat. Kevin kann dem noch wenig abgewinnen. Eines Tages trifft er den Wachmann Patrick und seinen Hund Rocco. Als die beiden Bouboule vor fiesen Jungs retten, wächst die Bewunderung für die Härte des Supermarkt-Wachmanns – eigentlich eine halbe Portion – und seines Kampfhundes, für die «Kriegspiele» des angeblichen Kriegsveteranen. So lernt Kevin, dass der Hund nicht «Zouruque» heisst, sondern dass der Befehl «zurück» der perfekten Dressursprache entstammt: dem Deutschen. Er tauscht seine bunten Kleider mit schwarzer Kluft und lässt sich die Haare auf den «Kommando-Look» trimmen: die perfekten männlichen Vorbilder scheinen gefunden.

Bruno Deville hat die autobiografisch motivierte Coming-of-Age-Geschichte zusammen mit Antoine Jaccoud geschrieben, der auch für Ursula Meier das Drehbuch zu Sister geliefert hat. Er inszeniert seinen ersten Langspielfilm als eine Art Feel-Good-Movie und lässt das Drama des schwierigen und mit Übergewicht erst recht belasteten Erwachsenwerdens und der Suche nach der eigenen Männlichkeit als leichte Komödie in ein Happy End münden. Leichte Übertreibung bestimmt die Figurenzeichnung und die Bildsprache, leichter, stilsicherer Witz die Dialoge. Auf der Tonspur zieht sich der Herzton als wiederkehrendes Motiv durch. Das Herz nicht nur als vom Fett gefährdete Pumpe, sondern als ein erkennendes und offenes Gefühlsorgan.

Deville rahmt Kevins entrücktes Lächeln ob einer Süssigkeit mit entsprechend leuchtenden, farblich gesättigten, oft weichgezeichneten Bildern. Dabei konzentriert sich die Kamera von Jean-François Hensgens auf den Protagonisten und seine Gefühle und lässt die Welt um ihn oft verschwimmen. So entstehen durchaus auch Leerstellen, die sich für Gefühle und Vermutungen unsererseits öffnen. Die gleiche Subtilität ist leider nicht auf allen Ebenen zu finden: Der abwesende Vater wird nicht nur filmisch, sondern vor allem verbal überdeutlich expliziert.

Vorbilder für seine erwachende Männlichkeit findet Kevin in Pat und dessen schwergewichtigem Chef Claudi. In seinem Männlichkeitsrausch verliert Kevin für eine Weile den Bezug zu seinem früheren Leben und zu seinen Aussenseiterfreunden. Den dunkelhäutigen Moukoumbi lädt er zwar zum «Kriegsspiel» ein, aber nur, um dann bei Patricks rassistischem Spiel mitzumachen. Und die engelhafte Alice, die mit ihm im therapeutischen Schwimmen für übergewichtige Kinder seine beste Freundin war, lässt er am Rand eines Dachs stehen, von wo sie sich stürzen will.

Trotz der harten «Kommandoausbildung» verliert Kevin kaum ein Kilo, gewinnt aber an Selbstsicherheit. Doch schon bald muss er schmerzlich die Schwäche des vordergründigen Vaterersatzes erkennen: Claudi verliert den Auftrag im Supermarkt und bekämpft seine Angst vor Herzkrankheiten mit Omega-3-Fettsäuren aus gestohlenem Lachs, Pat entpuppt sich als Möchtegernsoldat und unverantwortlicher Hundehalter. Und Rocco als schutzbedürftiger Hund und keine Kampfmaschine. Gerade wegen dieser Schwächen muss man die Figuren gern haben, trotz ihrer Überzeichnung entstammen sie dem Leben.

Die Wendung bringende Krise gehört in Bouboule der Welt der Phantasie an, sie bringt Kevin wieder zurück in sein Leben. Die Farbe kehrt in Kevins Kleidung zurück, er ist fast wieder der Alte, nur etwas erwachsener und selbstsicherer in seinem Anderssein.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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