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Keeper 1

Keeper

Ganz unsentimental erzählt Guillaume Senez eine Coming-of-Age-Geschichte, mit einer bekannten Ausgangslage, jedoch mit einem ungewohnten Fokus: Welche Rolle darf der Junge, der Vater, bei der Entscheidung spielen, ein Kind zu behalten?

Text: Tereza Fischer / 17. Jan. 2016

So, wie die beiden Protagonisten mitten in der Pubertät und in einer ersten, aber ernsten Jugendliebschaft stecken, geraten wir gleich am Anfang mitten in einen intimen Moment. Die fünfzehnjährigen Maxime und Mélanie haben die Liebe entdeckt, nicht nur platonisch. Ganz nah bleibt die Kamera bei den beiden, beobachtet lange, wie sie sich küssen. Und sie bleibt auf dem Gesicht von Maxime, der eigentlichen Hauptfigur, als Mélanie im unteren Off verschwindet, um ihren Freund zu befriedigen. Sie mag das jetzt nicht tun, aber dass die beiden bereits intim geworden sind, macht die SMS-Hiobsbotschaft in der folgenden Szene klar: Mélanie ist schwanger.

Keeper 3

Ganz unsentimental erzählt Guillaume Senez eine Coming-of-Age-Geschichte, mit einer bekannten Ausgangslage, jedoch mit einem ungewohnten Fokus: Welche Rolle darf der Junge, der Vater, bei der Entscheidung spielen, ein Kind zu behalten? Dass es in erster Linie um Maximes Gefühl geht, lässt uns die Kamera spüren. Sie bleibt beim Streit der Eltern um das weitere Vorgehen oder bei der Ultraschalluntersuchung auf seinem Gesicht, bei seinen Emotionen. Immer wieder folgt sie ihm und nimmt ihn von hinten ins Bild, um das zu zeigen, was er sieht, und um ihn und sein Verhältnis zur Welt dabei doch nie aus dem Blick zu verlieren. Kacey Mottet Klein, den Ursula Meier für Home entdeckt hat und der von Film zu Film an darstellerischem Tiefgang gewinnt, oszilliert hier gekonnt und glaubhaft zwischen jugendlicher Verträumtheit und erwachsener Verantwortlichkeit. Dass ausgerechnet er sich für ein Baby begeistert, mag erstaunen, der Wunsch aber, mit seiner Geliebten eine Familie zu gründen, wirkt bei dieser Figur überzeugend. «Ein Baby ist cool», meint sein Freund. Warum nicht, wenn man doch Lust darauf hat?

Max und Mél gehören zu einer Generation, die nach dem Lustprinzip lebt und für die Erfolg, Ruhm und Glück in Reichweite liegen. Jeder kann (beim Talentwettbewerb) ein Star werden, jeder kann den Daumen hoch- oder runterhalten. Was braucht es da Argumente? Die Meinung ist schnell gemacht, die Entscheidung schnell getroffen. So hat auch Max schon bald nach der Nachricht in seinen Träumen eine Villa gezimmert, mit Pool und allem Luxus. Er muss schliesslich nur die Aufnahme in den Profifussballklub schaffen. Damit lässt sich genügend Geld verdienen und für die Kleinfamilie sorgen. Die definitive Entscheidung über ein neues Leben verwandelt er in ein Spiel: Wenn er es schafft, auf der Kirmes einen Teddy zu gewinnen, behalten sie das Kind. Das Glück scheint so nah, das Leben ein Vergnügungspark. Darum gilt auch beim Gespräch in der Beratungstelle: «J’ai envie.»

Keeper 2

Natürlich sind da noch die Eltern: auf der einen Seite die verständnisvollen und unterstützenden Eltern von Maxime, auf der anderen Mélanies Mutter, die selbst viel zu früh Mutter wurde. Sie kennt die Konsequenzen aus eigener Erfahrung und lässt sich nicht auf Diskussionen ein. Alleine hat sie ihre Tochter erzogen und sorgt für sie, sie hat auf vieles verzichten müssen. Nie war ein Mann für sie und das Kind da. Da kümmert sie die Lust ihrer Tochter auf ein Baby wenig. Und tatsächlich: So schnell die Lust auf etwas wächst, so schnell kippt sie bei Schwierigkeiten wieder in Unlust.

Maxime hat aber durchaus eine erwachsene Seite, kümmert sich fürsorglich um den kleinen Bruder, lässt Mél in der Disco nicht Alkohol trinken, geht mit ihr zur Beratung, zum Arzt. Und er lässt aus Sorge um sie, die lang erträumte Chance auf die Aufnahme ins Profiteam sausen. Auch diese Entscheidung war schnell im Gefühlschaos gefällt – mit (schmerzlichen) Konsequenzen. Maximes Traumberuf als Goalie scheint ihn aber auf das Familienleben vorzubereiten: Als Keeper kann er das Spiel nicht entscheiden, er schiesst schliesslich nicht die Tore, das machen andere. Mehrmals wird ihm klargemacht, dass die Entscheidung für oder gegen ein Kind nicht bei ihm liegt. Keeper bringt damit auf intelligente, sensible und unaufgeregte Weise ein Thema in den Fokus, das viel zu selten ernsthaft diskutiert wird: die Verantwortung und die Gefühle der Männer gegenüber Kindern. Auch am Ende mag Maxime nur die Lust dafür anführen, warum er sich um seinen Sohn kümmern will. Wenn man sieht, wie er sich von seinem Kind, das er zum ersten Mal sieht, schon verabschieden muss, braucht es keine Argumente.

Keeper 4

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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