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David Lynch: The Art Life

Der Meister des surrealen Films zeigt sich in diesem Porträt als introvertierter Maler und herausragender Erzähler seiner eigenen Biografie und zelebriert dabei die Kunst des Auslassens.

Text: Pamela Jahn / 08. Aug. 2017

Um es gleich vorwegzunehmen: Wer in Jon Nguyens Dokumentarfilm mit und über den grossen Surrealis­ten des amerikanischen Kinos David Lynch nach Antworten sucht, wird diese nicht finden. Und das ist gut so. Denn es widerspräche nicht nur der Philosophie, sondern dem ganzen Wesen des Ausnahmeregisseurs, der hier ausschliesslich selbst zu Wort kommt, aber bestenfalls andeutet, wo andere ausformulieren würden. Überhaupt bekommt man weniger einen Einblick in das filmische Schaffen des Multimediakünstlers, dessen grosse Leidenschaft stets die Malerei war, bis seine Bilder irgendwann laufen lernten und sich mit den ersten Experimentalfilmen plötzlich noch ganz andere Türen öffnen sollten. Vielmehr sind es die frühen Jahre seines Lebens, um die es in David Lynch: The Art Life in erster Linie geht: Lynchs Kindheit, die geprägt war von Ortswechseln entlang der Ostküste, eine Jugend voller «dunkler, phantastischer Träume», voller Ängste, Sehnsüchte und Inspirationen, die ihn quer durch Europa über Philadelphia bis nach Los Angeles verfolgten, bis zu dem Punkt, an dem für ihn mit Eraserhead (1977) schliesslich ein neues Kapitel seiner Karriere beginnen sollte.

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Tatsächlich besteht ein Teil der Faszination, die von diesem für lynchsche Verhältnisse auf den ersten Blick erstaunlich konventionell strukturierten Dokumentarfilm ausgeht, gerade darin, dass man dem eigensinnigen Genie auch nach knapp 90 Minuten intimster Offenbarungen in Wirklichkeit kaum ein Stück näher gerückt ist. Gleichzeitig gelingt es Nguyen und seinen beiden Koregisseuren Rick Barnes und Olivia Neergaard-Holm, trotz aller Rätselhaftigkeit und Unschärfe die unermüdliche Neugier und Vitalität des ewigen Bastlers zu vermitteln, indem sie ihm selbst die Führung überlassen. Der Zuschauer stösst dabei auf interessante Einzelheiten, die am Ende bei aller Verzerrtheit ein stimmiges Ganzes ergeben. Bezeichnend ist, dass die meisten dieser erhellenden Momente von den düstersten Denkwürdigkeiten in Lynchs Jugend handeln. Einmal spricht er in gewohnt bedachter Manier davon, wie sich die Familie kurz vor dem Aufbruch zu einem neuen Zuhause von den Nachbarn verabschiedete. Lynch selbst hatte mit dem Vater der Nachbarsfamilie, Mr. Smith, nie wirklich ein Wort gewechselt, und auch im Nachhinein verstummt er, als es darum geht, zu erzählen, was an diesem lauen Sommerabend in Boise, Idaho, tatsächlich vorgefallen war: «I can’t tell the story», stockt er und zieht sich hinter seine Zigarette zurück, doch allein in der Geste deutet sich an, was Lynch auch in seinen Filmen immer wieder meisterhaft inszeniert: das Auslösen surrealer, zumeist bestürzender Bilder im Kopf, die einen emotional und nicht selten auch körperlich in ihren Bann ziehen.

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Greifbarer sind dagegen die Momente, in denen Lynch von seinen Eltern spricht, über seine langjährige Freundschaft zu Jack Fisk reflektiert oder sich an die erste Zeit in Boston erinnert, nachdem er im Anschluss an sein Highschool-Examen 1964 beschlossen hatte, dort an der privaten Kunsthochschule zu studieren. So gross war jedoch seine Angst vor dem Sein und den Menschen, die ihn dort erwarteten, dass er sich in den ersten zwei Wochen nicht aus seinem Apartment traute. Gefesselt an einen Stuhl, aus dem er sich lediglich zum Essen und Pinkeln erheben würde, und mit nur einem Transistorradio als Schnittstelle nach draussen sollte er so die ersten zwei Wochen in der Selbständigkeit verbringen. Und bis heute, gesteht der mittlerweile 71-Jährige, fühle er sich in den eignen vier Wänden noch immer am wohlsten. Was auch erklären dürfte, warum ein Grossteil der Dokumentation in seinem Atelier in Los Angeles gedreht ist, einem grosszügigen Ort der Geborgenheit, in dem die Filmemacher den Meister bei seiner Arbeit filmen, nachdenklich, rauchend und immer wieder energisch an seiner Kunst werkelnd, als ginge es darum, seiner kleinen Tochter Lula, die das Studio längst zu ihrem Spielplatz erklärt hat, auf diese Weise die Welt, und besser noch: ihren Vater zu erklären. Der jedoch bleibt nach wie vor hinter seiner Arbeit im Verborgenen.

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Die Strategie der Filmemacher, aus diesem Grund vornehmlich die bildende Kunst des Meisters in den Vordergrund zu stellen, scheint deshalb letztlich nicht nur zwingend, sondern auch massgeblich für den Erfolg des Films, der mit einem Blick auf die Gemälde und Skulpturen so viel mehr über die Person David Lynch verrät, als der Künstler selbst imstande wäre, vor der Kamera zu offenbaren. Was bleibt, ist eine angenehm unvollkommene Collage eines rast­losen Malers und Regisseurs, der in seinen Bildern wie in seinen Filmen damals wie heute nach den Untiefen jenseits der immer wieder ins Abstrakte abdriftenden Oberfläche sucht. Das kann manchmal schiefgehen, oder es kann dauern, wie unlängst die Neuauflage des TV-Serienklassikers Twin Peaks (2017) gezeigt hat, doch wenn David Lynch erst einmal am Werk ist, gibt es nichts, was ihn halten könnte. Und ihm bei der Arbeit wie beim Denken zusehen zu dürfen, wenn er selbst nicht hinter der Kamera steht, ist ein kleines Geschenk des Kinos.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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