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Moka

Mokka ist die Farbe des Autos, das den Tod von Dianes Sohn verursacht hat. Nun ist sie auf der Suche nach dem Fahrer oder der Fahrerin auf der anderen Seite der Grenze. Die Rache-Geschichte gewinnt vor allem durch Emmanuelle Devos in der Hauptrolle psychologische Tiefe.

Text: Pierre Lachat / 19. Mär. 2017

Ein ausladendes Gewässer, das wohl zu den prachtvollsten des Kontinents zählt und von vielen Malern abgebildet worden ist, trennt Lausanne über knapp zwanzig Kilometer Distanz von Evian. Damit hält der Genfersee zwei Gegenden Frankreichs und der Schweiz auseinander, die eigentlich zusammengehören müssten. Historisch so sehr wie landschaftlich gesehen leuchtet es ein, dass keine der beiden Nationen der jeweils andern gleich beide Ufer überlassen mochte, sodass die Länder sich auf eine prekäre Teilung verständigen mussten.

Heute verbindet ein wachsender kleiner Grenzverkehr die ungleich grossen Orte, eine Stadt und ein Städtchen. Besucher von jeweils gegenüber sind alltäglich. Auf beiden Seiten des Lac Léman, wie der Genfersee seit keltischen Zeiten heisst, bietet sich die eigentümliche Lage ideal als Filmkulisse an, auch dank der gemeinsamen Sprache und trotz unterschiedlicher Währungen. Die Protagonisten von Moka bewegen sich rastlos herüber und hinüber, vor und zurück, wechselnd zu Fuss oder auf vier Rädern, auch mittels Fähren. Entsprechend leicht können die Nummernschilder willkürlich parkierter Autos Verdacht aufkommen lassen, vorzüglich falschen.

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Ach, wieder einer von der andern Seite, so reagieren die einen und andern Bewohner, wechselnd mit: Es sind Fremde, aber lieber aufpassen; gewiss, die gehen dann wieder zurück, haben aber wer weiss was zu verbergen. Flüchtig verdeckter Tauschhandel ist gang und gäbe, namentlich von der illegalen Sorte. Die Grenzkontrollen fallen unregelmässig an, oftmals sind sie überraschend. Von daher fliegt immer wieder ein Päckchen über Bord, um gut geschnürt und diskret beschwert in den Wellen zu versinken.

Mit einem Wort, der Film von Frédéric Mermoud spielt mitten in Europa: So, wie es sich wieder einmal darstellt. Immer häufiger bleibt undurchsichtig, wo wieviel Verbindendes herrscht, links und rechts einer der vielen Grenzlinien, oder wo sich dann doch wieder wieviel Hinderliches dazwischen schiebt. Nichts hätte so sicher sein sollen wie die fragilen Limiten von einst. Heute ist in Wahrheit kaum etwas weniger sicher, weil es zur spekulativen bis waghalsigen Überwindung geradezu herausfordert, auch von der kriminellen und, wie schon gehabt, früher oder später selbst von der militärischen Art. Die in sich verriegelte und verbohrte DDR hat es allen Europäern beigebracht. Was zumacht, muss aufmachen und umgekehrt. Mauern fallen und werden errichtet, Grenzen abgeschafft und frisch hochgezogen. Kein nach innen wie nach aussen unbegrenztes Europa ist derzeit auch nur denkbar.

Die geografische und politische Situierung rahmt eine Kriminalgeschichte in der Tradition von Patricia Highsmith ein und verleiht der Sache treibenden Rhythmus und offensichtliche Aktualität. Der Titel Moka bezeichnet die hellbraune Lackierung eines gewissen Wagens; auf der verkehrten Seeseite soll er einen tödlichen Unfall verursacht haben, der nie restlos aufgeklärt worden ist.

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Diane, passend nach der Göttin der Jagd benannt, hat dabei ihren Sohn verloren. Die Kamera bleibt ihr auch persönlich auf den Fersen, als wäre sie das entlaufene Tier oder als wären rundum weitere Fährtenleser am Werk. Beim Versuch, die Schuldigen auf eigene Faust zu ermitteln und in Wildwestmanier zur Rechenschaft zu ziehen, sieht die Protagonistin, zurückhaltend gespielt von Emmanuelle Devos, bald einmal nur noch moka statt rot oder schwarz. «Wie hätten Sie sich verhalten?» So werben die französischen Plakate recht treffend. Da hat sich niemand einen Ärger zugezogen, sondern jemand ist von der Ungemach heimgesucht worden.

Es folgen dann, etwas schematisch abgespult: Suche, Vermutung, Recherche, Verfolgung; Maskerade und Demaskierung, Bewaffnung und linkisches Schiesstraining; Heimlichkeiten, diverses An-, Ein- und Abschleichen; Lügen, Irrtum und Wahrheit; Revanche oder Fehlschlag, aber dann auch bessere Einsicht und Verzicht. Am Anfang macht sich noch Schrecken breit, am Ende kommt es dann zu einem resignierenden Aufatmen. Aus einem Knallscheit ballert es zwar mehrmals, wie es sich für jede enthalfterte Pistole ziemt, sowie sie einmal auf der Leinwand erschienen ist; doch sind die Schüsse absichtlich, wie aus Verzweiflung, daneben gezielt. Die Kugeln durchlöchern einen hilflosen Kotflügel.

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Was war, ist nun der Vergangenheit überantwortet. Nichts lässt sich ungeschehen machen. Das Blutvergiessen hält sich in überschaubaren Grenzen, um es an dieser Stelle mit dem bestgeeigneten Ausdruck zu sagen. Keine Frage, von jeweils da drüben in Lausanne oder Evian kommt Fragwürdiges über die Wellen, aber immer auch Willkommenes. Fast häufiger will Kino die Härte bejahen, als es sie verwerfen mag. Moka hingegen versucht, die Unnachgiebigkeit, ja Grausamkeit zu ergründen und zu begreifen, um sie möglichst bis in die blühende Phantasie zurückzubinden, wodurch sich Schlimmeres hoffentlich verhüten lässt. Denn Übergriffe sind unvermeidlich, allenthalben und bei jedermann, und der Versuchung, eine Missetat auch nur fahrlässig oder blindwütig zu begehen, entzieht es sich schwer. Diane kann es bezeugen, die sich förmlich zwingen muss, überhaupt erst auf die Hetzjagd zu gehen.

Anders ist es um Strafe, Fehde, Rache oder gar Sühne bestellt. Gleiches mit Gleichem zu vergelten, wie es rund ums Mittelmeer noch gang und gäbe ist, nähme auch zwischen Lausanne und Evian kein absehbares Ende. Und was sich auf dem einen Ufer des Genfersees zuträgt, braucht sich auf dem andern nicht zwingend zu spiegeln. Auf Distanz voneinander gehalten zu werden kann für alle von Vorteil sein. Das vereinigte Europa rutscht heute auf die Warteliste zurück. Gemach, werte Nachbarn. Bloss nicht immer so eilig. War alles unbedacht und überstürzt, jetzt sitzt der Moloch in der selbst gebastelten Patsche. Angezeigt sind weder Schadenfreude noch Überraschung.

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