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Far from the Madding Crowd

Bathsheba hat die Farm ihres Onkels im Westen Englands geerbt. Sie ist eine finanziell unabhängige, schöne junge Frau, die in einer der ersten Szenen des Films auf einem Pferd im rasenden Galopp ihren grossen, weitläufigen Besitz durchmisst. Dabei trägt sie eine eng anliegende, aufregend geschnittene braune Lederjacke, die ihr eine dominante Ausstrahlung verleiht. Drei Männer werden im Folgenden dieser Mischung aus Attraktivität und Dominanz erliegen.

Text: Michael Ranze / 17. Juni 2015

Thomas Hardy und die Frauen – das sind zumeist düstere Schilderungen des Scheiterns. Voller Leidenschaft lehnen sie sich in seinen Romanen gegen ihr Schicksal auf, sie kämpfen gegen das Milieu, dem sie angehören, sie kämpfen gegen erbarmungslose Mächte, die sie wie Marionetten führen. Kurzum: Sie kämpfen um ihr Glück. Der unvereinbare Gegensatz zwischen wahrer und pragmatischer Liebe spiegelt sich dabei stets in der Beschreibung der Landschaft, die mit ihrer lebensfeindlichen Kargheit den Untergang der Heldinnen noch zu beschleunigen scheint. «Far from the Madding Crowd», Hardys vierter, 1874 erschienener Roman (und sein erster Erfolg), scheint diesem Muster zu folgen. Und doch präsentiert er mit Bathsheba Everdene eine starke Heldin, die – in einem Anflug von Feminismus – ihr Schicksal selbst bestimmt. Auch wenn wir ihre Beweggründe nicht immer verstehen.

Bathshebas Stimme informiert den Zuschauer zu Beginn über ihre Unabhängigkeit und Freigeistigkeit in einer von Männern bestimmten Welt, dem Viktorianischen England nämlich. Der Off-Kommentar könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Film aus Sicht seiner Heldin erzählt ist, dass ihre Freiheit, ihr starker Wille, vielleicht besser als Dickköpfigkeit umschrieben, aus ihr selbst erwächst, unabhängig von der Meinung anderer. Regisseur Thomas Vinterberg lässt dieses Stilmittel sogleich fallen. Schliesslich sind die Bilder stark genug.

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Bathsheba hat die Farm ihres Onkels im Westen Englands geerbt. Sie ist eine finanziell unabhängige, schöne junge Frau, die in einer der ersten Szenen des Films auf einem Pferd im rasenden Galopp ihren grossen, weitläufigen Besitz durchmisst. Dabei trägt sie eine eng anliegende, aufregend geschnittene braune Lederjacke, die ihr eine dominante Ausstrahlung verleiht. Mit ihrem Fetischcharakter will die Jacke so gar nicht in die Biederkeit dieses Zeitalters passen – ein Accessoire wie aus einer anderen Welt. Drei Männer werden im Folgenden dieser Mischung aus Attraktivität und Dominanz erliegen. Da ist zunächst Gabriel Oak, ein gutaussehender Schäfer, der ihr unbeholfen den Hof und dann unvermittelt einen Heiratsantrag macht. Bathsheba fühlt sich ihm überlegen: «Ich brauche jemanden, der mich zähmt.» Auch den Antrag von William Boldwood, einem wohlhabenden, aber steifen und ernsthaften Nachbarn, lehnt sie ab. Stattdessen heiratet sie Frank Troy, einen extrovertierten Sergeanten im knallroten Mantel, der ihr mit einem einzigen Schwerthieb frech eine Locke stiehlt. Bathsheba ist gezähmt. Doch Troy ist ein sorgloser Hallodri, der ihr ganzes Geld verspielt und die Arbeit auf der Farm verabscheut.

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1967 hatte John Schlesinger den Roman schon einmal verfilmt, fast buchstabengetreu, fast drei Stunden lang. Die Begeisterung der Kritiker hielt sich in Grenzen, von «vorhersehbarer Geschichte» bis zu «flachen Charakteren» reichten die Urteile, einzig über Nicolas Roegs bewundernswürdige Kameraarbeit war man sich einig. Julie Christie spielte damals die Hauptrolle, ein wenig zu kokett, zu eitel und, mit dem Erfolg von Doctor Zhivago im Rücken, zu romantisch. Carey Mulligan, die so bezaubernd lachen konnte in Lone Scherfings An Education, kommt dieser Figur wesentlich näher. Ihre Bathsheba ist weder verspielt noch albern. Weise und durchdacht, kühl und selbstbewusst trifft sie ihre Entscheidungen, weder Süssholzraspeln noch Verlockungen, weder Aussprachen noch sanfter Druck können sie davon abbringen. Ihre einzige Fehlentscheidung kommt sie teuer zu stehen, doch sie hat eine zweite Chance verdient. Damit sind die Themen des Films umrissen: Es geht um Enttäuschung und Verlust, um Bedauern und Leid, das aber gelegentlich durch kurz aufscheinende Leichtigkeit wieder aufgefangen wird. Die sozialen Unterschiede im Viktorianischen England, im Roman durchaus von Gewicht, nimmt Vinterberg kaum wahr. Die Prägung der Figuren durch ihre Klassenzugehörigkeit, ob als Grossgrundbesitzerin oder einfacher Arbeiter, ist dem Regisseur nur eine Notiz wert. Wie schon Schlesingers Vorgänger konzentriert er sich eher auf die romantischen Aspekte der Geschichte.

Die Männer kommen im Vergleich zur vielschichtig gezeichneten Hauptfigur sehr eindimensional daher. Am überzeugendsten noch Matthias Schoenaerts als Schäfer, der – in einer aufwühlenden Szene – seine ganze Herde verliert und sich daraufhin als Vorarbeiter auf der Farm verdingen muss. Eine Fehlbesetzung hingegen ist Tom Sturridge als Troy, der von Beginn an eine unheilvolle Nervosität ausstrahlt, die nichts Anziehendes hat. Warum sich die sonst so kluge Bathsheba in diesen Leichtfuss verlieben sollte, bleibt im Dunkeln, die Leidenschaft zwischen Mann und Frau ist nie spürbar und darum pure Behauptung. Terence Stamp war da im Vorgänger mit seiner erotischen Ausstrahlung sehr viel männlicher und bestimmender.

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Von Thomas Vinterberg hätte man diesen Film wohl am wenigstens erwartet, einfach, weil er für den einstigen Bilderstürmer, der mit «Dogma» ganz andere Regeln befolgte, zu perfekt, zu aufwendig, zu konventionell, zu «schön» ist. Vinterberg legt grossen Wert auf Kostüme und Set Design, detailfreudig lässt er das Viktorianische Zeitalter lebendig werden. Aber Kamerafrau Charlotte Bruus Christensen findet immer wieder Bilder, die den Zuschauer staunen lassen – die Natur erscheint wie eine weitere Hauptdarstellerin. Mit ihrer verführerischen Schönheit, aber auch mit ihrer zerstörerischen Kraft prägt sie die Figuren, ihre Fähigkeiten, aber auch ihre Grenzen. Und so kommt Vinterberg dem, was Hardy vor 140 Jahren sagen wollte, doch sehr nahe.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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