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Baby Driver

Der charmant-rasante Autofilm ist nicht nur aufgrund eines Songs entstanden, sein erstklassiger Soundtrack ist ein elegantes Korsett.

Text: Pamela Jahn / 25. Juli 2017

Edgar Wright hat ein Problem. Kein grosses, aber ein grundsätzliches – ein musikalisches: Sein Vorname kommt in keinem Song der Welt vor. Baby, der Held seines neuen Films, kann sich dafür kaum retten vor Musikstücken. Für den britischen Regisseur, der sich mit Baby Driver ein Wunschprojekt erfüllt hat, ist die Erkenntnis, einen der unmusikalischsten Namen zu tragen, insgeheim dennoch so schmerzlich wie für andere etwa ein Flop an den Kinokassen. Aber auch den hat Wright mit Scott Pilgrim vs the World (2012) bereits durchgestanden, obwohl seine Verfilmung der beliebten Independent-Comicserie mittlerweile immerhin zu einem Kultstreifen fürs Heimkino avanciert ist. Wrights neuer Film dagegen hat das Zeug zum ganz grossen Sommerkinohit: Rasant, kompromisslos und mit unendlich viel Charme präsentiert sich Baby Driver als amerikanischer Autofilm im klassischen Sinn, komplett mit Fünfziger-Jahre-Diner, etlichen Schiessereien und einer Handvoll wortkarger Typen, die meist hinter übergrossen Sonnenbrillen agieren, Banken überfallen und sich anschliessend in schnellen, wendigen Autos spektakuläre Verfolgungsjagden mit der Polizei liefern – das alles zu einem Soundtrack, der nicht nur Spass macht, sondern auch sekundengenau auf die ausgefeilte Action abgestimmt ist.

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Der Film ist eine Kreuzung aus An American in Paris, The French Connection und Walter Hills The Driver, was zunächst so klingt, als müsste Wright mit dieser Prämisse erneut gegen die Wand fahren – tut er aber nicht. Im Gegenteil: Baby Driver ist bezaubernde Romanze, Heist-Film, Drama, Stunt-Show und Thriller in einem, ein zärtlicher Kraftakt, geboren aus der ewigen Liebe des Regisseurs zum Kino, zu schnellen Autos und zur Musik.

Im Zentrum des Geschehens steht also Baby, dem Ansel Elgort nicht nur sein Milchgesicht, sondern auch all seine jugendliche Geschmeidigkeit leiht, und der auch gleich zu Beginn dort sitzt, wo er hingehört: hinter dem Lenkrad eines knallroten Subaru, in dem durchaus mehr steckt, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Zunächst aber wartet Baby darauf, dass es losgeht, und vertreibt sich die Zeit mit «Bellbottoms» von Jon Spencer Blues Explosion, dem Song, der Wright vor zwanzig Jahren die Idee zum Film gab. Erst als seine Komplizen plötzlich aus der Bank stürmen, tritt Baby aufs Gas und sorgt anschliessend in einem magenumdrehenden Soloeinsatz dafür, dass der Job ein Erfolg wird.

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Tatsächlich braucht Baby die Musik wie die Luft zum Atmen. Er leidet an Tinnitus, den er mit diversen Playlists und Eigenkompositionen zu unterdrücken versucht. Immer mit Kopfhörerstöpseln im Ohr kümmert er sich um seinen tauben Pflegevater im Rollstuhl oder erledigt den nächsten Job für Gangsterboss Doc, dem er eine undefinierte Summe und damit immer wieder einen angeblich letzten Job schuldet. Die dreissig Songs ziehen sich wie ein Stimmungsbarometer durch den Film, und es gibt kaum einen Augenblick, in dem Baby sich nicht zu irgendeinem Beat bewegt. Diese eigenwillige Dynamik, die sich daraus im Zusammenspiel mit der – zugegeben – weniger originellen Handlung ergibt, ist es, was diesen Film so sehenswert macht. Denn Wright versucht gar nicht erst, das Rad neu zu erfinden, sondern spielt stattdessen raffiniert mit dem Genre, vor dem er im gleichen Moment den Hut zieht und alte Klischees mit Elan, Scharfsinn und Humor neu belebt und sein exzellentes Schauspieler­ensemble zudem mit einem Drehbuch verwöhnt, das wenig Raum für Kritik lässt. Vor allem Elgort muss man zugutehalten, dass er sich von Jon Hamm, Jamie Foxx und Kevin Spacey nicht einschüchtern lässt. Sozusagen als Newcomer trägt er diesen Film auf seinen schmalen Schultern, und selbst wenn seine Rolle nicht die Gewichtigkeit einer karrieredefinierenden Figur wie etwa Ryan Goslings Fahrer in [art:drive:Drive] vorzuweisen hat, verkörpert er Baby ähnlich entschlossen mit Verstand und mit Gefühl: als die gute Seele im bösen Spiel.

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Der von Wright selbst erstklassig zusammen­gestellte Soundtrack, zu dem neben Simon & Garfunkel auch Queen, Martha and the Vandellas, The Commodores, The Damned und Barry White gehören, tut sein Übriges, sodass, selbst wenn der Plot im letzten Akt bedrohlich leerzulaufen droht, am Ende alle Beteiligten entweder erledigt, glücklich, in jedem Fall aber ausser Atem sind – und zwar ganz unabhängig davon, wie sehr ihr Name nun in der Musikgeschichte verankert ist oder nicht.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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