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Die göttliche Ordnung

Dass es eben nicht natürlich oder Gott gegeben ist, dass Frauen (oder auch andere Rassen und Religionen) minderwertig sind, kann man nicht oft genug betonen. Petra Volpe hat für die Geschichte des Frauenstimmrechts in der Schweiz den leichten Ton gewählt.

Text: Tereza Fischer / 08. Mär. 2017

Fast ein halbes Jahrhundert ist es her, seit in der Schweiz auf Bundesebene endlich das Frauenstimmrecht eingeführt wurde. Im internationalen Vergleich erschreckend spät. Warum man(n) sich in der Schweiz so schwer damit tat, dass auch die Frauen, übrigens bevölkerungsmässig in der Überzahl, politisch mitbestimmen dürfen, zeigt Petra Volpe in ihrer Komödie mit tragischen Untertönen. Die Männer darüber abstimmen zu lassen, ob sie ihre Macht mit dem «schwachen» Geschlecht teilen wollen, gleicht ohnehin einer Farce, insofern macht die Wahl des Genres durchaus Sinn.

Nachvollziehbar wird im Film mit dem zynischen Titel eine menschliche Conditio, die auch heute wieder negativ spürbar wird: das Gefühl einer vermeintlich gottgegebenen Überlegenheit (gegenüber anderen Rassen, Religionen et cetera), die Angst vor Veränderungen und der Versuch, diese Angst über Gesetze zu rechtfertigen. So wollen auch 1970 die Männer im appenzellischen Herisau die Frauen tüchtig und harmlos am Herd wissen. Das bekommt auch Nora zu spüren, als sie sich nach Jahren fleissiger Hausarbeit zu langweilen beginnt und wieder arbeiten möchte. Bis jetzt hat sie brav geputzt, gekocht, den Schwiegervater bedient und die beiden Söhne liebevoll umsorgt. Eine kleine Männergesellschaft. Als der Freiheitswille in ihr erwacht, will ihr Mann nicht, dass seine Söhne zum Mittagessen Ravioli aus der Büchse essen und überhaupt: Was würden die Kollegen dazu sagen? Als Schwächling würde er dastehen. Das Gesetz sorgt dafür, dass das nicht so schnell geschieht, denn die Ehefrauen dürfen ohne Einwilligung des Gatten nicht erwerbstätig sein. Bei den privaten Auseinandersetzungen hat der Mann politisch betrachtet immer Recht.

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Erst sind Noras Versuche, ihren Mann zu überzeugen, schüchtern und freundlich, doch schon bald wächst in ihr ein Gefühl eines grossen Unrechts: Ihre Nichte Hanna, ein aufmüpfiger Teenager, landet wegen der Beziehung zu einem älteren Jungen erst im Erziehungsheim und schliesslich gar im Frauengefängnis. Und Vroni, die ehemalige Wirtin, ist wegen der Sauferei ihres verstorbenen Mannes verarmt. So findet Nora in Vroni, ihrer Schwägerin Theresa und der italienischen Einwanderin, die nun Vronis Gasthof führt, Verbündete und beginnt ihren Kampf. Dass ihre Bemühungen vom Erfolg gekrönt sein werden, wissen wir.

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Marie Leuenberger spielt Nora mit der nötigen Portion Naivität und Unsicherheit, aber auch Entschlossenheit und Mut. Die anderen Protagonistinnen verkörpern eher Typen als detailliert gezeichnete Figuren. Das funktioniert zwar, etwas weniger Typecasting hätte aber nicht geschadet. Am meisten überzeugen Szenen, in denen die Haupthandlung in den Hintergrund tritt und die etwas plakative Konstruktion des Drehbuchs sich nicht explizit in den Dialogen spiegelt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Private politisch wird: Nora entdeckt nicht nur ihren Kampfgeist, sondern auch ihre Sexualität. Konsequent verknüpft Volpe die beiden Ebenen nach dem Slogan des Sechziger-Jahre-Feminismus: The personal is political. Private Differenzen lassen sich nur lösen, wenn sie politisch geklärt werden. Volpe verknüpft die beiden Ebenen ganz eng miteinander. Schon die erste kleine Freiheit, die Nora im Film geniesst, ist ihre Fahrt mit dem Fahrrad zum Bauernhof ihres Schwagers. Sie tritt kräftig in die Pedalen, ein Lächeln auf den Lippen, den kühlen Wind im Gesicht. Die Musik lässt diese längere sinnliche Szene zusätzlich aus der Darstellung der Monotonität des Alltagstrotts herausstechen. Und wer hätte gedacht, dass die Lektüre des Schweizer Eherechts ebenfalls ein nahezu erotisches Vergnügen sein kann. Nora räkelt sich mit den Broschüren zum Frauenrecht und Frauenstimmrecht im Bett. Während ihr Ehemann den Wiederholungskurs absolviert, erlebt sie eine intime Nacht mit ihrer Lektüre. So zumindest suggerieren Schauspiel und Kamera die Wirkung des neu erworbenen Wissens. An die Frauendemo im fernen und «verruchten» Zürich schliesst direkt ein Workshop zur Entdeckung der Yoni-Power an. Dort erkunden die drei Appenzellerinnen das erste Mal ihre eigenen Geschlechtsteile. Und Nora findet den Tiger zwischen ihren Beinen und in sich. Aus dem Sexuellen schöpft sie Kraft, sich den Männern und Frauen in der Gemeinde zu stellen und für ihre Rechte zu kämpfen. Der Film endet denn auch mit einem glücklichen Höhepunkt: Nora darf nun nicht nur stimmen und wählen, sie erlebt das erste Mal einen Orgasmus.

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Mit dem Abstand von fast 50 Jahren hinterlässt dieses Happy End dennoch einen bitteren Nachge­schmack. Zu wenig ist in Sachen Gleichstellung in der Schweiz seither geschehen. Immerhin weckt der Film auch Lust, sich zu wehren. Die Frauen stricken wieder: Pussy Hats für Woman’s Marches.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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